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»Gut«, sagte McCormack, »ich stelle fest, daß unser Freund Holy dazu übergegangen ist, Begriffe wie ›nicht ausgeschlossen oder nicht unmöglich‹ zu verwenden, wenn er seine Theorien vorbringt, was sicher klug ist. Mit übertriebener Sicherheit können wir nichts erreichen. Außerdem sollte inzwischen wohl allen klar sein, daß wir es mit einem verdammt intelligenten Mann zu tun haben. Und einem ebenso selbstsicheren. Er hat uns die Antworten geliefert, die wir haben wollten, uns den Mörder auf einem Silbertablett präsentiert und rechnet jetzt wohl damit, daß wir uns mit diesen Antworten begnügen. Daß wir den Fall als erledigt ansehen, weil sich der Schuldige das Leben genommen hat. Als er mit dem Zeigefinger auf Kensington deutete, wußte er natürlich, daß wir die Sache nicht an die große Glocke hängen würden – verdammt klug, das Ganze!«

McCormack schaute Harry an und sagte abschließend:

»Da wir die Sache nicht an die große Glocke hängen wollen, müssen wir weitere Nachforschungen unterlassen. Unser Vorteil ist, daß er sich in Sicherheit glaubt. Menschen, die sich sicher fühlen, sind oft unvorsichtig. Für uns ist es jetzt wichtig, zu entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir haben einen Verdächtigen und können uns keinen weiteren Fehler erlauben. Das Problem ist, daß wir nicht allzu viele Wellen machen dürfen, um den dicken Fisch nicht zu vertreiben. Wir müssen eiskalt abwarten, bis wir den großen Fisch ganz deutlich erkennen – und zwar so deutlich, daß wir uns nicht täuschen, und so nah, daß wir ihn nicht verfehlen können – erst dann dürfen wir die Harpune schleudern.«

Er schaute in die Runde. Alle nickten zustimmend über den unbestreitbar gesunden Verstand ihres Chefs.

»Und um das wirklich zu erreichen, müssen wir defensiv, still und systematisch arbeiten«, fügte McCormack hinzu.

»Da bin ich anderer Meinung«, sagte Harry.

Die anderen wandten sich ihm zu.

»Es gibt nämlich noch eine andere Möglichkeit, Fische zu fangen, ohne zu viele Wellen zu machen«, sagte Harry, »eine Schnur und ein Haken mit einem Köder, bei dem wir wissen, daß er anbeißen wird.«

Der Wind trieb Staubwolken vor sich her, die er auf dem Kiesweg aufwirbelte und über den kleinen steinernen Begrenzungswall des Friedhofs in Richtung der wenigen Menschen wehte, die sich dort versammelt hatten. Harry mußte die Augen zusammenkneifen. Der Wind riß an ihren Kragen und Rockschößen, so daß es aus einiger Entfernung aussah, als tanzten die Menschen, die sich an Andrew Kensingtons Grab versammelt hatten.

»Ein höllischer Wind«, flüsterte Wadkins während der Predigt des Pfarrers.

Harry stand da und hoffte, daß Wadkins unrecht hatte. Natürlich konnte man nicht wissen, welches Ziel der Wind hatte, er schien es aber auf jeden Fall sehr eilig zu haben. Und wenn er hier war, um Andrews Seele mitzunehmen, dann konnte man auf keinen Fall behaupten, daß er seine Arbeit liderlich machte. Die Seiten der Gesangsbücher flatterten ebenso wie die grüne Plane, mit der die Erdhaufen an beiden Seiten des Grabes abgedeckt waren. All jenen, die keine Hüte festhalten mußten, blieb nichts anderes übrig, als den anderen bei deren verzweifelten Bemühungen, diese festzuhalten, zuzusehen.

Harry hörte dem Pfarrer nicht zu, sondern starrte durch seine Augenschlitze zur anderen Seite des Grabes hinüber. Birgittas Haare züngelten wie eine große rote Stichflamme im Wind. Sie begegnete seinem Blick – ausdruckslos. Eine alte, zittrige Frau mit grauen Haaren saß mit einem Stock zwischen den Beinen auf einem Stuhl. Ihre Haut war gelblich, und auch ihr Alter konnte ihr ausgeprägt englisches Pferdegesicht nicht überdecken. Der Wind hatte ihr den Hut etwas verschoben. Harry hatte allmählich begriffen, daß das Andrews Pflegemutter sein mußte, aber sie war dermaßen alt und eingeschrumpft, daß sie Harrys Beileidsbekundung draußen vor der Kirche kaum wahrgenommen, sondern lediglich kurz genickt und irgend etwas Unverständliches gemurmelt hatte. Hinter ihr stand eine kleine, schwarze, fast unsichtbare Frau mit einem Mädchen an jeder Hand.

Der Pfarrer warf Erde auf den Sarg. Harry hatte sich zuvor aufklären lassen, daß Andrew der Church of England angehört hatte, die gemeinsam mit der katholischen Kirche die am meisten verbreitete Glaubensrichtung in Australien war. Harry hatte als Erwachsener erst zwei Beerdigungen beigewohnt, konnte aber keinen Unterschied zu den Beerdigungen in Norwegen feststellen. Sogar das Wetter war gleich. Als sie seine Mutter beerdigt hatten, waren garstige, blaugraue Wolken über den Westfriedhof gehetzt, nur daß diese es glücklicherweise zu eilig gehabt hatten, um sie naß zu machen. Bei Ronnys Beerdigung hatte die Sonne geschienen. Aber da hatte Harry hinter zugezogenen Gardinen im Krankenhaus gelegen, weil ihm das Licht Kopfschmerzen bereitete. Genau wie heute bestand sicher auch damals der größte Teil der Trauergäste aus Polizisten. Vielleicht hatten sie am Ende sogar den gleichen Psalm gesungen: »Nearer my God, to Thee!«

Die Versammlung löste sich auf, und man brach in Richtung Autos auf. Birgitta ging direkt vor Harry her. Sie wartete einen Augenblick, bis er neben ihr war.

»Du siehst krank aus«, sagte sie, ohne aufzuschauen.

»Du hast keine Ahnung, wie ich aussehe, wenn ich krank bin«, sagte er.

»Siehst du nicht krank aus, wenn du krank bist?« fragte sie. »Egal, ich sage ja nur, daß du krank aussiehst. Bist du krank?«

Eine plötzliche Windböe fegte über den Friedhof, so daß sich Harrys Schlips quer über sein Gesicht legte.

»Vielleicht bin ich ein bißchen krank«, sagte er, »aber nicht sehr. Du siehst aus wie eine Feuerqualle, wenn der Wind mit deinen Haaren kämpft … und sie mir ins Gesicht bläst.« Er zog ein langes rotes Haar aus seinem Mund.

Birgitta lächelte.

»Sei froh, daß ich kein jelly box-fish bin«, sagte sie.

»Jelly was für ein Ding?«

»Jelly box-fish!« sagte Birgitta. »Das ist eine Quallenart, die es vereinzelt hier an den Küsten gibt. Die ist wirklich ein bißchen schlimmer als eine Feuerqualle …«

»Jelly box-fish?« hörte Harry eine bekannte Stimme hinter sich. Er drehte sich um. Es war Toowoomba.

»How are you?« sagte Harry und erklärte auf englisch, daß Birgittas Haare in seinem Gesicht ihn auf diese Assoziation gebracht hatten.

»Nun, wenn es ein jelly box-fish wäre, würden sich jetzt rote Streifen in deinem Gesicht abzeichnen und du würdest schreien, als würdest du ausgepeitscht«, sagte Toowoomba. »Und in ein paar Sekunden würdest du umfallen, das Gift würde deine Atmung lahmen, du bekämst keine Luft mehr und würdest, wenn dir nicht augenblicklich jemand zur Hilfe käme, einen äußerst schmerzhaften Tod sterben.«

Harry hielt die Hände abwehrend vor sich in die Höhe.

»Danke, aber für heute war das genug Tod für mich, Toowoomba.«

Toowoomba nickte. Er trug einen schwarzen Seidensmoking mit einer Schleife. Toowoomba bemerkte Harrys musternden Blick.

»Das ist das einzige, was ich habe, das im entferntesten an einen Anzug erinnert. Noch dazu habe ich diesen Smoking von ihm geerbt.«

Er nickte mit dem Kopf zu dem Grab hinüber.

»Natürlich nicht erst jetzt, sondern schon vor ein paar Jahren«, fügte er hinzu. »Andrew behauptete, er sei ihm zu klein geworden. Alles Blödsinn, natürlich. Er wollte das nicht zugeben, aber ich wußte, daß er diesen Smoking damals vor der australischen Meisterschaft gekauft hatte, um ihn danach beim Bankett anzuziehen. Er wünschte sich wohl, daß der Smoking mit mir erleben würde, was ihm bei Andrew verwehrt blieb.«

Sie gingen über den Kiesweg, während die Autos langsam an ihnen vorbeifuhren.

»Kann ich dich etwas Persönliches fragen, Toowoomba?« fragte Harry.

»Ich denke doch«, sagte Toowoomba.

»Wo glaubst du, wird Andrew hinkommen?«

»Wie meinst du das?«

»Glaubst du, daß seine Seele nach dort oben kommt oder eher nach unten verschwindet?«