«Man kann… mit allen Risiken«, sagte Dr. Simpson.»Wie ich Pete kenne, würde er es wagen.«
«Sie nicht?«
«Nein.«
«Sie würden meine Frau krepieren lassen.«
«Ich würde eher das Kind opfern. «Dr. Simpson hob hilflos beide Arme.»Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
«Bei mir?«Der Bärtige wischte sich wieder über das Gesicht.»Wieso denn?«
«Sie müssen entscheiden, was Ihnen lieber ist: die Frau oder das Kind! Nur einer kommt durch. «Dr. Simpson hob wie frierend die Schultern. Aus der Pebas-Wohnung trat Dr. Mohr heraus, in der Hand seinen schweren, metallenen Arztkoffer.»Hier ist alles verflucht! Belügen wir uns doch nicht selbst«, sagte er seufzend.
Nach längerem Fußmarsch durch eine steinige Schlucht, in der man mühsam einen engen Trampelpfad durch das Pflanzendickicht errichtet hatte, erreichten der Bärtige, Dr. Mohr, Dr. Simpson und als Schlußlicht Pater Cristobal ein Seitental, das sich, eng wie ein Schlauch, durch die Felswände preßte. Man hatte in den dichten
Bergwald eine große Rodung geschlagen und aus dem so gewonnenen Holz, den Ästen und den Blättern Behausungen gebaut. Sieben Hütten standen im Kreis, wie eine Wagenburg, und waren gegen Angriffe zusätzlich noch mit einer Steinmauer und zugespitzten Palisaden gesichert. Die meisten Bewohner waren Frauen und Kinder. Die Männer wühlten sich die ganze Woche über durch die Minen, trieben Stollen in den Berg, siebten, wuschen, zerkleinerten die Steine und sortierten die Funde, meist armselige, trübe, in der Farbe nur schlechte Smaragde, die auf dem Markt keinen hohen Preis erzielten. Nur die Edelsteinschleifer verdienten später daran. Sie spalteten die Steine in hauchdünne Plättchen und klebten diese dann aufherrlich grüne und saubere Synthetiks, nannten das wirklich attraktive Werk >Smaragd-Doubletten< und verkauften die Steine, in kunstvollen Fassungen, zu einem sehr gewinnträchtigen Preis.
Aber davon hatten die Guaqueros in den Bergen von Muzo keine Ahnung. Sie krochen in die niedrigen Stollen, zogen ihre Atemschläuche hinter sich her, hämmerten sich zentimeterweise weiter und lagen nach vier oder fünf Stunden unter Tage wie tot vor den Minengängen, pumpten die Luft in sich hinein, zitterten am ganzen Körper und waren sogar zu schwach, über ihr Leben zu fluchen. Die Beute des Tages: Nichts. Höchstens ein paar winzige grüne Körner, die wie Schimmel im Gestein geklebt hatten. Aber das genügte. Die Hoffnung wuchs mit jedem Fund. Wo es in dem Strahl der vor den Kopf gebundenen Batterielampen grün aufleuchtete, da mußte es, irgendwo tief drinnen in dem verfluchten Felsen, noch mehr von diesen grünen Steinen geben. Größere Steine, wasserklares Kristall. und damit Geld, Geld, Geld!
Das Camp wurde von vier Greisen bewacht, die nicht mehr in die Minengänge kriechen konnten und die man miternährte, weil sie Holz hackten, Ausbesserungsarbeiten an den Häusern ausführten, Schweine und Ziegen schlachteten, Wurst herstellten, auf die Jagd gingen oder einmal im Monat mit ein paar Mulis nach Penasblancas zogen, um dort im Magazin einzukaufen: Dynamit zum Sprengen,
Munition, Salz und andere Gewürze, Kleidung, Werkzeuge, Batterien, Mehl, Mais, Zucker, Trockenfrüchte, Bohnen, Erbsen, Seife und Schnaps. Auch die aktuellsten Nachrichten brachten sie mit. Die seit langem sensationellste Meldung war, daß ein Arzt und ein Priester in die Berge gezogen waren. Man lachte darüber ausgiebig, mehr über den Pfaffen als über den Medico. Einen Medizinmann konnte man noch gebrauchen, aber was wollte jemand bei den Smaragdminen, der nur heilige Sprüche klopfte, von Gottes Liebe erzählte und vom Paradies sprach, wo man doch schon längst in der Hölle wohnte.
Wie überall bei den Guaqueros klappte auch hier im Camp das Informationssystem. Der kleine Trupp der vier Männer war längst avisiert worden. Am Eingang der Mauer und Palisaden standen vier Greise mit Gewehren. Im Camp selbst war es so still, als sei es verlassen. Alle Frauen und Kinder waren in den Häusern, lediglich ein paar Hühner und Enten liefen herum, Schweine grunzten und eine Hundemeute tobte in einem Zwinger. Es waren große, stämmige, fast weißfellige Hunde mit starken Gebissen. Sie heulten und bellten wütend, sprangen an dem Drahtgitter empor und benahmen sich so mordlustig, als witterten sie frisches Blut. Ein Junge in zerlumpten Kleidern, vielleicht sieben Jahre alt, stand neben dem Zwingertor und hatte die Hand auf das Schloß gelegt. Ein Zuruf nur, und er schob den Riegel zurück. Dann würde die Meute herausstürzen und über alles herfallen, was sich ihr in den Weg stellte. Vor diesen fletschenden Zähnen gab es keine Rettung mehr.
Pater Cristobal blieb stehen und blickte über das Camp.»Ein freundlicher Empfang«, sagte er sarkastisch.
«Vorsicht und Mißtrauen sind hier das halbe Überleben, Pater. «Der Bärtige zeigte auf die Hütten.»Dort, die vierte vom Eingang, das ist sie. Dort wohnt meine Frau. Erschrecken Sie nicht.«
«Warum?«Dr. Mohr stellte seinen schweren Metallkoffer ab.»Noch eine Überraschung?«
«Meine Frau ist ein Kind.«
«Was?«
«Nach zivilisierten Begriffen. «Der Bärtige zerrte wütend an seinem offenen Hemd.»Jetzt glotzen Sie mich nicht wie einen Lustmörder an, Doctor! Meine Frau ist 15 Jahre alt. Sie kommt aus dem Stamm der Chibcha-Indianer. Da gelten andere Gesetze. Dort ist ein Mädchen mit 12 Jahren schon heiratsfähig! Fragen Sie mich jetzt nur noch, warum ich so eine Junge genommen habe! Was hier an Weibern herumwieselt, ist entweder schon verheiratet oder Großmutter. Die anderen sind verdammte Huren, die in den Bergen herumziehen und mit gespreizten Beinen Smaragde sammeln. Ein gutes Geschäft, sage ich Ihnen! Diese fliegenden Puffs werden, wo sie auch hinkommen, gefeiert, als brächten sie die kostbarsten Geschenke mit! Ich weiß, das tut weh, Pater, aber es ist die Wahrheit. Sollte ich mir so eine nehmen? So ein Pflanzbecken? Da lernte ich Chica kennen. Ihre Familie war auf der Flucht. Ihren Vater hatten sie gerade erschlagen, weil er nicht wußte, wo es Smaragdadern gibt. Denn seit der Zeit der Konquistadoren gelten die Chibcha-Indianer als die besten Kenner der Smaragdvorkommen. Damals wurden Tausende zu Tode gefoltert, übrigens, Pater, das ist interessant, mit Billigung der Kirche und zum Wohle Spaniens. So kamen die Eroberer in die Kenntnis der Minen. Und das spukt auch heute noch in den Gehirnen herum: Wenn man einen Chibcha erwischt, heißt es immer: Wo liegen die Adern? Die grünen Adern? Mistkerl, du weißt es ganz genau! Oft endet es wie bei Chicas Vater. man erschlägt ihn, obwohl er wirklich nichts weiß. Also, Chicas Mutter und eine noch jüngere Schwester waren auf der Flucht. Sie lebten, als ich sie bei einer Jagd aufstöberte, wie Tiere in Erdhöhlen. Sie schrien nicht, sondern neigten ihre Köpfe vor, stumm und ergeben: Komm, weißer Mann, schlag uns endlich tot! Ich habe sie in dieses Camp mitgenommen und ihnen die Hütte gebaut. Als sie fertig war, kroch Chica in der Nacht zu mir. Sie wollte mir danken. Und das einzige, was sie mir als Dank geben konnte, war ihr herrlicher Körper. Hätten Sie nein gesagt? Wenn Sie das jetzt bejahen, sind Sie ein erbärmlicher Heuchler! Und noch eins: Ich bin glücklich!«
«Gehen wir!«sagte Dr. Mohr stockend.»Sonst lassen die da drü-ben wirklich noch die Hunde los, weil sie nicht wissen, wer da zwischen den Bäumen steht.«
«Das haben wir gleich!«Der Bärtige legte die Hände vor den Mund und stieß einen röhrenden Schrei aus. Einer der Greise am Eingang des Camps antwortete ihm und winkte mit dem Arm. Alles klar! Der Junge ließ den Zwingerriegel los und rannte zur nächsten Hütte, wo er hinter einem Holzstapel verschwand. Die Hunde gebärdeten sich noch wie toll, aber einige Türen öffneten sich, Frauen und Kinder liefen ins Freie und nahmen ihre Arbeiten dort wieder auf, wo sie unterbrochen wurden. Die meisten verschwanden in den Ställen, die an die Hütten angebaut worden waren, um die Schweine zu versorgen.
Im Camp wurden sie von den vier Greisen begrüßt. Man gab sich die Hand, musterte sich und blieb kritisch.