So stemmte er sich mit letzter Kraft in die Höhe, taumelte zu Ian hinüber und ließ sich erschöpft neben dem Zauberpriester auf die Knie sinken. Ian starrte ihn an, mit einem Blick, in dem sich Verachtung und widerwillige Bewunderung ein stummes Duell lieferten, aber ohne eine Spur von Angst, wie Skar sehr wohl registrierte.
»So«, sagte Skar müde. »Jetzt können wir uns unterhalten, Ian.« Der Zauberpriester lachte böse. »Worüber, du Narr? Über deinen Tod?«
Skar seufzte. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, Zorn zu empfinden. »Hör auf, Ian«, bat er. »Du bist nicht in der Lage, mir zu drohen. Und ich bin zu müde, um Spielchen zu spielen.«
»Warum sollte ich dir drohen?« fragte Ian kalt. »Du bist wahnsinnig, Skar. Ich brauche dir nicht zu drohen. Sieh dich doch an! Du hast kaum noch die Kraft, dich auf den Beinen zu halten. Morgen, spätestens in zwei Tagen, wirst du nicht einmal mehr kriechen können. Ich brauche dir nicht zu drohen. Du stirbst so oder so.«
»Aber auf jeden Fall nach dir«, bemerkte Skar ruhig. »Und wesentlich angenehmer, wenn du mir nicht ein paar Fragen beantwortest.«
Ian lachte erneut, aber in seinem Blick glomm ein ganz schwacher Funke von Unsicherheit auf. »Was willst du?« fragte er. »Mich foltern?«
»Wenn es sein muß.«
»Ich glaube dir nicht«, behauptete Ian. »Du bist ein Satai.«
»Das war ich vielleicht einmal«, antwortete Skar. »Ich weiß nicht, was ich heute bin. Aber was immer es ist - ihr habt mich dazu gemacht.«
»Du kannst nicht aus deiner Haut«, beharrte Ian.
Skar sah ein, daß er so nicht weiterkam. Schwäche machte sich wie Zentnerlasten in seinen Gliedern breit, und hinter seiner Stirn begannen sich die Gedanken zu verwirren. Er konnte es sich einfach nicht leisten, noch länger mit Ian zu diskutieren.
»Vielleicht hast du sogar recht«, sagte er matt. »Aber zu deinem Pech bin ich nicht allein, weißt du?« Er richtete sich auf, drehte sich mühsam zu Titch herum und hob die Hand.
»Titch.«
In Ians Augen blitzte es überrascht auf, als er den Namen des Quorrl hörte. Er versuchte sich zu bewegen, aber Skar stieß ihn grob zurück und rief noch einmal nach Titch. Der Quorrl hob mühsam den Kopf, stemmte sich mit der verletzten Hand hoch und kam taumelnd auf ihn zu.
»Bist du in Ordnung?« fragte Skar besorgt.
Titch lachte böse. »Nein«, grollte er. »Aber ich kann mich bewegen. Es tut sehr weh.«
»Wie unangenehm«, sagte Ian hämisch.
Titch versetzte ihm einen Tritt, der den Zauberpriester trotz seiner Metallpanzerung vor Schmerz aufstöhnen ließ.
»Reichen deine Kräfte noch, unserem Feind ein paar Fragen zu stellen?« fragte Skar. »Er ist ein bißchen verstockt.«
Titch ließ sich auf der anderen Seite Ians auf die Knie sinken, hob die verwundete rechte Hand und spreizte die Finger. Seine Krallen blitzten auf wie messerscharfe tödliche Dolche. Ein böses Grinsen verzerrte seine Züge noch mehr, als es der Schmerz getan hatte. »Dazu langt es immer«, versprach er grimmig. »Ich freue mich schon lange darauf, mich mit einem von ihnen zu unterhalten.«
»Das tut ihr nicht«, sagte Ian. Seine Stimme zitterte. »Skar, du kannst dieses Ungeheuer nicht auf mich loslassen.«
»Ich fürchte«, antwortete Titch an Skars Stelle, »daß er mich kaum zurückhalten kann. Ungeheuer haben die Eigenschaft, nicht immer zu tun, was man von ihnen will, weißt du?«
Ian versuchte sich zu bewegen, aber wieder stieß Skar ihn derb zurück. Er warf Titch einen mahnenden Blick zu, den Bogen nicht zu überspannen, aber der Quorrl reagierte nicht darauf. Skar war nicht einmal mehr sicher, ob Titch die Bestie nun wirklich nur spielte oder ob er es für diesen Moment vielleicht war.
»Warte«, sagte er hastig. »Ich bin sicher, er wird reden.« Er beugte sich über Ian, machte sich einen Moment an seinem Helm zu schaffen und zuckte enttäuscht mit den Schultern, als es ihm nicht gelang, ihn zu lösen.
»Ich könnte ihn abreißen«, schlug Titch vor. »Aber ich weiß nicht, ob sein Kopf dabei auf den Schultern bleibt.«
»Unter dem Kinn«, sagte Ian hastig. »Ein kleiner Hebel. Leg ihn um.«
Skar suchte an der bezeichneten Stelle, fand den Hebel und hörte ein leises Klicken, als er darauf drückte. Ians Helm bewegte sich mit einem zischenden Geräusch einen Finger breit nach oben. Skar griff zu, zog ihn ganz ab und registrierte überrascht, wie schwer der klobige Helm war. Selbst ihm hätte es beträchtliche Mühe bereitet, stunden - wenn nicht tagelang mit diesem Ding auf den Schultern herumzulaufen.
Dabei war Ian kein kräftiger Mann, wie er erkannte, als er in sein Gesicht sah. Und er war wesentlich jünger, als er angenommen hatte. Seine Züge wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit denen Drasks und seines unheimlichen Doppelgängers auf: schmal, zerfurcht und hakennasig und von einem Haarschopf aus dünnem, fast weißem Haar gekrönt. Aber er war allerhöchstens dreißig Jahre alt. Seine Haut war blaß und wirkte fast krank, und die ohnehin dünnen Lippen waren zu einem schmalen, trotzigen Strich zusammengepreßt.
Und irgendwie wirkte er... zufrieden, dachte Skar alarmiert. In seinen Augen rangen Furcht und Zorn miteinander, aber da war auch noch etwas, ein mühsam zurückgehaltener Triumph, den Skar sich nicht erklären konnte, der ihn aber aufs höchste beunruhigte, Ian hatte Angst, aber er sah ganz und gar nicht aus wie ein Mann, der geschlagen war.
»So«, sagte Titch drohend. »Und jetzt sprich.«
Ian schnaubte verächtlich. »Worüber? Über euren Sieg?« Er betonte das Wort auf eine Art, die es wie bösen Spott klingen ließ. Titch schlug ihn. Nicht sehr fest und nur einmal, aber der Hieb reichte, Ians Unterlippe aufplatzen zu lassen und ihm ein neuerliches, qualvolles Stöhnen abzuringen.
»Titch«, sagte Skar mahnend. »Nicht. Wir erfahren nichts von ihm, wenn du ihn totschlägst.«
»Es ist noch einer da«, grollte Titch. Zornig packte er Ian, schüttelte ihn ein paarmal und warf ihn wuchtig wieder zu Boden. Der Zauberpriester stöhnte. »Schlag mich ruhig, du Tier«, murmelte er. »Aber du änderst nichts damit. Ihr habt keine Chance. Wenn die Krankheit euch nicht umbringt, dann tun es die Drachen oder dieses Tal. Wir müssen gar nichts mehr tun.«
Titch ballte mit einem zornigen Knurren die Faust, schlug aber nicht zu, als Skar ihm einen warnenden Blick zuwarf.
Ein helles, singendes Geräusch ließ Skar mitten in der Bewegung erstarren. Alarmiert sah er auf, blickte Titch an, dann den bewußtlosen Zauberpriester und schließlich Brols Leichnam, ehe er begriff, woher das Geräusch kam: aus dem Inneren von Ians Helm.
»Was zum Teufel bedeutet das?« knurrte Titch.
Ians aufgeplatzte Lippe verzerrte sich zu einem dünnen Grinsen. »Warum wartest du nicht einen Augenblick?« fragte er. »Dann wirst du es sehen.«
Titch versetzte dem Zauberpriester einen weiteren Hieb, der ihn für Sekunden das Bewußtsein verlieren ließ, während sich Skar verwirrt über den riesigen Helm beugte. Das singende Geräusch hielt an und wurde ein wenig lauter, schien jetzt irgendwie ungeduldiger, drängender zu klingen, und als Skar den Helm hochhob und herumdrehte, erlebte er eine Überraschung: Trotz seiner enormen Größe war sein Inneres gerade ausreichend, Ians Kopf aufzunehmen; der Rest des sonderbaren Gebildes wurde von einer verwirrenden Ansammlung metallener Gerätschaften und unverständlicher Dinge eingenommen. Ein kleines, hellgrünes Licht flackerte Skar wie ein blinzelndes Auge entgegen. Und plötzlich hörte er eine Stimme: »Ian? Ian, melde dich! Was ist los bei euch? Brol! Ennart!«
»Zauberei!« entfuhr es Titch. Seine Augen wurden groß. »Das ist -«
»Das ist eine verdammte Falle, keine Zauberei!« keuchte Skar. »Sie wissen, daß wir hier sind! Weg hier!«
Die beiden letzten Worte hatte er geschrien.