Выбрать главу

Der Bärtige zögerte, starrte auf seine junge Frau, sah ihr verzerrtes Gesicht und wankte wieder hinaus. Im gleichen Augenblick erhob sich die Mutter, schob ihren Schemel vor die Tür und setzte sich darauf wie ein Erzengel.

«Er kommt nicht mehr herein«, sagte sie in einem gutturalen Spanisch.»Ich spucke ihn an.«

«Das ist die schlimmste, die tödlichste Beleidigung der Indianer«, flüsterte Dr. Simpson. Er kniete zwischen Chicas Beinen und wartete auf den kleinen Handscheinwerfer, den Dr. Mohr gerade aus dem Koffer holte und auf ein Stativ schraubte.»Ich glaube, jetzt haben wir Ruhe. Im Vertrauen, ich habe Bammel vor der Hickschen Wendung.«

«Schneiden können wir immer noch, Simpson.«

«Du lieber Himmel, Sie wollen es tatsächlich wagen… einen Kaiserschnitt… hier… in dieser Drecksbude? Hier schwirren Milliarden Bazillen und Viren durch die Luft! Wenn das keine Sepsis gibt, bin ich bereit, mich entmannen zu lassen! Das ist das feudalste Angebot, was ich machen kann!«

«Man hat Kaiserschnitte unter ganz anderen Umständen gemacht, Simpson!«

«Wer hat überlebt? Na also, Sie schweigen! Wenn Chica das Atmen vergißt, sind Sie und ich in den Augen des Vollbarts da draußen nur noch Mörder. Dann gnade uns Gott! Wie heißt der Kerl eigentlich?«

«Keine Ahnung. Er hat es bisher immer vermieden, seinen Namen zu nennen.«

«Es hält sich seit langem ein Gerücht in den Bergen, daß er nicht nur Rechtsanwalt gewesen ist, sondern auch der Führer einer Partei. Eine der niedergeschlagenen Revolutionen geht auf sein Konto. Er ist in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Deshalb seine >Burg< und seine kleine Privatarmee. Keiner weiß aber, ob das nicht doch nur Gerüchte sind.«

«Ich werde ihn fragen.«

«Das sieht Ihnen ähnlich. «Simpson wedelte mit seinen gummibehandschuhten Händen.»Aber von mir wissen Sie nichts, verstanden? Ich habe nichts gesagt. Licht bitte tiefer! So ist gut! Haha, jetzt sehe ich voll ins Auge. Machen wir jetzt also den berühmten Salto! Und aufpassen, Kollege, nach solch einer Wendung kommt es oft zu einer Spontanausstoßung. Sie muß sogar kommen, wenn die Wendung gelingt. Achtung! Hallihallo! Der kleine Turner geht in Stellung.«

«Simpson, ich möchte Ihnen in den Hintern treten!«knirschte Dr. Mohr.»Sie haben vorhin heimlich gesoffen! Stimmt's?«

«Nur geschnuppert, Kollege!«

«Das gewöhne ich Ihnen auch noch ab!«

Die Hicksche Wendung gelang. Aber die Spontangeburt blieb aus.

Chica verkrampfte sich, der Kopf des Kindes trat nicht aus. Dr. Simpson richtete sich stöhnend auf und streifte die Gummihandschuhe ab.

«Meine Bandscheibe! Mein Rückgrat muß nur noch eine Ruine sein! Pete, wir müssen Chica eins auf die Nase geben. So klemmt sie mit jeder Wehe das Kind nur noch fester ein. Da sagt man immer, die jungen Weiber bekommen ihre Kinder beim Dauerlauf.«

Dr. Mohr bereitete eine Injektion vor und suchte in seinem Koffer nach einer geeigneten Ampulle.»Alles habe ich aus Bogota mitgebracht«, sagte er.»Alles, was man so braucht in der Wildnis. Aber wer denkt an Geburten? Wenn ich jetzt etwas Krampflösendes und gleichzeitig Treibendes hätte.«

Nach einer Stunde endlich kam das Kind. Es war gesund, kräftig und hatte dichte schwarze Haare. Gleich nach dem Abnabeln krähte es, der winzige Brustkorb spannte sich, die Lungen entfalteten sich. Das Leben wurde begrüßt.

Dr. Mohr ging an der alten Indianerin vorbei und stieß die Tür auf. Draußen stand der Bärtige neben Pater Cristobal und raufte sich die Haare. Er wirbelte herum, als mit dem Öffnen der Tür auch der Kinderschrei nach draußen kam.

«Es. es schreit. «stammelte er. Mit vorgestrecktem Kopf starrte er Dr. Mohr an, der ihm zuwinkte:»Es schreit.«

«Alles vorbei!«rief ihm Dr. Mohr zu.»Guten Tag, Papa! Es ist ein Junge.«

«Ein Junge. «Die Schultern des Bärtigen fielen zusammen.»Hören Sie, Pater. ein Junge. Ich. ich habe einen Sohn.«

Er wandte sich ab, legte Pater Cristobal die Hände auf die Schulter und drückte sein Gesicht an die Brust des Priesters. Ein leichtes Schütteln durchzog seinen Körper. Der bullige, sonst durch nichts zu erschütternde Mann weinte.

Nach zwei Stunden, während denen der Bärtige seinen neugeborenen Sohn aufden Armen herumtrug, die Glückwünsche der Frauen und

Greise des Camps entgegennahm und sich überhaupt so tapsig benahm wie alle jungen Väter, die erschöpfte Chica dauernd mit der Frage belästigte, ob es ihr gut gehe, und sie immer wieder streichelte, sprach Dr. Mohr ein Machtwort.

«Raus mit allen!«

«Schon wieder?«Der Bärtige saß auf der Bettkante und spreizte kampfeslustig die Beine.»Das Kind ist da und gesund, Chica hat alles gut überstanden, was ist denn nun schon wieder?«

«Die junge Mutter muß Ruhe haben und schlafen.«

«Wer hindert sie daran?«

«Sie mit Ihren dämlichen Fragen: Geht's dir gut? Hast du Schmerzen? Ach, mein Vögelchen, ich bin ja so glücklich. Das hält keiner aus!«

«Sie tragen ihr Herz wohl unter der Schuhsohle, was? Können Sie sich nicht vorstellen, wie glücklich ich bin?«

«Das können Sie jetzt den Bäumen und den Felsen da draußen erzählen. Chica aber braucht absolute Ruhe! Fast 20 Stunden hat sie in den Wehen gelegen, das überlegen Sie sich nicht, was? Sie verdammter Egoist!«

Der Bärtige erhob sich, ging zur Tür und blieb vor Simpson stehen, der auf dem Metallkoffer saß und mit saurer Miene ein Glas Milch trank. Ziegenmilch, gelblich und fett.

«Habe ich schon danke gesagt?«fragte er.

«Nee. «Dr. Simpson winkte ab.»Nicht nötig. Erwartet man von Ihnen gar nicht.«

«Ersticken Sie an Ihrer Ziegenmilch!«

«Ich bin kurz davor!«

«Dieser Arzt macht uns alle fertig, wissen Sie das?«Der Bärtige nickte nach hinten.»Ein raffinierter Hund! Erst die sanfte Tour, dann tritt er um sich. Wer hat eigentlich meinen Sohn geholt?«

«Das war Team-Arbeit. Allein jedenfalls hätte ich das nicht mehr geschafft. Ich bin doch verdammt aus der Übung gekommen. Aber das hole ich wieder auf!Baut nur schnell das Hospital auf.«

Dr. Mohr kam an die Tür und stieß sie auf. Der Bärtige nickte mehrmals.»Ich gehe ja schon!«brummte er.»Bäuche aufschneiden und Gliedmaßen amputieren, das können Sie. Aber von Psychologie haben Sie keine Ahnung! Wissen Sie, wie alt ich bin?«

«Das erzählen Sie mir später.«

«Nein. Jetzt und hier! 56 Jahre. Und das ist mein erste Kind.«

«Da haben Sie bisher sicherlich unverschämtes Glück gehabt.«

«Man könnte ihn ohrfeigen!«sagte der Bärtige dumpf.»Man könnte ihn dauernd ohrfeigen! Rechts und links und von oben und von unten! Halten Sie den Mund, Doctor. Ich verschwinde ja schon.«

Das war vor zwei Stunden gewesen. Jetzt standen sie vor dem ersten Steinwall der >Burg<, genau in der Mitte des Schußfeldes, das jeder durchlaufen mußte. Ein Todesstreifen, den niemand ungesehen passieren konnte. Zum ersten Mal betraten nun Fremde die >Burg<.

«Ich glaube, es wird Zeit, daß ich mich vorstelle«, sagte der Bärtige.»Ich bin Dr. Ramon Novarra.«

«Also doch!«entfuhr es Simpson.

«Jawohl, ich bin's!«Novarra wartete auf eine Reaktion, aber bis aufSimpson hinterließ sein Name keine Zeichen von Erstaunen oder Betroffenheit.»Stört Sie das?«

«Ich wüßte nicht, warum. «Dr. Mohr war der Name kein Begriff.»Sie hätten auch Bambilla sagen können.«

«Ramon Novarra war der meistgesuchte Mann in Kolumbien«, sagte Pater Cristobal.»Mit seinem Kopfkönnte man reich werden, wenn man ihn abliefert.«

«Ich war jahrelang im Ausland. Dort habe ich mich um die Kranken gekümmert — ausschließlich — und nie um Politik. Einem Nie-ren-Ca ist es gleichgültig, ob in Kolumbien eine Revolution stattfindet, und ein Ventrikel-septum-Defekt schließt sich nicht von allein, wenn man ihm den Namen Novarra zuruft. Ich bitte also um Verzeihung, wenn ich die hohe Politik hier nicht kenne.«