»Kannst du nicht ein bißchen auf mich aufpassen, Sandra? Nur heute nacht. Wegen Andrew. Ach, was sage ich, wegen mir!«
»Teddy wird sich schon fragen, wo ich …«
»Teddy wird sein Geld bekommen und die Klappe halten! Bitte!«
Sandra zögerte, seufzte dann aber:
»Okay, aber erst ziehen Sie mal diese Fetzen aus, Mr. Holy.«
Sie bugsierte ihn ins Bett, zog ihm die Schuhe und dann die Hose aus. Erstaunlicherweise gelang es ihm aus eigener Kraft, sein Hemd aufzuknöpfen und auszuziehen. Sandras schwarzes Minikleid verschwand in einem Rutsch über ihren Kopf. Ohne Kleider war sie noch dünner, die Schultern und Hüften stachen hervor, und ihre Rippen lagen wie ein Waschbrett unter den kleinen Brüsten. Als sie zu dem Lichtschalter hinüberging, um die Deckenlampe zu löschen, sah er, daß sie blaue Flecken auf dem Rücken und auf der Rückseite der Schenkel hatte. Sie legte sich neben ihn und streichelte über seine unbehaarte Brust und seinen Bauch.
Sandra roch schwach nach Schweiß und Knoblauch. Harry starrte an die Decke. Er wunderte sich, daß er in seinem Zustand überhaupt noch irgendwelche Gerüche wahrnahm.
»Der Geruch«, fragte er, »bist das du, oder sind das die anderen Männer, mit denen du heute nacht zusammen warst?«
»Beides, nehme ich an«, antwortete Sandra. »Stört dich das?«
»Nein«, antwortete Harry, ohne sicher zu sein, ob sie den Geruch meinte oder die anderen Männer.
»Du bist ziemlich voll, Harry, wir müssen nicht …«
»Fühl mal«, sagte Harry, nahm ihre feuchte, warme Hand und führte sie zwischen seine Beine.
Sandra lachte.
»Aber hallo, dabei hat mir meine Mama doch beigebracht, daß Männer, die trinken, nur eine große Klappe haben.«
»Bei mir ist das umgekehrt, der Sprit lähmt die Zunge, pumpt aber meinen Schwanz auf. Das ist wahr. Ich weiß nicht wieso, aber das war schon immer so.«
Sandra hockte sich auf ihn, zog den dünnen Slip zur Seite und führte ihn ohne weiteren Schnickschnack ein.
Er schaute sie an, während sie auf und nieder hüpfte. Sie erwiderte seinen Blick, lächelte ihn einmal flüchtig an und schaute dann wieder weg. Es war so ein Lächeln wie von jemandem in der Straßenbahn, dessen Blick man unabsichtlich zu lange erwidert hat.
Harry schloß die Augen, lauschte dem rhythmischen Quietschen des Bettes und dachte, daß es nicht ganz wahr war: der Alkohol lähmte. Die Empfindlichkeit, die ihn so früh kommen ließ, wie er versprochen hatte, war verschwunden. Sandra arbeitete unverdrossen weiter, während Harrys Gedanken unter der Bettdecke hervorschlüpften, das Bett verließen und aus dem Fenster entschwanden. Er reiste unter einem auf den Kopf gestellten Sternenhimmel über ein Meer, bis er eine Küste mit einem weißen Streifen erreichte.
Als er näherkam, sah er, daß es ein Sandstrand war, auf dem sich die Wellen brachen, und als er noch näher herankam, erkannte er dahinter eine Stadt, in der er früher schon einmal gewesen war, und daß ein Mädchen am Strand lag, das er ebenfalls kannte. Sie schlief, und er landete vorsichtig neben ihr, um sie nicht zu wecken. Dann legte er sich hin und schloß die Augen. Als er wieder erwachte, ging die Sonne unter. Er war alleine. Auf der Strandpromenade hinter ihm promenierten Menschen, die er auch zu kennen glaubte. Hatten nicht einige von ihnen in Filmen mitgespielt, die er gesehen hatte? Manche trugen Sonnenbrillen und führten vor den hohen Hotelfassaden, die sich auf der anderen Seite erhoben, winzige, spindeldürre Hündchen an der Leine spazieren.
Harry ging zur Brandungslinie hinunter und wollte ins Wasser gehen, als er sah, daß es voller Feuerquallen war. Sie schwappten in den Wellen hin und her und streckten ihre langen, roten Fäden aus, und tief unten in dem weichen geleeartigen Spiegel konnte er die Konturen von Gesichtern erahnen. Ein Boot stampfte vorbei. Es kam näher und näher, und plötzlich wachte Harry auf. Sandra schüttelte ihn.
»Da ist jemand«, flüsterte sie. Harry hörte, daß jemand an die Tür klopfte.
»Dieser Scheißtyp an der Rezeption!« fluchte er, sprang auf, hielt sich ein Kissen vor den Unterleib und öffnete die Tür.
Es war Birgitta.
»Hei«, sagte sie, doch ihr Lächeln erstarrte, als sie Harrys gequälten Gesichtsausdruck sah.
»Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung, Harry?«
»Ja«, sagte Harry, »es ist etwas nicht in Ordnung.« Sein Schädel dröhnte so, daß es ihm bei jedem Pulsschlag schwarz vor Augen wurde. »Warum bist du hier?«
»Sie haben nicht angerufen. Ich habe gewartet und gewartet, und schließlich habe ich dann zu Hause angerufen, aber keiner hat den Hörer abgenommen. Sie müssen sich von der Zeit her vertan und es versucht haben, als ich noch auf der Arbeit war. Sommerzeit und so, sie haben sich bestimmt mit dem Zeitunterschied vertan, typisch Papa.«
Sie redete schnell und versuchte wohl so zu tun, als sei es das Natürlichste von der Welt, mitten in der Nacht auf einem Hotelflur zu stehen und mit einem Kerl zu schwatzen, der offensichtlich nicht die Absicht hatte, sie hereinzulassen.
Sie blieben stehen und schauten einander an.
»Ist jemand bei dir?« fragte sie.
»Ja«, sagte Harry. Ihre Ohrfeige klang wie das Zerbrechen eines trockenen Astes.
»Du bist betrunken!« sagte sie. Tränen standen ihr in den Augen.
»Birgitta, ich …«
Sie gab ihm einen kräftigen Stoß, so daß er nach hinten ins Zimmer taumelte, und betrat dann selbst das Zimmer. Sandra hatte bereits wieder ihr Minikleid angezogen. Sie saß auf dem Bett und versuchte ihre Schuhe anzuziehen. Birgitta krümmte sich zusammen, als habe sie plötzlich Magenkrämpfe bekommen.
»You whore!« schrie sie.
»Richtig geraten«, sagte Sandra trocken. Sie nahm die Szene deutlich gelassener hin als die beiden anderen im Zimmer, bereitete sich aber dennoch auf einen schnellen Abgang vor.
»Nimm dein Zeug und verschwinde!« rief Birgitta mit tränenerstickter Stimme und bewarf Sandra mit der Handtasche, die auf dem Stuhl lag. Sie landete auf dem Bett und der Inhalt fiel heraus. Harry stand nackt und leicht schwankend in der Mitte des Zimmers und sah zu seiner großen Verwunderung, daß plötzlich ein Pekinese auf seinem Bett saß. Neben dem haarigen Dingsbums lagen eine Haarbürste, Zigaretten, Schlüssel, ein grünschimmerndes Steinchen und die größte Auswahl an Kondomen, die er jemals gesehen hatte. Sandra himmelte verärgert mit den Augen, packte den Pekinesen im Nacken und stopfte ihn wieder in ihre Tasche.
»Dann war'n da noch die Moneten, Süßer«, sagte sie.
Harry rührte sich nicht, und so hob sie seine Hose vom Boden auf und holte die Geldbörse aus der Gesäßtasche. Birgitta war auf einem Stuhl zusammengesunken. Einen Augenblick lang waren nur das konzentrierte Zählen von Sandra und das halberstickte Schluchzen von Birgitta zu hören.
»l'm outta here«, sagte Sandra, als sie zufrieden war, und verschwand durch die Tür.
»Warte!« sagte Harry, aber es war zu spät. Die Tür fiel ins Schloß.
»Warte?« fragte Birgitta. »Hast du ›warte‹ gesagt?« schrie sie und sprang vom Stuhl auf. »Du scheiß Hurensohn, du abgewichster Säufer. Du hast kein Recht …«
Harry versuchte, die Arme um sie zu legen, aber sie wehrte ihn ab. Sie blieben wie zwei Ringer voreinander stehen. Birgitta sah aus wie in Trance; ihre Augen waren blank und blind vor Haß, und ihr Mund zuckte vor Wut. Harry dachte, daß sie ihn jetzt ohne zu zögern töten würde, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte.
»Birgitta, ich …«
»Sauf dich doch um deinen Verstand und verschwinde aus meinem Leben!« Sie drehte sich auf dem Absatz um und rauschte durch die Tür. Der ganze Raum zitterte, als die Tür ins Schloß knallte.
Das Telefon klingelte. Es war die Rezeption. »Was geht bei Ihnen vor, Mr. Holy? Die Dame in Ihrem Nachbarzimmer hat sich …«
Harry legte auf. Eine plötzliche, wilde Wut packte ihn, und voller Zorn suchte er nach etwas, das er zerstören konnte. Hastig riß er die Whiskeyflasche vom Tisch und wollte sie an die Wand schmeißen, doch im letzten Moment besann er sich.