»Nicht E oder Junk?« fragte Harry. »Warum das denn?« fragte Kinski sauer.
»Nun, ich weiß nur, wie das bei uns ist. Da wo ich herkomme, geht man nach der House-Welle davon aus, daß mehr als fünfzig Prozent der Jugendlichen über sechzehn in England schon einmal Ecstasy genommen haben. Und nach Train-spotting ist Junk das Modedope Nummer …«
»What? House? Trainspotting?« Der Mann blickte ihn verständnislos an. Harry hatte früher schon einmal bemerkt, daß die Geschehnisse der Gegenwart an den Junkies oftmals unbemerkt vorbeigingen.
»Wo können wir Evans finden?« fragte Andrew.
»Er ist zeitweise in Sydney, aber ich habe ihn vor ein paar Tagen in der Stadt gesehen. Er hat einen Sohn mit einer Frau aus Brisbane, die für gewöhnlich öfter hier auftaucht. Ich weiß nicht, wo sie im Augenblick ist, aber der Junge wohnt meistens auf dem Hof bei Evans, wenn er in Nimbin ist.«
Er erklärte ihnen, wo der Hof lag.
»Was ist White für ein Typ?« wollte Andrew wissen.
»Tja, was soll ich sagen?« Er kratzte sich am Kinn, »ein charmantes Arschloch, so nennt man das wohl.«
Andrew und Harry wußten nicht, ob man das so nannte, aber sie nickten als Zeichen, daß sie verstanden hatten.
»Es ist in Ordnung, mit ihm zu dealen, aber ich möchte nicht in der Haut von seiner Frau stecken, wenn ihr wißt, was ich meine.«
Sie schüttelten fragend die Köpfe.
»Er ist ja so ein Beau und nicht gerade bekannt dafür, sich nur mit einer Biene zu begnügen. Es gibt ständig Ärger mit seinen Frauen, sie kreischen und machen Theater, und da ist es ja wohl kein Wunder, wenn die eine oder andere von ihnen mal mit einem blauen Auge auftaucht.«
»Hm. Kennst du ein blondes, norwegisches Mädchen, das Inger Holter heißt? Sie wurde letzte Woche in der Watson Bay in Sydney tot aufgefunden, ermordet?«
»Ja? Hab nie von ihr gehört.« Er war ganz offensichtlich kein neugieriger Zeitungsleser.
Andrew drückte seine Zigarre aus, und er und Harry erhoben sich.
»Kann ich mich darauf verlassen, daß ihr das Maul haltet?« fragte Kinski und schaute sie skeptisch an.
»Natürlich«, erwiderte Andrew und bewegte sich auf die Tür zu.
Das Revier der Polizei lag in der Hauptstraße, kaum hundert Meter vom Museum entfernt, und sah wie ein gewöhnliches Wohnhaus aus. Der einzige Unterschied war ein kleines Schild im Vorgarten, das darüber Auskunft gab, daß sich hier die örtliche Polizeistelle befand. Drinnen saßen der Sheriff und sein Assistent hinter großen Schreibtischen in einem geräumigen Zimmer, das außerdem ein Sofa, einen Wohnzimmertisch, ein Fernsehgerät, eine beeindruckende Sammlung Topfpflanzen und ein Regal mit einer gediegenen Kaffeemaschine aufzuweisen hatte. Kleinkarierte Gardinen gaben dem Raum fast den Charme einer norwegischen Berghütte.
»Good day«, sagte Andrew.
»Good day, Sir«, antworteten der Sheriff und sein Assistent.
»Mein Name ist Kensington, und das ist Holy. Unsere Dienststelle in Sydney hat unser Kommen wohl angekündigt und Ihnen mitgeteilt, warum wir hier sind?«
»Teils ja, teils nein«, erwiderte der Sheriff. Er war ein blauäugiger, braungebrannter Kerl in den Vierzigern mit freundlichem Äußeren und einem kräftigen Händedruck. Er erinnerte Harry an den Vater in Flipper, einen dieser sicheren, moralisch vorbildhaften australischen Alltagshelden in Khakishorts, die so einiges abkonnten.
»Sydney war nicht so eindeutig. Wir haben verstanden, daß Sie auf der Suche nach einem Kerl sind, den wir aber nicht auf die Wache bringen sollten?« Der Sheriff erhob sich und strich seine Hose glatt. »Befürchten Sie, daß wir uns zu dumm anstellen? Glauben Sie, daß wir hier oben unsere Arbeit nicht können?«
»No offense, chief. Wir wissen, daß Sie hier alle Hände voll zu tun haben mit der Kartierung von Marihuana, deshalb wollten wir Sie nicht auch noch mit diesem Kerl belästigen und sind selber gekommen. Wir haben eine Adresse, und wir wollen dieser Person eigentlich auch nur ein paar Fragen stellen.«
Andrew schob zum Zeichen, daß es sich wirklich nur um eine Lappalie handelte, seine Unterlippe vor.
Der Sheriff brummte unzufrieden. »Sydney oder Canberra, das ist immer der gleiche Mist. Sie geben Befehle und schicken ihre Leute, und wir hier vor Ort sind die letzten, die davon erfahren. Und wem wird die Schuld in die Schuhe geschoben, wenn etwas schief geht?«
»Amen«, grunzte der Assistent hinter seinem Schreibtisch.
Andrew nickte. »Regen Sie sich nicht auf. Uns geht es auch nicht anders. Wie man sich auch dreht und wendet, überall gibt es Chefs, die sich ihre Hände noch nie schmutzig gemacht haben. Das ist heute ganz einfach so. Wir, die wir vor Ort im Dreck wühlen und wissen, wie der Hase läuft, werden von Schreibtischtätern mit mittelmäßigen Juraexamen dirigiert, die nichts anderes als ihre Karriere im Kopf haben.«
Harry beeilte sich, zustimmend zu nicken und vielsagend zu seufzen.
Der Sheriff schaute sie skeptisch an, aber Andrews Gesicht war wie eine Maske. Obwohl er nicht wußte, was er von ihnen halten sollte, bot er ihnen Kaffee an.
»Das ist ja wirklich eine gewaltige Maschine«, sagte Harry und deutete auf das Kaffeemaschinenmonster im Regal.
Damit hatte er ins Schwarze getroffen.
»Da läuft der Kaffee in einer Minute durch«, sagte der Sheriff stolz und gab ihnen eine kurze Einführung in die technischen Finessen.
Nach ein paar Tassen Kaffee waren sie zu der Erkenntnis gelangt, daß das Rugbyteam der North Sydney Bears ein elitärer Scheißverein und der norwegische Schlittschuhfahrer und Freund von Samantha Reilly sicher ganz in Ordnung war.
»Habt ihr übrigens die Demonstrationsaufrufe in der Stadt gesehen?« fragte der Assistent. »Sie fordern die Leute auf, morgen zum Hubschrauberlandeplatz zu kommen und unseren Heli umzustürzen. Sie meinen, es sei verfassungswidrig, Privateigentum zu fotografieren. Gestern haben sich fünf Leute festgekettet. Wir haben den Heli erst am späten Nachmittag in die Luft bekommen.«
Sheriff und Assistent warfen sich vielsagende Blicke zu. Es war ganz offensichtlich, daß ihnen das alles nicht sonderlich leid tat.
Nach einem weiteren Kaffee erhoben sich Andrew und Harry, sagten, es sei an der Zeit, jetzt mit diesem Evans White zu reden und bedankten sich für die herzliche Aufnahme und den Kaffee.
»Ach übrigens«, sagte Andrew und drehte sich in der Tür noch einmal um. »Mir ist zu Ohren gekommen, daß jemand in Nimbin Junk verkauft. Ein dünner, dunkler Kerl. Sieht aus wie ein Vampir im Hungerstreik.«
Der Sheriff schaute abrupt auf.
»Junk?«
»Der Beschreibung nach muß das Mondale sein«, sagte der Assistent.
»Mondale, dieses abgewichste dumme Arschloch!« rief der Sheriff.
Andrew tippte mit dem Finger an seinen fehlenden Hut.
»Ich dachte, das würde euch vielleicht interessieren.«
»Wie war das Essen mit unserer schwedischen Zeugin?« wollte Andrew wissen, als sie auf dem Weg zu Whites Anwesen waren.
»Gut. Ziemlich pfeffrig, aber gut«, antwortete ihm Harry. »Also bitte, Harry, worüber habt ihr geredet?«
»Oh, über vieles. Über Norwegen und Schweden.«
»Wer hat gewonnen?«
»Sie.«
»Was hat Schweden, das ihr in Norwegen nicht habt?« fragte Andrew.
»Um das Wichtigste gleich als erstes zu sagen: ein paar gute Filmregisseure. Bö Widerberg, Ingmar Bergmann …«
»Äh, Regisseure«, grunzte Andrew, »die haben wir hier auch. Edvard Grieg aber, den habt nur ihr.«
»Aber hallo«, sagte Harry, »ich hab nicht gedacht, daß du ein Kenner von klassischer Musik bist. Also wirklich.«