Birgitta erzählte von sich und ihrem Freund, wie sie damals vor vier Jahren in Schweden ihre Rucksäcke gepackt hatten und als backpackers losgefahren waren, von ihrer Tour mit dem Bus und per Autostop von Sydney nach Cairns, von den Übernachtungen im Zelt und in billigen Hotels, in denen sie später auch am Empfang und in der Küche gejobt hatten und davon, wie sie am Great Barrier Reef mit Schildkröten und Hammerhaien um die Wette geschwommen waren. Sie hatten am Ayers Rock meditiert, Geld gespart für den Zug von Adelaide nach Alice Springs, waren beim Konzert von Crowded House in Melbourne gewesen und schließlich in einem Motel in Sydney gestrandet.
»Es ist merkwürdig, wie etwas, das so gut funktioniert, so … falsch sein kann.«
»Falsch?«
Birgitta zögerte etwas. Vielleicht meinte sie, diesem aufdringlichen Norweger bereits mehr als genug erzählt zu haben.
»Ich weiß nicht so recht, wie ich das erklären soll. Uns kam unterwegs irgend etwas abhanden, etwas, das es vorher gegeben hatte und das wir als Selbstverständlichkeit angesehen hatten. Wir haben damit aufgehört, uns anzuschauen, und bald danach damit, uns zu berühren. Wir wurden ganz einfach Reisegefährten, Menschen, die zusammenblieben, weil es billiger ist, ein Doppelzimmer zu nehmen und sicherer, wenn man im Zelt übernachtete. Er traf in Noosa ein deutsches Millionärstöchterchen, und ich reiste weiter, damit er seine Affäre in Ruhe beenden konnte. Mir war das scheißegal. Als er nach Sydney kam, sagte ich ihm, daß ich mich in einen amerikanischen Surffreak verliebt hätte. Ich weiß nicht, ob er mir geglaubt hat, vielleicht hat er verstanden, daß ich uns beiden die Gelegenheit verschaffte, einen Schlußstrich zu ziehen. Wir versuchten, uns in diesem Motel zu streiten, aber nicht einmal mehr das gelang uns noch. Ich bat ihn schließlich, nach Schweden zurückzufahren und zu sagen, ich käme bald nach.«
»Er dürfte inzwischen einen großen Vorsprung haben.«
»Wir waren sechs Jahre zusammen. Glaubst du mir, wenn ich sage, daß ich fast nicht mehr weiß, wie er aussah?«
»Ja, doch.«
Birgitta seufzte.
»Ich hätte das niemals geglaubt. Ich war mir so sicher, daß wir heiraten und Kinder bekommen und in einer kleinen Vorstadt von Malmö in einem Häuschen mit Garten leben würden, das Sydsvenska Dagbladet auf der Treppe, und jetzt – jetzt weiß ich kaum mehr, wie sich seine Stimme angehört hat oder wie es war, ihn zu lieben …« – sie schaute auf und blickte Harry an: »Oder daß er zu höflich war, mich zu bitten, doch einmal ruhig zu sein, wenn ich nach ein paar Gläsern Wein nicht mehr aufhören konnte zu reden.«
Harry lächelte breit. Sie hatte nichts dazu gesagt, daß er keinen Wein trank.
»Ich bin nicht höflich, ich bin einfach interessiert«, sagte er.
»Dann solltest du erst mal etwas mehr über dich erzählen, auch wenn du Polizist bist.«
Birgitta lehnte sich vor. Harry riß sich zusammen, nicht in ihren Ausschnitt zu gucken. Er roch ihren schwachen Duft und zog die Luft begierig durch die Nasenlöcher ein. Er durfte sich nicht täuschen lassen. Das waren nur irgendwelche gerissenen Leute von Karl Lagerfeld oder Christian Dior, die ganz genau wußten, was nötig war, um einen armen Teufel hinters Licht zu führen.
Sie roch phantastisch.
»Tja«, begann Harry, »ich habe eine ältere Schwester, meine Mutter starb vor neun Jahren, ich wohne in einer Wohnung in Oslo, die ich irgendwie nicht wieder loswerde. Ich habe keine längere Beziehung hinter mir und überhaupt nur eine, die Spuren hinterlassen hat.«
»Wirklich? Und es gibt in deinem jetzigen Leben niemanden?«
»Nein, nicht wirklich. Es gibt da ein paar unkomplizierte und oberflächliche Verhältnisse zu Frauen, die ich ab und zu anrufe, wenn sie sich nicht melden.«
Birgitta zog die Stirn in Falten.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Harry.
»Ich weiß nicht, ob ich diese Sorte Männer sonderlich schätze. Oder Frauen. So gesehen bin ich etwas altmodisch.«
»Das alles habe ich jetzt natürlich hinter mir gelassen«, sagte Harry und hob sein Perrierglas.
»Und ich weiß auch nicht, ob ich deine überlegten, klugen Antworten mag«, erwiderte Birgitta und stieß mit ihm an.
»Also, was ist dir wichtig bei einem Mann?«
Sie stützte ihr Kinn auf die Hand und dachte nach. »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich weiß besser, was ich nicht mag, als was ich mag.«
»Was magst du nicht, abgesehen von klugen Antworten?«
»Männer, die versuchen, mich anzumachen.«
»Macht dir das sehr zu schaffen?«
Sie lächelte. »Laß mich dir ein paar Tips geben, Casanova. Wenn du einer Frau gefallen willst, mußt du sie dazu bringen, sich einzigartig zu fühlen, zu glauben, daß sie ganz besonders behandelt wird und etwas bekommt, das nur ihr zusteht. Männer, die versuchen, Mädchen in irgendwelchen Bars aufzureißen, haben das einfach nicht begriffen. Aber bei so einem Libertin wie dir heißt das ja wohl, Perlen vor die Säue zu werfen!«
Harry lachte.
»Mit ein paar meine ich zwei. Ich habe ›ein paar‹ gesagt, weil sich das vielleicht ein bißchen wilder anhört, eher wie … drei. Die eine der beiden ist, nach allem, was sie mir gesagt hat, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, ohnehin auf dem Weg zurück zu ihrem Ex- Freund. Sie hat sich bei mir bedankt, daß die Beziehung so unkompliziert gewesen sei … oberflächlich, würde ich sagen. Bei der anderen handelt es sich um eine Frau, die ich einmal für mich gewinnen wollte und die jetzt darauf besteht, daß ich, da ich es war, der die Beziehung später beendete, ganz einfach die Pflicht hätte, dafür zu sorgen, daß sie, solange keiner von uns eine neue Beziehung eingeht, wenigstens ein Minimum an Sexualleben hat. Aber Moment mal … Warum soll ich mich verteidigen? Ich bin ein braver Kerl, der keiner Fliege ein Haar krümmt. Willst du damit sagen, daß ich versuche, dich zu …?«
»O ja, das versuchst du. Versuch das bitte nicht zu leugnen.«
Harry leugnete es nicht.
»Okay. Wie stelle ich mich dabei an?«
Sie nahm einen großen Schluck Wein und dachte nach.
»Gut, glaube ich. Brauchbar, auf jeden Fall. Nein, ich denke gut … ziemlich gut.«
»Das hört sich an wie zwei minus.«
»Etwa so, ja.«
Unten am Hafen war es dunkel und fast menschenleer. Frischer Wind kam auf. Auf der Treppe zum beleuchteten Opernhaus hatte sich ein ungewöhnlich dickes Brautpaar vor einem Fotografen aufgestellt. Er dirigierte sie hin und her, und die beiden Frischvermählten schienen keinen großen Gefallen daran zu haben, ihre schweren Körper zu bewegen. Schließlich einigten sie sich aber, und die nächtliche Fotosession vor der Oper endete mit einem Lächeln, Lachen und vielleicht mit einer kleinen Träne.
»Das muß es sein, was man mit ›vor Glück platzen‹ meint«, sagte Harry. »Oder sagt man so etwas auf schwedisch nicht?«
»Doch, man kann so glücklich sein, daß man auch auf schwedisch platzt.« Birgitta löste das Band, das ihre Haare zusammenhielt, und stellte sich vor dem Opernhaus an das Geländer der Kaimauer.
»Doch, das gibt es«, wiederholte sie, fast wie zu sich selbst. Sie drehte ihre Sommersprossennase zum Meer, und der Wind wehte ihr die Haare nach hinten aus dem Gesicht.
Sie sah aus wie eine Feuerqualle. Harry hatte nicht gewußt, daß Feuerquallen so schön sein konnten.
4
Eine Stadt mit Namen Nimbin, eine Kaffeemaschine und Angeline Hutchinson
Der große Zeiger von Harrys Armbanduhr zeigte eindeutig auf die Elf, doch die Stimme der Stewardeß, die durch den Lautsprecher erklang, bestand darauf, daß es erst zehn war.
»Hier in Queensland gibt es keine Sommerzeit«, erklärte Andrew. »Das war hier oben eine große politische Sache. Es fand schließlich eine Volksabstimmung statt, und die Bauern waren dagegen.«
»Mein Gott, mir scheint, wir sind im Land der Rednecks.«
»I'd say, mate. Bis vor kurzem durften Langhaarige diesen Staat nicht betreten. Es war ganz einfach verboten.«