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›Ihr könnt euch im ganzen Land, das ich für euch erschaffen habe, Nahrung suchen, dieser Baum aber gehört mir‹, ermahnte er die beiden Menschen. ›Versucht ihr aber, auch von ihm Nahrung zu gewinnen, wird euch und euren Nachkommen viel Schlechtes widerfahrene.‹ Irgend so etwas. Jedenfalls, eines Tages, als Ber-rok- boorn fort war, um Holz zu sammeln, kam seine Frau am Yarran- Baum vorbei. Anfangs, als sie plötzlich bemerkte, daß sie unter dem heiligen Baum stand, verspürte sie große Angst, doch es lag so viel Holz unter diesem Baum, daß sie ihrer ersten Eingebung, möglichst schnell fortzulaufen, nicht folgte. Außerdem hatte Baime nichts von Holz gesagt. Während sie das Holz einsammelte, hörte sie ein schwaches Summen über sich und schaute auf, und da sah sie den Bienenschwarm und den Honig, der an dem Stamm des Baumes herablief. Sie hatte erst ein einziges Mal zuvor ein wenig Honig gekostet, doch hier gab es Nahrung für viele Mahlzeiten. Die Sonne glitzerte in den blanken, süßen Tropfen und schließlich konnte sich Ber-rok-boorns Frau nicht mehr länger zurückhalten, sie kletterte in den Baum.

In diesem Moment kam ein kalter Hauch von oben, und eine große dunkle Gestalt umkreiste mit riesigen schwarzen Schwingen ihren Körper. Es war die Fledermaus Narahdarn, die Baime mit der Bewachung des Baumes beauftragt hatte. Die Frau fiel zu Boden und rannte zurück zu ihrer Höhle. Dort versteckte sie sich. Aber es war zu spät, sie hatte den Tod auf die Welt gerufen, symbolisiert durch die Fledermaus Narahdarn, und alle Nachkommen Ber-rok-boorns würden diesem Bann unterliegen. Der Yarran-Baum weinte seine bitteren Tränen über das Tragische, das geschehen war. Die Tränen rannen am Baum herab und erstarrten, und deshalb kann man heute an der Rinde des Yarran-Baumes rotes Gummi finden.«

Andrew zog zufrieden an seiner Zigarre.

»Adam und Eva auf australisch, nicht wahr?«

Harry nickte und mußte anerkennen, daß es eine ganze Menge Ähnlichkeiten gab.

»Vielleicht ist es einfach so, daß die Menschen, egal wo sie auf der Erde leben, auf irgendeine Weise die gleichen Visionen und Phantasien haben. Daß das naturgegeben ist, sich sozusagen fertig auf der Harddisk befindet. Daß wir trotz aller Unterschiede früher oder später bei den gleichen Antworten landen.«

»Laß uns das hoffen«, sagte Andrew. Er schaute mit zusammengekniffenen Augen durch den Rauch. »Laß uns das hoffen.«

Harry hatte schon seine zweite Cola bestellt, als Birgitta zehn Minuten nach neun erschien. Sie trug ein einfaches, weißes Baumwollkleid und hatte die roten Haare in einem beeindruckenden Pferdeschwanz gebändigt.

»Ich habe schon befürchtet, daß du nicht kommst«, sagte Harry. Er hatte das im Spaß gesagt, aber innerlich meinte er es so. Diese Befürchtung hatte er schon, seit er sich mit ihr verabredet hatte.

»Wirklich?« antwortete Birgitta auf schwedisch und warf Harry einen schelmischen Blick zu. Und er fühlte instinktiv, daß dies ein schöner Abend zu werden versprach.

Sie bestellten grünes Schweinecurry, Hühnchen mit Cashewnüssen, einen australischen Chardonnay und Perrier.

»Ich muß ja sagen, daß ich ziemlich überrascht bin, so weit von zu Hause entfernt auf jemand aus Schweden zu treffen.«

»Das solltest du nicht sein. Es wohnen ungefähr neunzigtausend Schweden in Australien.«

»Was?«

»Die meisten sind vor dem Zweiten Weltkrieg hierher emigriert, aber eine ganze Reihe junger Leute kam erst in den achtziger Jahren, als die Arbeitslosigkeit in Schweden zu steigen begann.«

»Und ich habe geglaubt, ihr Schweden vermißt eure Fleischklößchen und den Mitsommernachtsbaum schon, bevor ihr Helsingör erreicht.«

»Du mußt da was mit den Norwegern verwechselt haben. Ihr seid doch verrückt! Die Norweger, die ich hier unten getroffen habe, haben alle schon nach ein paar Tagen Heimweh bekommen, und nach zwei Monaten waren sie alle wieder zu Hause. Heim zum Norwegerpulli.«

»Nur nicht Inger?«

Birgitta wurde still.

»Nein, Inger nicht.«

»Weißt du, warum sie hier unten blieb?«

»Wohl aus dem gleichen Grund wie die meisten von uns. Man kommt in den Ferien hierher, verliebt sich in das Land, in das Klima, in das unkomplizierte Leben oder irgendeinen Kerl. Man versucht, eine erweiterte Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Mädchen aus Skandinavien haben in der Regel keine Probleme, in einer australischen Bar Arbeit zu finden, und plötzlich ist es so weit bis nach Hause und so einfach zu bleiben.«

»War das bei dir auch so?«

»So oder so ähnlich.«

Sie aßen eine Weile schweigend. Das Curry war gut, stark und kräftig.

»Weißt du etwas über Ingers neuen Freund?«

»Er war, wie gesagt, einmal abends in der Bar. Sie hat ihn in Queensland kennengelernt. Auf Fräser Island, glaube ich. Er sah aus wie diese Hippies, von denen ich geglaubt hatte, sie seien längst ausgestorben, aber hier in Australien gibt es sie immer noch, als wenn in der Zwischenzeit nichts geschehen wäre. Lange Haare mit Zöpfchen, bunte, weite Gewänder und Sandalen. Er sah aus, als käme er geradewegs vom Strand von Woodstock.«

»Woodstock liegt im Landesinneren. In New Jersey.«

»Aber gab es da nicht einen See, in dem man baden konnte? Ich meine, ich hätte so etwas gehört.«

Harry schaute sie genauer an. Sie saß etwas nach vorne gebeugt da und konzentrierte sich auf das Essen. Die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken schienen fast zusammengewachsen zu sein. Harry fand sie sehr anziehend.

»Du brauchst doch so was nicht zu wissen. Du bist zu jung.«

Sie lachte. »Und du, was bist du – ein Opa?«

»Ich? Ja, vielleicht, an manchen Tagen bin ich das wohl. So etwas bringt die Arbeit manchmal mit sich – irgendwo innerlich wird man da viel zu schnell alt. Aber hoffentlich bin ich noch nicht so desillusioniert und ausgedient, daß ich mich nicht hin und wieder lebendig fühle.«

»Oh, du Armer …«

Harry mußte lächeln. »Du kannst glauben, was du willst, aber ich sage das nicht, um an deine Muttergefühle zu appellieren – auch wenn das vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre – das ist einfach so.«

Der Kellner ging am Tisch vorbei, und Harry nutzte die Gelegenheit, um noch eine Flasche Perrier zu bestellen.

»Jedesmal, wenn man die Geschichte eines Mordes untersucht, ist man selbst irgendwie ein wenig betroffen und verletzt. Außerdem finden sich da im verborgenen immer noch viel mehr menschliche Scheiße und traurige Schicksale und viel weniger ausgetüftelte Motive, als man nach all den Agatha-Christie-Romanen glauben mag. Anfangs habe ich mich selbst als eine Art Ritter der Gerechtigkeit angesehen, aber manchmal fühle ich mich jetzt eher wie ein Müllmann. Mörder sind meistens jämmerliche Gestalten, und es ist nur selten wirklich schwierig, mindestens zehn gute Gründe dafür zu finden, warum sie so geworden sind, wie sie sind. In der Regel endet es damit, daß man an erster Stelle ganz einfach frustriert ist. Frustriert darüber, daß sie sich nicht damit begnügen, ihre eigenen Leben zugrunde zu richten, sondern daß sie auch noch andere mit in die Tiefe reißen müssen. Das hört sich immer noch ein bißchen sentimental an, oder …«

»Sorry, das sollte nicht zynisch klingen. Ich verstehe, wie du das meinst«, sagte sie.

Ein warmer Windhauch wehte von der Straße herein, und die Kerze zwischen ihnen begann zu flackern.