Es war sehr dunkel hier unten. Die Schwärze schien das Licht ihrer halb heruntergebrannten Fackeln aufzusaugen wie ein körperloser Schwamm, aber der zuckende rote Schein reichte trotzdem aus, Skar erkennen zu lassen, daß der Eingang zur Drachenhöhle nicht leer war.
Er war groß - halb so hoch wie die Stadttore Elays und zu perfekt gerundet, um trotz der hervorspringenden Kanten und Grate natürlichen Ursprungs zu sein. Und etwas versperrte ihn. Ein Netz. Ein schwarzes Gewebe aus fingerdicken Strängen, zu einer Spirale gedreht wie das Netz einer gigantischen Spinne und mit einem riesigen, klumpigen Zentrum, aus dessen Mitte ein Dutzend kleiner, böser Augen auf Kiina und ihn herabstarrten...
Kiina schrie auf und taumelte zurück, und auch Skars Herz machte einen erschrockenen Sprung und hämmerte schneller und mit schmerzhafter Kraft weiter. Seine Hand zuckte instinktiv zum Gürtel und riß das Tschekal hervor, gleichzeitig trat er einen halben Schritt zurück und spreizte die Beine, um festen Stand für den Fall eines Angriffes zu haben, alles in einer einzigen, fließenden, unglaublich schnellen Bewegung, die fast gegen seinen Willen ablief und noch ehe ihm klar wurde, wie lächerlich das Satai-Schwert gegen die Sternenbestie im Zentrum des Netzes wirkte.
Vor allem, da sie tot war.
Verblüfft ließ er das Schwert sinken und hob statt dessen die Fackel höher. Der zuckende Lichtschein floß wie blutiges Wasser an den ineinandergeknoteten Strängen des Netzes hinauf, erreichte den aufgedunsenen Balg des Monsters und brach sich in seinen erloschenen Augen wie in funkelnden Diamanten. Gräßliche Fänge, halb geöffnet, als wolle das Ungeheuer selbst im Tode noch zubeißen, grinsten ihn an. Auf der schwarzen Haut, die wie steinhartes zerbrochenes Leder war, hatten sich Tropfen einer wasserklaren Flüssigkeit gesammelt, die in regelmäßigen Abständen zu Boden fielen und sich dicht vor Skars Füßen zu einer schimmernden Pfütze gesammelt hatten. Einer der zahllosen, mit entsetzlichen Klauen bewehrten Schlangenarme des Monsters pendelte leicht hin und her, von einem Luftzug bewegt, und die Fackel in Skars Hand ließ seinen Schatten übergroß an der Wand entlanghuschen und sich nach den ihren greifen. Aber das Ungeheuer war tot. Und zwar schon seit langer Zeit.
Skar machte einen vorsichtigen Schritt auf das Netz zu und senkte hastig die Fackel, als die Flammen einen der Fäden streiften und zischende Funken aufstoben.
»Skar!« sagte Kiina erschrocken. »Sei vorsichtig!«
Skar machte eine beruhigende Handbewegung, aber er hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um seinen Blick von der toten Scheußlichkeit zwanzig Fuß über sich zu lösen. Selbst tot und bereits halb in Verwesung übergegangen wirkte das Ding noch drohend.
»Keine Angst«, sagte er. »Es kann dir nichts mehr tun. Es ist tot.« Um seine Worte zu bekräftigen, hob er das Schwert und durchtrennte einen der fingerdicken Stränge vor sich. Er zersprang mit einem peitschenden Knall, und die Erschütterung pflanzte sich durch das gesamte Netz fort und ließ die Bestie in seinem Zentrum erbeben. Kiina verzog angeekelt das Gesicht, als sich ein Hautlappen von seinem Körper löste und mit einem widerwärtigen feuchten Geräusch zu Boden fiel.
»Es ist... dasselbe Ding wie in der Burg, nicht wahr?«. Kiinas Stimme klang gepreßt. Sie kämpfte gegen die Übelkeit an, die der Anblick in ihr auslöste.
Skar nickte, obwohl er nicht einmal sicher war, daß sie die Bewegung sah. Dieselbe Kreatur, dasselbe Netz, nur kleiner und bereits halb zerfallen. Was in Draks Trutzburg begonnen hatte, hatte hier in Elay seine Vollendung gefunden. Er fragte sich, ob die Bergfestung mit all ihren Bewohnern am Schluß auch so ausgesehen hätte wie die Stadt über ihnen, wäre es ihm nicht gelungen, die Sternenbestie zu vernichten.
»Aber sie ist... tot«, stammelte Kiina. Ihre Stimme wurde schrill. »Sie haben sie getötet, so wie du das Ungeheuer in der Burg!« Sie fuhr herum und starrte ihn an. Ihre Augen waren weit und dunkel. »Sie haben sie besiegt, Skar! Sie müssen noch leben!« Skar antwortete nicht darauf. Kiinas Schlußfolgerung war von einer verlockenden Logik, aber er wußte einfach, daß sie falsch war. Es war die Höhle der Drachenkönigin, vor der die Bestie hockte, das Zentrum von Elays Macht, ein Ort, der sicherlich nicht durch Zufall gewählt war; er war voller schrecklicher Symbolik. Er sprach nichts von diesem Gedanken aus, aber Kiina schien sie in seinen Augen zu lesen. Sie begann zu zittern.
Und dann tat sie etwas, was Skar vollkommen überraschte: Völlig warnungslos griff sie zu, zerrte den Scanner aus seinem Gürtel und riß die Waffe mit beiden Händen in die Höhe, so schnell, daß selbst Skars Reaktion zu spät kam. Der Scanner spie einen grellweißen, kreischenden Lichtblitz aus, und plötzlich verwandelte sich der Kadaver der Sternenbestie über ihren Köpfen in einen lodernden Feuerball.
Skar sprang mit einem Fluch zurück, zerrte Kiina mit sich und entriß ihr die Waffe. Kiina starrte ihn trotzig an und versuchte, ihm den Scanner wieder zu entringen, und plötzlich hatte Skar Lust, sie zu ohrfeigen.
Er tat es nicht, aber Kiina schien abermals zu spüren, was in ihm vorging, denn sie hörte auf, an seinem Arm zu zerren und beschränkte sich darauf, ihn trotzig anzufunkeln, während sie ein paar Schritte weiter vor dem brennenden Kadaver zurückwichen. Skars Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war. Im Grunde konnte er Kiina sehr gut verstehen. An ihrer Stelle hätte er vielleicht nicht anders gehandelt.
Sie sahen schweigend zu, wie der Kadaver der Sternenbestie verbrannte. Es ging sehr schnell. Der aufgedunsene Balg brannte wie trockener Zunder. Sie konnten zusehen, wie er in den Flammen zusammenschrumpfte und zu einem kleinen, glühenden Etwas wurde, das träge zu Boden stürzte, als die Flammen auf das Netz übergriffen und es ebenfalls verzehrten. Vorhin, als er mit dem Schwert einen der Stränge zerschnitten hatte, hatte er gespürt, wie hart und trocken die Fäden geworden waren. Kiina täuschte sich. Mit klopfendem Herzen gingen sie weiter, als keine Gefahr mehr bestand, von einem herunterstürzenden Teil des Gewebes getroffen zu werden. Die Flammen des brennenden Netzes erfüllte die Höhle mit zuckendem Feuerschein und Schatten, in die Skars überreizte Nerven Bewegung hineinzauberte. Nicht, daß das nötig gewesen wäre. Was sie sahen, das war ein Bild aus einem Alptraum; schlimmer noch - es war Wirklichkeit, die die Phantasie überholt hatte.
In der Höhle befanden sich die Kadaver von mehr als einem Dutzend Drachen. Die meisten waren zu Boden gestürzt, aber einige standen auch aufrecht da, in absurden Stellungen eingewoben in die Fäden des schwarzen Netzes, das die Höhle in ein Labyrinth sich überschneidender Fäden und dunkler Klumpen verwandelte. Der Felsensaal war nicht sehr groß, verglichen mit der zyklopischen Höhle, durch die sie gekommen waren, aber sie war noch immer riesig. Trotzdem erfüllte das abgestorbene schwarze Gewebe ihr hinteres Drittel so dicht, daß ein Durchkommen dort fast unmöglich sein mußte. Darin eingewoben, wie Beute in schwarzen Kokons - vielleicht waren sie es -, dunkle Umrisse, die im flackernden Feuerschein nicht zu identifizieren waren. Selbst aus Ritzen und Spalten des Bodens kräuselten sich abgestorbene schwärzliche Fäden, wo das Netz den Felsen aufgebrochen und durchdrungen hatte.