Um 11 Uhr war die Kirche voll.
Der erste Gottesdienst von Pater Cristobal war ein Ereignis.
In der ersten Reihe standen Senora Mercedes und Christus Re-vaila, durch je vier Leibwächter voneinander getrennt. Portier Miguel, als lebende Orgel, begann den ersten Sologesang. Kopfan Kopf drängten sich die wilden Gestalten rund um das Kreuz. Aber nicht allein die Tatsache, daß der als unüberwindbar geltende Miguel, >Ma-mas< Hinausschmeißer, mit röhrender Stimme die Kirchenlieder anstimmte, als habe er nie etwas anderes getan, war so sensationell, nein, auch Dona Mercedes Ordaz holte tief Luft, ließ ihren fulminanten Busen noch mehr schwellen und fiel mit einer gewaltigen Altstimme in das Lied ein. Die Männer und Frauen, bisher sehr zurückhaltend und zu >Mama< schielend, gafften sprachlos das Duett an, das diese nun einträchtig mit Miguel sang.
Neben >Mama<, hinter der Mauer seiner Leibwächter, kaute Chri-stus Revaila an der Unterlippe. Sein Blick war finster. Ein raffiniertes Luder, dachte er. Glaubt an Gott so wenig wie ein Panther an die Gesundheit vegetarischer Kost, aber sie weiß genau, daß viele dieser gottverdammten Halunken hier in einem Winkel ihrer Herzen noch ihre kindliche Gläubigkeit bewahrt haben. Zum Teufel noch mal, sie sammelt Stimmen und Sympathie! Sie kämpft um die Herrschaft in Penasblancas sogar mit Hilfe eines Pfaffen!
Christus Revaila spreizte die Beine, klammerte die Hände in seinen Hosenbund und blökte los. Das Lied kannte er noch aus seinen Kindertagen. Keinen Text natürlich, aber die Melodie. Das war ein neuer Minuspunkt, denn >Mama< donnerte zusammen mit Miguel fehlerlos das Lob des Herrn in die improvisierte Kirche. Daß Miguel zwei Tage vorher den Text von Pater Cristobal bekommen und ihn dann mit Senora Mercedes auswendig gelernt hatte, konnte niemand ahnen.
Revaila glich den Mangel an Text durch Lautstärke der Melodie aus. Er sang nicht schön, das konnte keiner behaupten, es war mehr ein stierhaftes Gebrüll, welches irgendwie nach verschieden hohen Tönen klang; aber daß Christus Revaila sang, war an sich schon so ungeheuerlich, daß alle in der Kirche schlagartig einfielen. Es war, als habe man eine Schleuse geöffnet: Plötzlich schallte ein Gesang in den stillen Sonntagvormittag, wie ihn Penasblancas wohl noch nie gehört hatte.
Pater Cristobal kniete vor dem Altar aus Felssteinen, gebogenem Wellblech und lackierten Holzlatten. Vor dem einfachen, großen Balkenkreuz hatte er seinen silbernen Reisekelch aufgebaut, ein kleines silbernes Kruzifix und eine Schale mit Hostien. Als das Lied beendet war, erhob er sich und drehte sich mit Schwung herum. Seine Stimme hallte laut durch die armselige Kirche und über die Köpfe der Versammelten.
«Das war gesungen wie am Rande der Hölle!«sagte er.»So war es richtig! Wir leben hier ja am Rande der Hölle, und der Satan ist grün, durchsichtig und hängt später an Ohren, Hälsen und Fingern.«
Da haben wir's, dachte Revaila. Das ist der Dank, daß wir ihm seine Mistkirche nicht schon gestern nacht angezündet haben. Wir wollen ihm Gutes, und er tritt uns gleich mit den ersten Worten in den Hintern! Man sollte einmal mit ihm sprechen, ganz freundlich, und ihm mitteilen, daß er mit dieser Art keine Chancen hat, lange in Penasblancas zu überleben. Unruhen haben wir hier genug. Wir brauchen keinen Priester, um neue Wirbel entstehen zu lassen.
Dr. Mohr stand neben Revaila und beglückwünschte innerlich Pater Cristobal.
Er hatte es geschafft.
Und dann sah er sie. Sie stand in der vierten Reihe hinter dem Kreuz, ein weißes Spitzentüchlein über dem schwarzen Haar. Neben ihr ein gedrungener, ernster Mann. das mußte ihr Vater sein. Auf ihrer anderen Seite eine Frau, die ältere, verhärmte Ausgabe ihrer Schönheit: die Mutter. Sie alle hatten die Hände gefaltet und blickten auf das Kreuz. Dr. Mohr atmete tief auf. Margarita.
Penasblancas verlor für Dr. Mohr alle Häßlichkeit und alles Grauen. Er hörte nicht mehr auf die Predigt von Pater Cristobal. Langsam schob er sich durch die Menge, ging zur anderen Seite und drängte sich dort wieder in die erste Reihe. Ein paarmal stieß man ihn kräftig zur Seite, aber als man erkannte, daß es der neue Doktor war, gab man den Weg frei.
Während Pater Cristobal verkündete, jeder könne zu ihm kommen, um sich auszusprechen, denn nichts löse mehr die Qualen der Seele als ein gutes Gespräch, und selbst der Verworfenste sei immer noch ein Kind Gottes, schob sich Dr. Mohr neben Margarita. Sie blickte nicht zur Seite, mit großen leuchtenden Augen hörte sie dem Priester zu. Erst, als Cristobal» Amen «sagte und Miguel mit einem dröhnenden Halleluja einsetzte, in das sofort, sehr zum Ärger Re-vailas, sowohl Mercedes Ordaz als auch alle Versammelten einfielen, berührte Dr. Mohr leicht Margaritas Arm. Sie zuckte zusammen wie unter einem Schlag, ihr Kopf flog herum, die herrlichen Augen sprühten ein wildes Feuer. Dann, als sie Dr. Mohr erkannte, wandte sie sich wortlos wieder dem Altar zu.
Bis zum Ende des Gottesdienstes standen sie stumm nebenein-ander. Erst nach dem Segen, bei dem sie mit gesenktem Haupt niederkniete, und nach dem >Glockenläuten<, das dieses Mal Miguel übernahm und die Eisenpfanne bearbeitete, als müsse er sie in Stücke zerhämmern, schob sich ihr Vater zwischen Margarita und Dr. Mohr und blickte den Doktor mißtrauisch an.
«Gehen Sie, Senor!«sagte er rauh.»Sie passen nicht zu uns.«
«Nur, weil ich glattere Hände habe als ihr?«Er warf einen Blick zu Margarita. Nun hatte sich auch die Mutter dazwischen geschoben. Verschlossen, im Gesicht das Leid ihres Lebens, bildete sie mit dem Vater eine Mauer: Laß unsere Tochter in Ruhe. Du gehörst nicht hierher. Und wer nicht aus unserem Stand ist, bringt nur Unglück. Wir kennen sie, die erbarmungslosen Jäger unserer hübschen Töchter.
«Was wollen Sie?«fragte der Vater.
«Ich habe Ihre Tochter im Polizeigefängnis kennengelernt.«
«Sie hat es erzählt!«Der Vater wurde unsicher. Da stand ein feiner Herr und redete ihn mit >Sie< an. Das war nicht nur ungewöhnlich und völlig ungewohnt, das war ein Benehmen, das man nicht einordnen konnte. Ein Guaquero ist eine Handvoll Dreck, das war selbstverständlich. Und nicht anders als Dreck wurde man auch behandelt — bis man mit seinem verknoteten Taschentuch kam und es, den Revolver neben sich auf der Tischplatte, ausbreitete und den Fund mühseliger, die Gesundheit zerfressender Wochen zeigte: kleine, grüne Steine. Dann war man für eine Stunde ein Mensch, wurde höflich behandelt, bekam einen Schnaps spendiert. Sogar Christus Revaila klopfte einem auf die Schulter und nannte den drek-kigsten Burschen seinen Camarada. So ist das Leben eben — ein Gua-quero ist nur ein Mensch, wenn er die kleinen grünen Sonnen mitbringt. Aber selbst dann wird es niemandem einfallen, >Sie< zu einem zu sagen und so zu tun, als sei er ein feiner Herr.
«Laß uns gehen, Adolfo«, sagte die Mutter.
«Ich fresse Sie nicht. «Dr. Mohr sah sich um. Die Kirche hatte sich so schnell geleert, als wären alle vor der Entdeckung ihrer geheimsten Sehnsüchte geflüchtet. Nur Pater Cristobal lehnte noch am Altar und tat so, als putze er den versilberten Hostienteller mit einem Handtuch.
«Ich bin Pedro Morero.«
«Wir wissen es. Ich bin Adolfo Pebas, das ist meine Frau Maria Dolores und meine Tochter Margarita.«
«Sie haben noch eine Tochter, Senor Pebas?«
Die etwas verbindlicher gewordenen Gesichtszüge versteinerten sich wieder.»Reden wir nicht von ihr, Senor!«sagte Pebas hart.»Wir fallen schon auf. Lassen Sie uns endlich gehen.«
«Ich möchte Ihnen helfen.«
«Wie?! Helfen!«Pebas lachte rauh.»Wenn Sie uns helfen wollen, dann lassen Sie uns in Ruhe. Das ist die beste Hilfe! Vielleicht können Sie mir mal eine Kugel aus dem Körper holen oder meinen Tod feststellen wie bei Pablo Ramirez. Dafür danke ich Ihnen hiermit im voraus. später kann ich's ja nicht mehr.«