«Das traust du mir zu?«fragte Dr. Mohr mit belegter Stimme.
«Was fragst du mich?«Pebas löffelte seine Suppe weiter.»Es ist die Meinung der anderen. Sie wissen, daß du Don Alfonso kennst. Er hat dir deine Ausrüstung bezahlt. Außerdem liefert er alles für das neue Hospital und gibt Geld, damit du jeden von uns umsonst behandeln kannst. «Pebas winkte mit seinem Löffel.»Das macht doch nachdenklich, nicht wahr? Warum bezahlt Don Alfonso das alles? Aus purer Menschenliebe? Für einen Platz im Himmel, zu Füßen der Maria? Da muß man laut lachen! Nein, er will unsere Steine! Er will, daß wir doppelt soviel arbeiten, um doppelt so viel zu schürfen! Du kümmerst dich um unsere Gesundheit, er hofft, daß wir viele Steine ans Tageslicht bringen.«
«Das stimmt!«
«Aha!«Pebas starrte Dr. Mohr mit eingezogenem Kopf an.»Du gibst es zu?!«
«Ich weiß, welche Gedanken Don Alfonso mit dieser medizinischen Betreuung aller Gesetzlosen hier in den Minen verfolgt. Aber er irrt sich. Ich nehme seine Hilfe an, aber ich baue ein Hospital nach meinen Ideen! Ich werde für euch ein Arzt sein, aber nicht für Don Alfonso eine Mastanstalt, die aus euch kraftstrotzende Wühl-tiere macht.«
«Das wird Schwierigkeiten geben, Doctor.«
«Darüber bin ich mir im klaren.«
«Schwierigkeiten mit uns allen!«Pebas leckte umständlich seinen Löffel ab.»Niemand glaubt dir nämlich.«
«Ich werde mit allen sprechen. Übermorgen beginne ich, mit einem Muli zunächst die nähere Umgebung abzureiten und allen zu erklären, was hier entsteht.«
«Unmöglich!«Pebas zuckte zusammen. Die Schüssel war aus Mar-garitas Hand gefallen und zersprang auf dem felsigen Boden.»Mein Töchterchen sagt es dir mit Krach: Sie hängen dich einfach auf, Doctor! Sie fragen dich: >Kennst du Don Alfonso?< Du sagst ja! Vorbei… zu weiterem kommst du nicht! Sie ergreifen dich, schlagen dir auf den Mund und knüpfen dich auf. Hier hat man eine andere Auffassung von Recht. Erklärungen sind immer verdächtig. Du kannst ein vielfacher Mörder sein, aber du bist immer noch ein Kamerad. Wehe jedoch, wenn der Name Don Alfonso fällt. «Pebas gähnte, reckte und stemmte sich empor.»Ich bin müde! Morgen früh muß ich wieder in den Berg. Heute war ein schlechter Tag. Nicht ein grünes Staubkorn! Doctor, bleib hier bei mir. Hier bist du sicher. «Er tappte zum Eingang, drehte sich noch einmal um und schüttelte den Kopf.»Unbegreiflich, daß die von der >Burg< zu dir halten!«sagte er rauh.»Einfach unbegreiflich!«
Als letzter ging Pepe Garcia. Er stützte sich wieder auf sein Gewehr, als habe er seine Augen an es abgegeben.»Tut mir leid«, sag-te er wehmütig.»Aber so denkt man eben von dir, Doctor. Ich mußte das erzählen. Verlaß unsere Gegend nicht. Du kommst nicht weit.«
Es war eine klare, warme Nacht mit einem ergreifenden Sternenhimmel. Das Feuer war erloschen, nur noch der Geruch verbrannten Holzes lag in der Luft und zog zu dem Kahlschlag hinüber, den die Männer von der >Burg< in den Bergwald getrieben hatten. Dort sollte das >Bettenhaus< stehen.
Dr. Mohr lächelte verzerrt. >Bettenhaus<, wie das klang. Er blieb stehen und sah sich um. Hier wird einmal das >Behandlungshaus< stehen, zwei Untersuchungszimmer, ein OP, ein Röntgenraum, ein winziges Labor. Wie überheblich sich das anhörte! Ein OP! Ein Arzt allein unter 30.000 Guaqueros. Allein mit seinen zwei Händen, seinen zehn Fingern. Keine Schwester, die bei der Operation assistierte, die Instrumente pflegte, die Kranken betreute. Kein Krankenpfleger, der Verbände anlegte, Infusionen auswechselte, Spritzen gab, die Kranken wusch, Nachtwache hielt.
War das nicht ein ungeheurer Wahnsinn? War es nicht einfacher, die ersehnte, riesige grüne Sonne zu finden, als dieses Hospital funktionsfähig zu machen? Allein unter 30.000, das war medizinischer Irrsinn.
Dr. Mohr ging zu dem Kahlschlag, setzte sich auf den Baumstumpf, auf dem er mit dem Bärtigen gesessen hatte. Der Wald, in die Schlucht abfallend, verlor sich in schwarzer Dunkelheit. Dort unten, dachte er, irgendwo auf halber Höhe, müssen die Zapigas wohnen. 12 Menschen, an den Hang geklebt, den sie Meter für Meter durchwühlten. Und wie viele andere mit dem gleichen Schicksal? Menschen ohne Zukunft, aber voller Hoffnung. Menschen, die von den grünen Steinen getötet werden, und die das für so selbstverständlich halten wie das Risiko eines Zweikampfes: Einer muß Sieger bleiben. Die wenigen, die es geschafft hatten, bewiesen, daß es möglich war, den Berg zu besiegen. Zum Beispiel der sagenhafte Miguel Totosa, der zwei Steine von zusammen 93 Karat fand, sie heil nach
Bogota brachte, heute in Florida in einer weißen Villa lebt und schon morgens ein Glas Champagner trinkt. Vor einem Jahr hatte er einen Brief mit Fotos geschickt, der durch alle Minen herumgereicht worden war. Ein Traum war wahr geworden. Warum soll sich solches nicht wiederholen? In den Bergen — das wußte man — lagen unschätzbare Millionen.
«Sie schlafen alle«, sagte eine leise Stimme hinter Dr. Mohr. Er blickte sich nicht um, sondern rutschte auf dem dicken Baumstumpf etwas zur Seite.
«Setz dich zu mir, Margarita. «Er sah sie von der Seite an, als sie neben ihn glitt. Sie hatte das lange schwarze Haar nach hinten gebunden. Ihr schmales Gesicht trat dadurch optisch hervor, ein Gesicht wie aus einer altspanischen Miniatur. Sie trug einen langen, am Bund leicht angekräuselten Baumwollrock und eine hellblaue Bluse mit einem runden Ausschnitt. Um den Hals schimmerte eine Kette aus bunten Glasperlen und bedeckte den Ansatz ihrer Brüste.
«Du sollst nicht mit mir allein sein«, sagte Dr. Mohr.
«Alle schlafen ganz fest. Warum schläfst du nicht?«
«Ich denke.«
«Woran denkst du?«
«Daß ich allein bin.«
«Wir sind doch da. «Sie blickte über den Kahlschlag vor sich und verstand ihn plötzlich.»Du meinst, wenn das Hospital fertig ist.«
«Ja. Ich kann nicht alles allein machen.«
«Ich werde dir helfen. und Mama wird dir helfen. und Nuria. Und es werden bald genug andere kommen, die ihre Hilfe anbieten. Es gibt eine Menge Sanitäter unter den Guaqueros, die sogar Kugeln herausschneiden oder Messerstiche nähen.«
«Das ist mir klar. Aber sie werden nicht zu mir kommen.«
«Sie kommen bestimmt, wenn sie sehen, daß du kein Spion von Don Alfonso bist.«
«Wie kann ich das beweisen! Das ist es ja, Margarita! Ich stehe hier mit leeren Händen und einem kleinen Sanitätskasten. Und selbst der ist ein Geschenk von Camargo. Alles, was einmal hier im Hospital sein wird, ist von Don Alfonso. Auch wenn ich jetzt versuchen würde, wieder nach Bogota zurückzukehren, was nutzt es? Niemand wird mir eine Unterstützung zusagen. Keine staatliche Stelle, kein Privatmann, keine Firma, keine Kirche! Für den Staat sind die 30.000 Guaqueros nicht mehr wert als 30.000 Mosquitos! Je eher sie ausgerottet werden, um so besser. Ein Hospital für sie bauen, reiner Wahnsinn! Wozu denn? Um sie zu erhalten?! Man will sie ja vernichtet sehen! Ein Konzern? Sind es Arbeitskräfte, die Nutzen bringen? Na also! Die Kirchen? Ja, es sind Gläubige, aber darüber hinaus auch Gesetzlose. Wozu ihnen in den Bergen ein Hospital bauen? Es gibt genug Krankenhäuser in den Städten. Sie sollen ihr wildes Leben aufgeben und unter dem Kreuz seßhaft werden. Jede Hilfe unterstützt ja nur das Chaos in den Bergen! So ist das, Margarita. Ein Mensch wird nach dem bewertet, was er noch heranschaffen kann, wie nützlich er sein kann, wieviel Geld er einbringt, was man mit ihm tun kann. Ich war eigentlich auch ganz glücklich, daß ein Mann mir all das versprach, was ich brauchte, um hier ein Hospital zu bauen. Ob er Don Alfonso heißt, war mir egal. Erst soll das Hospital stehen und funktionieren. Was dann folgt, daran denke ich noch nicht. Ich denke nur an die Kranken, die gesund werden können. Ein Typhus fragt nicht danach, ob die Medikamente, die ihn besiegen, vom Bischof oder von einem Smaragdhändler kommen.«