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»Was tun wir jetzt?« fragte Andrew. »Sollen wir alle blonden Frauen unter dem Pensionsalter bitten, abends nicht mehr vor die Tür zu gehen?«

»Dann riskieren wir bloß, daß er untertaucht und wir ihn niemals finden«, sagte Lebie. Er hatte ein Taschenmesser hervorgekramt und reinigte sich damit mühselig die Fingernägel.

»Andererseits frage ich mich, ob wir die gesammelte australische Blondinenschar als Lockfutter für diesen Kerl herumlaufen lassen dürfen?« erwiderte Yong.

»Es nützt doch nichts, die Menschen zu bitten, nicht mehr raus zu gehen«, brummte Wadkins. »Wenn er nach Opfern sucht, findet er sie auch. Hat er nicht bei einigen seiner Opfer sogar eingebrochen? Vergeßt es, wir müssen ihn ausräuchern.«

»Wie das denn? Er operiert doch im ganzen verdammten Osten von Australien und niemand weiß, wann er wieder zuschlägt. Der Kerl vergewaltigt und tötet doch vollkommen willkürlich.« Lebie sprach mit seinen Nägeln.

»Nein, das stimmt nicht«, entgegnete Andrew, »jemand, der so lange durchhält, macht nichts willkürlich. Es kann sein, daß manche Serienmörder wollen, daß ihre Morde an die Öffentlichkeit kommen. Sie setzen bei den Opfern ihre Duftmarken und lassen sich identifizieren. Aber dieser hier nicht. Er versucht statt dessen, Übereinstimmungen zu vermeiden. Bloß seine Neigung zu würgen entlarvt ihn. Ansonsten ist er unberechenbar. Glaubt er. Aber er täuscht sich. Denn es gibt ein Muster. Es gibt immer ein Muster. Nicht weil man es plant, sondern weil alle Menschen Gewohnheitstiere sind, da gibt es keinen Unterschied zwischen mir und dir und einem Vergewaltiger. Es gilt ganz einfach nur, herauszufinden, was die Gewohnheiten dieses speziellen Tieres sind.«

»Der Mann ist verrückt«, sagte Lebie. »Sind nicht im Grunde alle Serientäter schizophren? So daß sie Stimmen hören, die ihnen befehlen zu töten, oder so? Ich bin da ganz Harrys Meinung, laßt uns einen Seelendoktor einschalten.«

Wadkins kratzte sich im Nacken. Er wirkte beinahe ratlos.

»Ein Psychologe kann uns sicherlich viel über einen Serienmörder erzählen, aber es ist nicht sicher, daß das wirklich das ist, was wir hier brauchen«, sagte Andrew.

»Sieben Morde. Das ist doch wohl ein Serienmörder«, brummte Lebie.

»Hör mal zu«. Andrew lehnte sich über den Tisch und streckte seine großen schwarzen Hände vor. »Für einen Serienmörder ist der Sexualakt dem Mord untergeordnet. Es ist für ihn sinnlos, eine Frau zu vergewaltigen, ohne sie anschließend zu töten. Für unseren Mann aber ist die Vergewaltigung das Wichtigste. In den Fällen, in denen er getötet hat, gab es dafür, wie Wadkins gesagt hat, vermutlich einen praktischen Grund. Zum Beispiel, daß ihn das Opfer sonst identifizieren könnte. Daß sie sein Gesicht gesehen haben.« Andrew machte eine Pause. »Oder daß sie wissen, wer er ist.« Er ließ die Hände wieder auf den Tisch sinken.

Der Ventilator in der Ecke knirschte, aber die Luft war dicker als jemals zuvor.

»Statistik ist etwas Feines«, sagte Harry, »aber wir dürfen uns von ihr nicht verwirren lassen. Ein norwegisches Sprichwort lautet: ›Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.‹«

Wadkins hatte sich ein Tuch aus der Tasche geholt und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Es ist wohl möglich, daß Mr. Holys Sprichwort durch die Übersetzung etwas an Sinn verloren hat, aber ich habe das wirklich nicht kapiert«, sagte er.

»Ich will damit bloß sagen, daß uns die großen Zusammenhänge nicht daran hindern dürfen, weiter die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß es sich bei dem Mord an Inger Holter auch um einen Einzelfall handeln könnte. Auch während der Pest sind manche Menschen ganz einfach an Lungenentzündung gestorben, nicht wahr? Lassen Sie uns davon ausgehen, daß Evans White kein Serienmörder ist. Daß da ein anderer Kerl herumrennt und Blondinen ermordet, bedeutet noch nicht, daß Evans White nicht vielleicht doch der Mörder von Inger Holter ist.«

»Ein bißchen umständlich, Holy, aber wir verstehen, was Sie meinen«, sagte Wadkins und zog ein Fazit: »Okay, Leute, wir suchen nach einem Vergewaltiger und möglicherweise – ich wiederhole – möglicherweise nach einem Serienmörder. Es ist an McCormack zu entscheiden, ob wir die Nachforschungen ausdehnen müssen. Inzwischen arbeiten wir hier erst einmal mit dem, was wir haben. Kensington, gibt es bei Ihnen etwas Neues?«

»Tja, Holy war ja nicht rechtzeitig zur Morgenbesprechung da, ich möchte deshalb noch einmal wiederholen, daß ich ein zweites Mal mit Robertson, Inger Holters phantastischem Vermieter, gesprochen und ihn gefragt habe, ob ihm zu dem Namen Evans White etwas einfällt. Der Nebel scheint sich bei ihm inzwischen ein bißchen gelichtet zu haben, denn er hat sich gemeldet, und wir werden ihm heute nachmittag noch einmal einen Besuch abstatten. Ansonsten hat unser guter Freund, der Sheriff von Nimbin, angerufen. Diese Angeline Hutchinson hat bestätigt, daß sie an den zwei Tagen, die für den Mord an Inger Holter in Betracht kommen, mit Evans White zusammen war.«

Harry fluchte.

Wadkins klatschte in die Hände. »Also zurück an die Arbeit, Jungs. Let's nail this bastard!«

Der letzte Satz klang jedoch nicht so richtig überzeugend.

Harry hatte einmal gehört, daß Hunde ein durchschnittliches Erinnerungsvermögen von etwa drei Sekunden hätten, daß diese Zeitspanne aber durch zahlreiche Wiederholungen beträchtlich ausgedehnt werden konnte. Der Name »Pawlow'scher Hund« resultiert aus den Versuchen des russischen Physiologen Iwan Pawlow mit Hunden, mit denen er die sogenannten bedingten Reflexe im Nervensystem untersuchte. Eine gewisse Zeit lang erklang immer das gleiche Signal, wenn er den Hunden zu essen gab. Eines Tages aber gab er dieses Signal, ohne ihnen Essen zu geben. Trotzdem begannen die Speicheldrüsen und der Magen der Hunde zu arbeiten, um das Essen zu verdauen. Vielleicht nicht so überraschend, aber Pawlow bekam dafür den Nobelpreis. Es war der Beweis dafür, daß zahllose Wiederholungen den Körper dazu bringen können, sich zu »erinnern«.

Als Andrew zum zweiten Mal innerhalb nur weniger Tage den tasmanischen Teufel mit einem gutdosierten Flachschuß in die Hecke feuerte, gab es also noch immer die Hoffnung, daß ihm diese Begebenheit länger in Erinnerung bleiben würde als der erste Tritt. Sollte Robertsons Hund wieder einmal fremde Schritte vor dem Gartentürchen hören, würden ihm – statt daß sein kleines, bösartiges Gehirn zu kochen begann – vielleicht die Rippen schmerzen.

Robertson empfing sie in der Küche und bot ihnen Bier an. Andrew nahm dankend an, Harry aber bat um ein Glas Mineralwasser, das Robertson jedoch leider nicht auftreiben konnte, und so meinte Harry schließlich, daß er sich einfach mit einer Zigarette begnüge.

»Bitte nicht«, sagte Robertson, als Harry das Päckchen aus der Tasche zog. »In meinem Haus ist das Rauchen verboten. Zigaretten sind nicht gut für Sie«, sagte er und kippte die halbe Flasche Bier hinunter.

»Oh, Sie beschäftigen sich mit Gesundheitsfragen?« fragte Harry.

»Aber ja«, erwiderte Robertson scheinbar unbeirrt durch Harrys spöttische Bemerkung. »In diesem Haus wird weder geraucht noch Fleisch oder Fisch gegessen. Hier atmen wir frische Luft und essen das, was die Natur uns zu bieten hat.«

»Gilt das auch für den Hund?«

»Mein Hund hat seit seiner Welpenzeit kein Fleisch oder Fisch mehr gegessen. Das ist ein echter Lacto-Vegetarier«, sagte er mit unverhohlenem Stolz.

»Das erklärt die schlechte Laune«, brummte Andrew.

»Mr. Robertson, haben wir Sie richtig verstanden, daß Sie Evans White kennen? Was können Sie uns über ihn sagen?« fragte Harry und nahm sein Notizbuch hervor. Er hatte nicht vor, irgend etwas aufzuschreiben, aber nach seiner Erfahrung glaubten die Zeugen in Anbetracht eines Notizbuches, daß ihre Aussage von ganz besonderer Bedeutung war. Das brachte sie vielleicht unbewußt dazu, genauer zu werden, gründlicher über alles nachzudenken und exakter mit Fakten wie Uhrzeiten, Namen oder Orten umzugehen.