Выбрать главу

«Und ich auch!«Dr. Mohr rauchte nervös eine Zigarette. Er stand in seinem Ordinationszimmer, in dem man bereits die wachstuchbezogene Liege, einen Schreibtisch, zwei Schränke, eine Waage, eine Meßlatte und einen ganz modernen Blutdruckmesser aufgebaut hatte. Dafür fehlten noch die Türen und die Fenster. Die Wände stanken nach Holzbeize.»Du mußt mir helfen, Cris.«

«Sag, was ich tun soll.«

«Ab morgen muß ich Nummern ausgeben. Simpson behauptet, das gäbe dann einen Massenmord, weil jeder die niedrigeren Nummern haben will. Aber anders geht es nicht mehr. Sie streiten sich schon jetzt, wer zuerst da war, und schlagen aufeinander ein. Du mußt Ordnung in die Wartenden bringen. Ich kann mich darum nicht auch noch kümmern.«

«Ich werde die Kirche zum Wartesaal machen«, sagte Pater Cristobal ernst.»Vor dem Kreuz wird keiner morden.«

«Warten wir es ab. «Dr. Mohr zertrat seine Zigarette.»Thomas Bek-kett ist vor dem Altar erschlagen worden.«

Am dritten Tag war plötzlich Stille. Das Plateau war wie leergefegt. Kein Kranker, keine Wartenden, keine Verwundeten. Auch die Männer aus der >Burg< fehlten. Dafür erschien auf einem schweißnassen Muli ein Guaquero und trommelte Dr. Mohr aus dem Schlaf.

«Sie kommen!«schrie der Schürfer.»In vier Stunden müssen sie hier sein! Wir können sie nicht aufhalten, unmöglich. Es ist ein ganzes Bataillon.«

Dr. Mohr schnellte aus den Decken empor.»Wer kommt?«rief er.

«Militär! Aus Muzo! Mit Kanonen und schweren Maschinengewehren! Sie gehen vor wie im Krieg: Spähtrupps, dann eine starke Spitze, dann die Masse. Ein Mist ist das! Das haben wir nur Ihnen zu verdanken! Jetzt können wir uns wie Ratten verkriechen.«

Er spuckte auf den Boden, warf sich herum und rannte davon. Wenig später hörte Dr. Mohr, wie sein Muli weggaloppierte.

Dr. Simpson war in vollem Aufbruch, als Mohr, halbangezogen, nach draußen stürzte. Auf drei Mulis verlud Simpson sein Zelt und vor allem seinen Minenwerfer.

«Was soll das, Aldi?«rief Mohr.»Ihnen tut doch keiner etwas!«

«Und das hier?«Simpson klopfte auf das Rohr des Werfers.»Und mein Name? Gäbe das einen Jubel, wenn die Uniformröcke den alten Simpson an die Leine nehmen könnten! Ich stehe auf allen Listen, Chef!«

«Wo wollen Sie denn hin?«

«In die >Burg<. Dort haben sie bereits den Kriegszustand ausgerufen.«

«Das ist ja idiotisch! Es gibt doch gar keine Chance.«

«Richtig! Das Militär wird sich die Zähne ausbeißen! Wenn sie die >Burg< stürmen wollen. Prost, ihr Heiligen! Sie werden sich vorkommen wie auf einem Schlachthof.«

Er verschnürte weiter seine Habe auf Mulis und zeigte auf Dr. Novarra, der mit zwei düster blickenden Männern gerade um die Felsenecke bog. Dr. Mohr strich sich die Haare aus der Stirn und ging ihnen entgegen. Der frühe Tag war noch bleich. Ein Himmel, den die Sonne noch nicht färbte. Das Licht glitt wie hinter dicken, grauen Scheiben über das Gebirge.

«Was ich befürchtet habe«, sagte Dr. Novarra dunkel.»Ein friedlicher Aufbau… es wäre zu schön gewesen. Jetzt kommt das Militär, um Ihnen zu helfen und uns zu jagen! Viel Blut wird fließen.«

«Ich werde es verhindern!«

«Sie, Doctor? Dann kennen Sie nicht den Ehrgeiz der Offiziere. Da spielt jetzt zweierlei eine große Rolle: Erstens der Ruhm, möglichst viele Vogelfreie eingefangen oder getötet zu haben, und zweitens die Beute an Smaragden, die natürlich in keinem Bericht erwähnt werden wird und die in die eigene Tasche fließt! Das ist ein Doppelanreiz: Plünderung unter staatlichem Schutz! — Da können Sie gar nichts erreichen mit Ihrem ärztlichen Edelmut! Sie werden eine Ohrfeige bekommen und in eine Ecke gesetzt werden. Oder haben Sie schon gehört, daß einmal in Marschtritt gesetzte Offiziere sich von einem Zivilisten aufhalten lassen?! Das gibt's in keiner Armee — wie sollte das hier in den Kordilleren möglich sein?«Dr. Novarra reichte Dr. Mohr die Hand hin.»Schade, Doctor. Wir hatten beide nur das Beste im Sinn, jetzt wird wieder alles vernichtet. Leben Sie wohl.«

«Ramon, das klingt wie ein Abschied.«

«Er ist es auch! Wie die Sache auch ausläuft, Sie müssen mit dem Militär zurückziehen nach Muzo. Hier können Sie nicht mehr bleiben. Jeden vergossenen Blutstropfen wird man Ihnen anlasten! Sie haben das Militär hierher gelockt. Nicht bewußt, aber doch, indem Sie hierher gekommen sind! Wir werden uns nicht wiedersehen. Und wenn Sie wirklich den Irrsinn begehen und hier bleiben, dann kann ich Sie auch nicht mehr schützen!«

«Ich schlage in Ihre Hand nicht ein, Novarra«, sagte Dr. Mohr heiser.»Wir sind doch Freunde geworden! Was hätte ich ohne Sie erreicht? Von diesem Hospital stände vielleicht erst eine Wand.«

«Vielleicht wäre das besser gewesen. Glauben Sie mir, Doctor, es ist klüger, sich an das Militär anzuschließen. Das ist auch die Ansicht von Jose Bandilla.«

«Unmöglich.«

«Wenn er ehrlich sein sollte, das hatte ich vergessen, hinzuzusetzen. Sie haben ihn ja hochgepäppelt. Sie werden ihn auch heilen. Und dann? Bandilla weiß genau, was Sie mit ihm vorhaben… er wird Sie deshalb sofort liquidieren, wenn Sie ihm sagen: Jetzt sind Sie gesund! Dankbarkeit? Mit welchen Utopien rechnen Sie eigentlich?«Novarra hielt wieder seine Hand hin.»Von Ihrem medizinischen Ethos aus betrachtet, ist Ihre Hilfe eine gottgewollte Tat. In Wirklichkeit heilen Sie Ihre Mörder! Ich weiß, daß Sie das nie begreifen werden. Daß das alles nicht in Ihr Menschenbild paßt. Darum: Wenn das Militär hier seine blutige Spur hinterlassen hat, ziehen Sie mit den Soldaten weg!«

«Und Sie?«

«Wir haben die >Burg< in den Verteidigungsstand gesetzt. Sie ist uneinnehmbar, man könnte uns nur aushungern. Aber dazu haben die Soldaten keine Zeit. Wir werden überleben. Aber die anderen Guaqueros, die armen Hunde, die in ihren Hütten und Höhlen hausen. Man wird Sie verfluchen, Doctor — «

«Ich habe das Militär nicht gerufen!«schrie Dr. Mohr.

«Das wissen wir alle! Aber es kommt Ihretwegen. Wo ist da ein Unterschied? Die Wirkung ist die gleiche. «Novarra machte eine weite Armbewegung.»Wo sind Ihre Patienten? Leergefegt alles! Brauchen Sie noch mehr Überzeugung? — Also, leben Sie wohl!«

«Auf Wiedersehen, Novarra.«

«Hoffentlich nicht.«

Dr. Novarra wandte sich ab und ging zu den abseits wartenden zwei Männern zurück. Kurz vorher drehte er sich noch einmal um. Dr. Mohr stand noch da, wo er ihn verlassen hatte. In Hemd und Hose, mit zerwühlten Haaren, einsames Denkmal verfluchter Menschenliebe. Die jetzt rotgold am Himmel schwimmende Morgensonne umgab ihn mit einem unwirklichen Glanz.

«Vergessen Sie uns nicht!«sagte Novarra gepreßt.»Ich war jedenfalls froh, einem Menschen wie Ihnen begegnet zu sein.«

Dr. Mohr erwartete das Militär in seinem halbfertigen Hospital. Er war von Bett zu Bett gegangen und hatte die Kranken und Frischoperierten, die nicht weglaufen konnten, mit Beteuerungen zu beschwichtigen versucht. Die Gehfähigen waren schon verschwunden, kaum daß die Nachricht vom Anrücken des Bataillons sie erreicht hatte.

«Niemand wird euch etwas tun!«sagte er zu den Bettlägerigen.»Ich verbürge mich dafür. Keiner wird euch anfassen. Ich stehe euch bei.«

«Man wird Sie einfach umhauen, Doctor«, sagte ein alter Mann mit einem offenen Magengeschwür.»Und uns werden sie in den Betten erschießen.«

Pater Cristobal, von Miguel alarmiert, der sich verabschiedete und mit seinem Muli wegritt, versuchte ebenfalls, Hoffnung und Glauben an das Gute zu verbreiten. Um dem Nachdruck zu verleihen, hatte er seine Maschinenpistole um den Hals gehängt. Es war ein seltener Anblick: Ein Mann in Soutane, das Birett auf dem Kopf, um die Schulter die Stola gelegt, betete an den Betten und hatte dabei die Hände über einer MPi gefaltet.

Im OP standen Margarita und Maria Dolores in ihrer Schwesterntracht. Adolfo Pebas hatte sich die Gummischürze von Miguel umgebunden.»Versuch es!«hatte Miguel zu ihm gesagt.»Vielleicht hilft sie dir. Bei mir ist das ausgeschlossen. Ich bin zu bekannt, du weißt ja. Ich komme wieder, wenn alles vorbei ist.«