»Okay«, sagte Lebie und zog den Dietrich vorsichtig aus dem Schlüsselloch.
»Denken Sie daran, nichts zu berühren, falls die Wohnung leer ist!« flüsterte Wadkins den Polizisten zu.
Lebie stellte sich neben den Türrahmen und öffnete die Tür, woraufhin die beiden Polizisten, die Pistolen vorschriftsmäßig in beiden Händen, in die Wohnung stürmten.
»Sind wir wirklich sicher, daß da drinnen kein Alarm losgehen kann?« flüsterte Harry.
»Wir haben alle Sicherheitsdienste der Stadt überprüft, bei keinem ist diese Wohnung registriert«, sagte Wadkins.
»Ruhe, was ist das für ein Geräusch?« sagte Yong.
Die anderen spitzten die Ohren, konnten aber nichts Auffälliges hören.
»Somit können wir also die Bombenleger-Theorie vergessen«, sagte Wadkins trocken.
Einer der Polizisten kam wieder heraus. »Alles klar«, sagte er. Sie atmeten erleichtert auf und betraten die Wohnung. Lebie versuchte, das Licht im Flur einzuschalten, aber es funktionierte nicht.
»Merkwürdig«, sagte er und versuchte das Licht in dem kleinen, aber ordentlichen Wohnzimmer einzuschalten, aber auch das ging nicht. »Da muß eine Sicherung durchgebrannt sein.«
»Das macht nichts«, sagte Wadkins. »Es ist hier drinnen doch hell genug. Harry, du übernimmst die Küche. Lebie ins Bad und Yong?«
Yong stand vor dem PC, der auf einem Schreibtisch am Wohnzimmerfenster stand.
»Ich habe so ein Gefühl …«, sagte er. »Lebie, nimm dir eine Taschenlampe und überprüfe den Sicherungskasten im Flur.«
Lebie ging hinaus, und kurz darauf brannte das Licht im Flur, und es kam Leben in den Computer.
»Scheiße«, sagte Lebie, als er wieder den Raum betrat. »Es war ein Draht um die Sicherung gewickelt, den mußte ich erst wegmachen. Er führte an der Wand entlang und endete in der Tür.«
»Ein elektronisches Türschloß, nicht wahr? Die Sicherung war mit dem Türschloß gekoppelt, so daß der Strom unterbrochen wurde, als wir die Tür öffneten. Das Geräusch, das wir gehört haben, war der Ventilator des Computers, der sich abgeschaltet hat«, sagte Yong und drückte auf die Tastatur. »Dieses Gerät hat ein rapid resume, so daß wir überprüfen können, welche Programme gestartet waren, bevor sich der Computer ausgeschaltet hat.«
Eine blaue Erdkugel erschien auf dem Schirm, und eine lustige, kurze Melodie wurde abgespielt.
»Das hab ich mir doch gedacht!« sagte Yong. »Dieses gerissene Arschloch! Seht ihr das?« Er zeigte auf ein Symbol auf dem Bildschirm.
»Yong, zum Teufel, laß uns damit jetzt keine Zeit vergeuden!« brummte Wadkins.
»Sir, kann ich mir mal einen Augenblick Ihr Handy ausleihen?« Der kleine Chinese schnappte sich, ohne auf eine Antwort zu warten, Wadkins kleines Nokia-Telefon. »Was hat der hier für eine Nummer?«
Harry las die Nummer, die auf dem Telefon stand, laut vor, und Yong gab sie ein. Gleichzeitig mit dem Klingeln des Telefons machte der Computer ein Geräusch, und das Symbol auf dem Bildschirm entfaltete sich in seiner vollen Größe.
»Psst«, sagte Yong.
Ein Pfeifton war zu hören. Yong schaltete sofort das Handy aus.
Wadkins' Stirn legte sich in tiefe Falten.
»Was in Gottes Namen treibst du da, Yong?«
»Sir, ich fürchte, Toowoomba hatte doch ein Alarmsystem aufgebaut, und diesen Alarm haben wir ausgelöst.«
»Wie das denn?« Wadkins' Geduld hatte offensichtlich Grenzen.
»Haben Sie gesehen, wie sich das Programm eingeschaltet hat? Das ist ein gewöhnliches Anrufbeantworterprogramm, das über ein Modem mit dem Telefon verbunden ist. Bevor Toowoomba geht, liest er über dieses Mikrophon hier seinen Spruch ein. Wenn jemand anruft, wird das Programm aktiviert und Toowoombas Spruch abgespielt, und nach dem Pfeifton, den Sie gehört haben, können Sie Ihre Nachricht hinterlassen, die dann direkt auf dem Computer eingelesen wird.«
»Yong, ich weiß, was ein Anrufbeantworter ist. Wo ist das Problem?«
»Sir, haben Sie bei meinem Anruf vor dem Pfeifton einen Spruch gehört?«
»Nein …«
»Eben, die Ansage war eingegeben, aber nicht gespeichert worden.«
Es dämmerte Wadkins.
»Sie wollen damit sagen, daß die Ansage gelöscht wurde, als sich der PC ausschaltete?«
»Genau, Sir.« Yong zeigte mitunter merkwürdige Reaktionen. Jetzt, zum Beispiel, lächelte er breit.
»Und das ist für ihn ein Alarmsignal, Sir.«
Harry lächelte nicht, als er sich über das Ausmaß der Katastrophe klarwurde. »Toowoomba muß also nur hier anrufen und hören, daß sein Spruch gelöscht wurde, um festzustellen, daß jemand in seine Wohnung eingebrochen ist. Und daß es sich bei diesem jemand um uns handelt, weiß er dann wohl.«
Es wurde still im Zimmer.
»Er wird hier niemals auftauchen, ohne vorher anzurufen«, sagte Lebie.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, fluchte Wadkins.
»Er kann jeden Moment anrufen«, sagte Harry. »Wir müssen Zeit gewinnen. Hat jemand einen Vorschlag?«
»Tja«, sagte Yong, »wir können mit der Telefongesellschaft reden und sie darum bitten, die Nummer zu sperren und statt dessen eine Fehlermeldung abzuspielen.«
»Und wenn er bei der Telefongesellschaft anruft?«
»Kabelbruch in der Umgebung aufgrund von … Erdbewegungen.«
»Das klingt nicht glaubhaft. Er muß dann ja bloß überprüfen, ob die Nummer seines Nachbarn funktioniert«, sagte Lebie.
»Wir müssen die Telefone im ganzen Viertel abschalten«, sagte Harry. »Schaffen Sie das, Wadkins?«
Wadkins kratzte sich hinter dem Ohr.
»So ein Scheiß! So ein scheiß Chaos, warum nur …«
»Es eilt, Sir!«
»Verdammt! Geben Sie mir das Telefon, Yong. Das muß McCormack regeln. Wie auch immer, wir können die Telefone des ganzen Viertels nicht allzulang abschalten, Holy. Wir müssen uns Gedanken über den nächsten Schritt machen! So eine Scheiße!«
Es war halb zwölf.
»Nichts«, sagte Wadkins, »nicht ein kleiner Hinweis!«
»Nun, wir konnten wohl kaum erwarten, daß hier ein Zettel liegt, auf dem steht, wo er sie versteckt hält!« sagte Harry. Lebie kam aus dem Schlafzimmer. Er schüttelte den Kopf. Auch Yong, der den Keller und den Dachboden durchsucht hatte, brachte keine interessanten Neuigkeiten. Sie setzten sich ins Wohnzimmer.
»Das ist fast schon merkwürdig«, sagte Harry. »Wenn wir gegenseitig unsere Wohnung durchsuchen würden, wir würden immer etwas finden. Einen interessanten Brief, ein verstecktes Pornoheftchen, ein Bild von einer ehemaligen Freundin, einen Fleck auf dem Bettlaken, irgend etwas. Aber dieser Kerl hier ist ein Serienmörder, und wir finden absolut nichts, was darauf hindeutet, daß er ein normales Leben führt.«
»Ich habe noch niemals eine so normale Junggesellenwohnung gesehen«, sagte Lebie.
»Die ist zu normal«, entgegnete Yong. »Das ist fast unheimlich.«
»Was übersehen wir?« fragte Harry.
»Wir sind überall gewesen«, sagte Wadkins. »Wenn es Spuren gibt, dann nicht hier. Das einzige, was der Typ, der hier wohnt, tut, ist essen, schlafen, fernsehen, scheißen und Telefonansagen auf seinen PC sprechen.«
»Du hast recht«, unterbrach ihn Harry. »Der Mörder Toowoomba wohnt nicht hier. Hier wohnt ein ganz normaler Kerl, der sich nicht davor fürchten muß, wenn man ihm genauer in die Karten schaut. Aber der andere? Kann es noch einen anderen Ort geben? Eine andere Wohnung, ein Ferienhaus?«
»Auf jeden Fall nichts, das auf seinen Namen registriert ist«, sagte Yong. »Das habe ich überprüft, bevor wir hierhergekommen sind.«
Das Handy klingelte. Es war McCormack. Er hatte mit der Telefongesellschaft gesprochen. Bei dem Argument, es gehe um ein Menschenleben, hatte man gekontert, daß es durchaus auch um Menschenleben gehen könnte, wenn die Bewohner des Viertels versuchten, den Rettungswagen zu rufen. Aber es war McCormack mit der Unterstützung des Bürgermeisters trotzdem gelungen, die Telefone dieses Blocks bis abends um sieben abzuschalten.