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«Ich bin zum Tode verurteilt«, sagte Novarra.

«Soll ich jetzt vor Ehrfurcht strammstehen?«

«Sie sind der größte Ignorant von Tatsachen, Doctor! Sie kommen hier in die Hölle von Penasblancas und Muzo, ohne eine Ahnung zu haben, was Sie erwartet. Sie hauen Christus Revaila um und wissen nicht, daß sie damit eigentlich schon gestorben sind. Sie ziehen in die Berge, zeigen auf einen Fleck und bestimmen: Hier baue ich ein Hospital! Als ob das selbstverständlich wäre! Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll. «Novarra hob den Arm. Aus einer Steinbastion löste sich ein Mann und kam langsam näher. Vor der Brust trug er ein Schnellfeuergewehr, über dem Arm ein paar Stoffstreifen.»Ich muß Ihnen die Augen verbinden, Senores. Nicht, weil ich mißtrauisch bin, sondern weil ich Sie nicht in Gefahr bringen möchte. Kein Außenstehender kennt den Eingang. Er findet ihn auch nicht, weil er gar nicht erst bis an den ersten Wall kommt. Und will man tatsächlich einmal mit überlegenen Kräften das Vorfeld stürmen, so hat man nur eine Mauer erobert. Dahinter geht's erst richtig los! Es besteht nun die Möglichkeit, daß das Militär mich doch einmal entdeckt. Dann werden alle Personen in der Umgebung verhört. Soll ich Ihnen erklären, wie hier >verhört< wird?!«

«Wir wissen es«, sagte Pater Cristobal bedrückt.

«Hier wird auch vor einem Priesterrock nicht haltgemacht. Meine Männer lassen sich die Haut abziehen und schweigen, aber ob Sie die Stärke haben, Senores? Geben Sie mir recht, wenn ich Sie einen Risikofaktor nenne? Um das auszuschalten und damit Sie später sagen können, Sie hätten wirklich nichts gesehen, muß ich Ihnen die Augen verbinden.«

Der Wachtposten trat hinter die beiden Ärzte und den Pater und legte jedem eine stramme Binde um. Novarra kontrollierte, ob sie auch wirklich nichts mehr sahen, indem er ein Messer zog und hintereinander nach Dr. Mohr, Pater Cristobal und Dr. Simpson stieß. Kurz vor ihrem Gesicht bremste er den Stoß ab.

Keiner reagierte.

«Gehen wir«, sagte Novarra zufrieden.»Fassen Sie sich an die Hände, als wollten Sie Ringelreihen spielen. Ich führe Sie.«

Sie gingen los, überquerten das Schußfeld und fühlten unter ihren Sohlen, wie der Boden steiniger wurde. Erst ging es etwas hinauf, dann ziemlich steil hinab. Dr. Mohr tastete mit der linken Hand zur Seite und strich über eine bucklige Felswand.

Aha, dachte er, ein unterirdischer Gang. Ein Stollen. Wenn das der einzige Zugang ist, konnte man die >Burg< wirklich als uneinnehmbar bezeichnen. Novarra brauchte bloß diesen Stollen zu verschütten, zu sprengen oder unter Wasser zu setzen, dann blieb nur der Sturm die Felsen hinauf; und das war ein aussichtsloses Unternehmen. Der Gang schien sich zu verbreitern. Die Schritte der Männer hallten jetzt, als beträten sie einen weiten Raum. Dr. Mohr, der an der Hand Novarras ging, prallte gegen den massigen Körper, als Novarra stehenblieb.

«Ich glaube, hier können wir Sie wieder sehend machen!«sagte er.»Willkommen bei mir.«

Sie rissen sich die Binden von den Augen und schwiegen dann. Eine riesige Felsenhalle wölbte sich über ihnen, nicht von Menschenhand herausgeschlagen, sondern von der Natur gestaltet. Ein unterirdischer Fluß mußte hier in Jahrmillionen diesen Saal aus dem Stein gefressen haben, bis er einen anderen Ausgang fand und verschwand. Zurück blieb ein Felsendom mit bizarren Steinformen. Aus verschiedenen Winkeln fiel Licht in den weiten Raum. Elektrisches Licht. Glühbirnen mit Reflektoren.

«Das ist toll!«sagte Dr. Simpson als erster.»Wo haben Sie den Strom her?«

«Ich habe ein eigenes Aggregat. «Novarra machte eine weite Handbewegung.»Wir stehen hier im Festsaal. Auch das gibt es bei uns: Geselligkeit. Hier haben wir schon Theater gespielt. Da drüben, da ist die Bühne. «Er weidete sich an der Sprachlosigkeit seiner Besucher und klopfte Dr. Mohr aufden Rücken.»Zweifeln Sie nun noch daran, daß es uns auch gelingen wird, Ihr Hospital zu bauen?«

«Ich habe nie daran gezweifelt«, sagte Dr. Mohr. Seine Stimme hallte in der domähnlichen Höhle.»Ich ahnte, daß Überraschungen Ihre Spezialität sind.«

Dr. Ramon Novarra lächelte geschmeichelt. Auch er besaß eine Eigenschaft, die man oft bei politischen Führern und extravagan-ten Geistern findet: Er war eitel. Das machte ihn menschlicher, aber gleichzeitig gefährlicher. Verletzte Eitelkeit hat Völkern schon Millionen Tote gekostet. Durch die ganze Weltgeschichte hindurch zieht sich wie ein roter, nämlich blutiger Faden die Elendsspur gekränkten Stolzes. Novarra bildete da keine Ausnahme. Das kleine Reich, welches er regierte und das er noch immer als Basis einer Revolution in Kolumbien betrachtete, wollte respektiert und gelobt werden. So verrückt es war, Dr. Mohr verstand plötzlich, warum Novarra mit seinen Männern hier in den Smaragdminen schuftete und jeder Stein, den man fand, abgeliefert werden mußte, weil er Gemeinschaftseigentum war. Der Erlös aus den Smaragden, die Millionen, die Novarra aus den Felsen grub, sollten über kurz oder lang die neue Revolution, das neue Kolumbien finanzieren. Hier in der >Burg< gab es kein anderes Privateigentum als das eigene Leben. Ein vollkommener Sozialismus, um einen politischen Fanatismus zu nähren.

«Ich hätte Sie nicht hierher geführt«, sagte Novarra, nachdem er den anderen genug Zeit gelassen hatte, sich bewundernd umzublicken,»wenn es sich nur um einen normalen Sterblichen handelte, der plötzlich nach einem Priester verlangt. An einen Arzt denkt er schon gar nicht mehr. Er weiß, daß er unheilbar erkrankt ist. Aber dieser Mann — sein Name ist nicht wichtig — stand früher einmal als Schlagzeile in allen Zeitungen. Plötzlich verschwand er. Es war eine Entführung, die das ganze Land erregte. Tausende Polizisten und Soldaten durchkämmten Kolumbien, die Nachbarstaaten sicherten Amtshilfe zu, eine Treibjagd nach den unbekannten Entführern begann — aber umsonst. Der Mann tauchte nie mehr auf, gab kein Lebenszeichen von sich, ging im Unbekannten unter. Mit den Jahren erlosch das Interesse, sein Name wurde Historie, man war sicher, daß er getötet und irgendwo verscharrt worden war.«

«Der Entführer waren Sie«, sagte Pater Cristobal.

«Das war kein schweres Rätsel, was?«Novarra lachte kurz und hart.»Natürlich hätte ich ihn töten können, wer hinderte mich daran, aber ich ließ ihn leben. Ich kann, außer in absoluter Notwehr, keinen Menschen von Angesicht zu Angesicht töten.«

«Aber Sie konnten Bomben legen, die unschuldige Menschen zerfetzten!«Pater Cristobal schüttelte den Kopf.»Dr. Novarra, stellen Sie sich nicht als den großen Humanisten hin, der eine saubere Revolution haben will! Genau das Gegenteil ist der Fall! Der Anschlag auf das Parlament in Bogota, die Zugsprengung von Medellin, bei der 49 harmlose Arbeiter ums Leben kamen und Hunderte verletzt und für ewig verkrüppelt wurden, der Kinobrand von Buena Ventura und das Massaker von Manizales, bei dem eine ganze Kompanie Soldaten ausgelöscht wurde. Das alles wollten Sie nicht?«

«So ist es«, antwortete Novarra ruhig.»Pater, Sie klagen den Falschen an! Ich bin ein Administrator der Macht, das blutige Handwerk üben andere aus.«

«Für Ihre Idee! In Ihrem Namen! Auf Ihren Befehl! Natürlich legen Sie nicht eigenhändig die Bomben! Nero hat die Christen auch nicht mit seinem eigenen Schwert erstochen, er trieb sie in die Arena den Löwen und Panthern zu.«

«Mir war klar, daß ich auf Mißtrauen und Unverständnis stoße. «Dr. Novarra wies in den Hintergrund der riesigen Felshalle, wo verschiedene Bohlentüren den Zugang zu weiteren Höhlenüberraschungen verschlossen.»Darum führe ich Sie jetzt zu dem Kranken. Wie lange er noch zu leben hat, können Sie am besten überblicken, Doctor. Sie werden sich jetzt fragen: Warum tut er das? Will er sich rechtfertigen? Vor wem? Vor uns, die wir in einiger Zeit genauso elend sein werden wie die anderen Guaqueros? Plagt ihn das Gewissen? Will er sich reinwaschen? Will er einem armen Sterbenden die historische Schuld zuschieben? Ist er ein so feiges Schwein? — Nichts von alledem ist der Fall. Der Kranke selbst möchte über sich reden. Als er erfahren hat, daß wir Rechtlosen von Muzo plötzlich einen vor lauter Idealen geradezu dämlichen und besoffenen Arzt haben und einen ebenso Illusionsschwangeren Priester, da hat er gesagt: Ramon, laß sie zu mir kommen. Ich bin am Ende angelangt. Was man dir nie glauben wird, sollen sie später bezeugen. «Ramon Novarra drehte sich um und ging durch die Halle voraus.»Folgen