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Unterdessen ging der Alltag weiter. Dr. Mohrs >Praxis< begann zu blühen. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß der verrückte Medico wirklich umsonst behandelte, einerseits ein lieber Mensch sei, oft jedoch sehr grob zu seinen Patienten war, vor allem dann, wenn sie ungewaschen zu ihm kamen. Dann kannte er keine Gnade.

«Du stinkst!«hatte er zum Beispiel den gefürchteten Piero Tomasso angebrüllt, als dieser, vom Husten geschüttelt, zu Dr. Morero gekommen war.»Ein Bock ist ein Parfümladen gegen dich! Los, wasch dich und dann komm wieder!«

Tomasso wollte protestieren, aber da war noch dieser Dr. Simpson. Den kannte man lange genug — und dieses trocken gelegte Saufloch klopfte auf zwei Revolver im Gürtel. Also badete sich Tomasso, wurde behandelt und verlor nach drei Tagen seinen Husten. Das war eine Reklame! Schon in der zweiten Woche standen die Patienten an, bildeten eine lange Schlange und warteten geduldig.

Dr. Mohr hatte den Vorbau der Pebas' zu seinem notdürftigen Ordinationszimmer umgestaltet. Hier arbeitete er an einem neuen Tisch, assistiert von Simpson, der außerdem mit Mohrs Kleinbildkame-ra von jedem Patienten eine Porträtaufnahme machte. Margarita hatte sich in wenigen Tagen zu einer guten Hilfe eingearbeitet, reichte an, rieb die Körperstellen, wo Injektionen gesetzt werden sollten, mit Alkohol ein, tröstete Mütter, die Angst um ihre Kleinen hatten, beruhigte die Kinder, die weinten, nahm die Namen der Patienten auf und führte die Kartei. Dr. Mohr war verblüfft, wie schnell sie das alles lernte, wie mühelos ihr alles von der Hand ging und wie wenig sie ermüdete. Oft waren es zehn Stunden, die er unter dem Pebas-Vorbau stand und die wartenden Kranken versorgte, bis der Abend wie mit einem Messer den Strom der Patienten abschnitt. Das war merkwürdig, aber Pebas hatte eine Erklärung dafür:»Bei Dunkelheit geht niemand mehr hinaus«, sagte er.»Es sei denn, es wäre wirklich dringend. Alle, die zu dir kommen, Pete, haben Smaragde bei sich, in die Taschentücher geknotet, am Körper versteckt. Jeder nimmt seinen Reichtum mit. Man traut nicht der eigenen Mutter in der Hütte. Jeder weiß das von jedem. Da kann man doch nicht mehr in der Nacht weggehen. Man käme nie da an, wo man hinwollte!«

Die schwerste Aufgabe hatte Maria Dolores Pebas übernommen: Sie wartete neben einem dampfenden Kessel voller Tee mit Rum auf die Überweisung ihrer Patienten. Das waren grundsätzlich die starken Männer, die Riesenbrocken mit Stahlmuskeln, die Kerle, die vor Kraft nur schaukelnd gehen konnten. Wenn sie nämlich beim Medico an die Reihe kamen, die Spritzen erblickten, die langen dünnen Nadeln, die der Doctor gleich irgendwo in sie hineinstechen würde, wenn sie den leichten Äthergeruch einatmeten und die blinkenden Instrumente auf dem sauberen Handtuch ausgebreitet liegen sahen, überflutete sie ein heftiges Zucken, ihre Augen wurden weit und rund, die Haut bleichte plötzlich aus. und dann, gleich nach dem Einstich der Injektionsnadel, geschah es: Sie verdrehten die Augen und knickten in den Knien ein. Simpson fing die Muskelberge auf, kippte sie zu Maria Dolores' Seite auf eine Pritsche und sagte:»Noch ein Held!«

Dann griffMutter Pebas ein, ließ ihre schnelle Hand ein paarmal klatschend über die bleichen Gesichter sausen, wartete die ersten Reaktionen ab und flößte den gefällten Riesen dann den belebenden Tee mit Rum ein.

«Ein guter Medico«, erzählte man überall in den Bergen von Muzo.»Ein Herz für die Leidenden hat er! Gott hat uns doch nicht vergessen.«

Auch das war wahr. Der Gang zum Arzt führte nach der Behandlung notgedrungen bei Pater Cristobal vorbei. Notgedrungen deshalb, weil der Pater mit provozierender Miene vor seinem Bretterverschlag stand, den er >Kirche< nannte, und jeden musterte, der vom Medico herauskam. Es war unmöglich, sich zu verdrücken. Entweder rief der Pater selbst:»Ha! Nicht nur der Leib, auch die Seele ist krank!«Oder:»Auch dich sieht Gott!«Da blieb keine andere Wahl, als zu ihm abzuschwenken. Oder Miguel faßte ganz Unangenehme beim Kragen, hielt sie wie eine nasse Katze hoch und schrie:»Gesund werden und Gott nicht danken, das haben wir gern! Bekreuzige dich, du Ferkel!«

So hatte jeder vollauf zu tun. Streit gab es nur, wenn Simpson fotografierte. Dann rissen einige die Hände vors Gesicht oder drehten sich weg. Mit gutem Grund, das wußte Dr. Mohr. Noch existierte kein Foto dieser Galgengesichter, und sie wollten auch keine gemacht haben. Dr. Mohr jedoch blieb stur.

«Ohne Foto keine Behandlung.«

«Ist das hier ein Arzt oder ein Staatsanwalt?«brüllte einmal ein Mann. Ausgerechnet er kam mit einer entzündeten Wunde zu Dr. Mohr. Die Kugel saß noch im Muskel.»Legt man hier eine Kartei an?!«

«Genau das!«Dr. Mohr winkte.»Der nächste! Diskutieren kostet Zeit.«

«Der nächste bin ich!«brüllte der Mann. Er zog plötzlich eine Pistole und drückte sie Dr. Mohr gegen den Leib. Die Umstehenden schrien auf. Margarita ließ ein Glas fallen.»Von mir wird kein Foto gemacht! Ein Arztbauch ist wie jeder Bauch, das garantiere ich. Der verdaut auch keine Kugel! Also, was ist? Fangen wir an, Quack-salber!«

Niemand rührte sich. Alle starrten auf die Pistole. Nur Maria Dolores, im Rücken des wildgewordenen Mannes stehend, tauchte einen Krug in den kochenden Tee, erhob sich und goß ihn über den Kopf des Mannes aus.

Mit einem tierischen Gebrüll taumelte er zurück, direkt in die Faust von Dr. Simpson hinein. Fast gleichzeitig stürmten Dr. Novarra und Pater Cristobal herein. Die Menge der Wartenden wich zurück.

«Sieh an!«sagte Novarra laut.»>Harald der Wikinger<! Läßt verkünden, er könne aus Steinen Wasser quetschen! Ich nehme ihn mit, Doctor!«

«Halt! Wohin?«Dr. Mohr kam um den Behandlungstisch herum. Harald hockte auf Maria Dolores' Pritsche, war sehr kleinlaut geworden und starrte Dr. Novarra abwartend an. Seine Haut brannte höllisch. Schulter und Rücken glänzten rot.»Der Mann hat einen Schuß im Oberarm und jetzt auch noch Brandwunden dritten Grades.«

«Er wird in Kürze schmerzfrei sein.«

«Novarra!«

«Wollte er Sie umbringen oder nicht, Doctor?«

«Er spielte den eisernen Wikinger. Ihm tut's schon leid.«

«Tut's dir leid?«brüllte Novarra den Mann an.

>Harald der Wikinger< sah sich um. Er hatte einen Namen zu verlieren und antwortete deshalb gepreßt:»Nein!«

«Na bitte!«Novarra ging auf ihn zu, Harald duckte sich im Sitzen. Seine Augen glitzerten gefährlich. Der Bärtige schüttelte den Kopf.»Keine Vorfreude. Ich komme dir nicht in Griffnähe. Aber überleg mal, was du machen willst! Da draußen stehen jetzt 30 von meinen Männern. Gut, du kannst schießen. aber höchstens ein Magazin leer. Dann bleiben nur noch Fetzen von dir übrig. Oder du kannst hinausgehen und sagen: Ja, ich habe mich wie ein Rotz benommen. Dann üben wir mit dir einen bestimmten Satz, bis du ihn fließend sprechen kannst, nämlich: Lieber Medico, ich bitte vielmals um Verzeihung. Schwer, was? Aber man kann ihn aussprechen.

Nur Übungssache. «Novarra zeigte zur Tür.»Also, was ist? Pistole oder Sprechübung?!«

>Harald der Wikinger< erhob sich langsam. Er blickte Dr. Mohr nicht an, tappte zum Ausgang und wurde dort von Pater Cristobal und Novarras Männern in Empfang genommen. Dr. Mohr nickte Maria Dolores zu.

«Danke.«

Sie lächelte verhalten, setzte sich wieder neben ihren Teekessel und wartete. Dr. Simpson bebte noch immer am ganzen Körper. Margarita packte mit zitternden Fingern Tupfer aus und stapelte sie auf einem Nebentisch. Ihre Mundwinkel zuckten, als weine sie nach innen.

>Harald der Wikinger< kam nach zehn Minuten wieder. Man ließ ihn ohne Murren vor. Anscheinend hatte man ihm nicht zugesetzt, denn er wirkte keineswegs zerschlagen oder gezwungen. Dr. Mohr legte eine Pinzette, mit der er gerade einen dicken Kakteendorn aus einer stark entzündeten Wunde gezogen hatte, zur Seite.

«Ich bitte um Verzeihung!«sagte Harald mürrisch. Dr. Mohr lächelte breit.