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Der Hund überstand die Narkose ausgezeichnet. Dr. Simpson meldete das sofort Dr. Mohr, der nebenan in der Ambulanz die Patienten wie auf einem Fließband an sich vorbeiziehen ließ. Viele wurden sofort in einen anderen Raum umgeleitet, wo Margarita selbständig intramuskuläre Injektionen verabreichte. Dr. Mohr hatte mit ihr geübt, und zwar nach Guaquero-Art. Vor 14 Tagen war ein Mann eingeliefert worden, der genau zwölf Schüsse im Körper hatte. Drei davon waren unbehandelbar, und nach sieben Stunden starb der Mann, der natürlich wie alle keinen Namen hatte. An diesem Toten, der später nackt auf einer Trage lag, übte Margarita das Setzen von Spritzen.

Sie lernte schnell. Ihre Hand zitterte nicht, als sie die erste Injektion in den Oberschenkel machte. Den Anblick von Toten war sie von Kind an gewöhnt. Tage später spritzte sie unter Aufsicht von Dr. Simpson, der begeistert war.»Sie ist die geborene Krankenschwester!«sagte er zu Dr. Mohr.»Seit zwei Tagen übe ich mit ihr intravenöse Injektionen.«

«Sind Sie verrückt, Aldi? An wem denn?«

«Da liegen ein paar Burschen, denen ein paar Hämatome mehr oder weniger nichts ausmachen! Und wenn sie eine Luftembolie kriegen… schade ist's auch nicht um sie.«

«Dr. Simpson, ich hätte große Lust, Sie rauszuschmeißen. Zünftig, mit einem Tritt in den Hintern! Auch um Sie ist es nicht schade!«

Simpson nickte schwer, war beleidigt und trollte sich.»Da will man der Menschheit helfen, und was erntet man statt Dank: Drohungen! Nicht einmal aus Kummer einen saufen darf man!«

Der erste Röntgenpatient war ein komplizierter Unterschenkelbruch, ein Splitterbruch. Da es ein Mann aus der >Burg< war, kam Dr. Novarra mit. Begeistert hielt er die Röntgenaufnahme in den Händen und hielt sie gegen das Licht. Deutlich war der zersplitterte Knochen zu sehen.

«So etwas mitten in der Wildnis!«sagte Novarra und gab die Röntgenplatte zurück.»Und keiner weiß etwas davon! Für jeden Politi-kerfarz gibt es Orden und Auszeichnungen, aber ein Mensch wie Sie, Dr. Morero, bleibt unbekannt. Ihr Name müßte sichtbar für alle Welt an den Himmel geschrieben werden. Übrigens: Bandilla geht es saumäßig.«

Dr. Mohr warf die Platte auf den Tisch.»Aber wieso denn? Vor drei Tagen lief er doch herum, noch sehr wacklig, aber er ging aufrecht und war bester Laune.«

«Er kotzt Galle und Blut.«

«Seit wann?«

«Seit drei Tagen. Am Abend nach Ihrem letzten Besuch fing es an.«

«Und das sagen Sie mir erst heute? Sofort zu mir mit Bandilla! Da kann ein Magengeschwür durchgebrochen sein.«

«Bandilla ist nicht mehr transportfähig«, sagte Novarra verschlossen.

«Das können Sie beurteilen?«

«Ja!«Novarras Gesicht war hart geworden.»Bandilla ist vielleicht jetzt schon tot.«

«Novarra, Sie.«

«Er wollte keinen Arzt mehr.«

«Das ist nicht wahr! Er freute sich immer, wenn ich kam!«

«Aber vorgestern, als ich Sie rufen wollte, resignierte er. >Keine Qualen mehr<, sagte er. >Ich fühle es… es ist umsonst.< Und wie er aussah, was er alles ausbrach — man mußte ihm recht geben! Medizin sollte helfen und heilen, aber nicht unnötig quälen, wo keine Hoffnung mehr ist!«

«Novarra, was sind Sie für ein Mensch!«Dr. Mohr setzte sich auf die Schreibtischkante. Der Bärtige ging zum Fenster, drehte Mohr den breiten Rücken zu und starrte hinaus. An der Kirche wurde noch gearbeitet. Die letzten Stellen des Daches wurden mit Holzbrettern und flachen, ziegelartigen Steinen gedeckt.»Sie entscheiden über ein Leben ohne jegliche medizinische Kenntnis.«

Ich brauche keine Kenntnis der Medizin, dachte Novarra. Ich weiß, daß es für Bandilla keine Rettung mehr gibt. Seit er wieder feste Nahrung zu sich nimmt, mischt man ihm fein zerstoßenes Glas unter das Gemüse. Das reißt die Magenwände auf. In diesem Stadium ist nichts mehr zu machen, Dr. Morero. Auch Sie können keinen ganzen Magen herausnehmen und die Speiseröhre direkt mit dem Darm verbinden. Im Prinzip ist das natürlich schon möglich, aber nicht hier, in den Felsen zwischen Penasblancas und Muzo. Doch das brauchen Sie nicht zu wissen, Dr. Morero! Sie würden nur wieder sagen: Das ist Mord! Und man hätte große Mühe, Sie davon zu überzeugen, daß wir eben gerade damit einen Mord verhindern wollen. Den Mord an Ihnen. Bandillas Dank! Es hat keinen Sinn, einem Mann gegenüber ein Gewissen zu haben, wenn dieser gar nicht weiß, was Gewissen ist! Natürlich, Doctor, mir ist bekannt, daß Sie eine andere Moral haben! — Aber wir leben nicht in einer geordneten Welt, sondern am Rande der Hölle. Wir haben hier unsere eigene Moral. Ich sage es Ihnen immer wieder, Doctor, aber Sie wehren sich gegen diese schaurige Wahrheit! Also müssen wir handeln ohne ihren Ehrenkodex.

«Ich warte darauf, daß die Nachricht von Bandillas Tod kommt«, sagte Dr. Novarra laut gegen das Fenster.

«Ich bestehe darauf, ihn zu obduzieren!«rief Dr. Mohr.

«Abgelehnt.«

«Ich muß die Todesursache wissen!«

«Herzversagen. Das stimmt immer. Der Tod ist ein Herzversagen. Können Sie das widerlegen?«

«Sie haben Bandilla umbringen lassen, Novarra!«

«Ich gestatte Ihnen, den Körper nach Schußverletzungen zu untersuchen.«

«Vergiftet!«

«Sind wir Weiber? Giftmorde sind Frauenprivilegien!«

«Aber irgend etwas stimmt doch da nicht! Bandilla stirbt nicht eines natürlichen Todes.«

«Er liegt brav im Bett! Auch erhängen tun wir ihn nicht! Oder erdrosseln. Oder ersäufen. Er stirbt als braver Mann unter der Bettdecke. Doctor, Sie haben alles getan, was möglich war. Aber die Medizin hat ihre Grenzen, das wissen Sie genau. Bandilla liegt hinter dieser Grenze. Tröstet Sie das?«

«Nein!«Dr. Mohr nahm das Röntgenbild. Im OP wartete der Splitterbruch auf die Behandlung. Dr. Simpson verkürzte die Wartezeit, indem er dem Schürfer eine Reihe ungeheuer säuischer Witze erzählte. Der Mann lachte dröhnend und hatte kaum noch Schmerzen.»Aber ich muß mich damit abfinden. Vergessen ist die Sache trotzdem nicht, Novarra!«

«Jeder von uns schuldet dem anderen eine Menge Dank. Werfen wir das in einen Topf..«

«Ein Menschenleben?«

«Was ist hier ein Menschenleben?«

«Ist Ihnen Chica und Ihr kleiner Sohn so wenig wert?«

«Es geht beiden übrigens ausgezeichnet, Doctor.«

«Danke! Doch meine Frage.«

«Chica ist nicht Bandilla. Wie behandeln Sie einen tollwütigen Hund?«

«Ich erschieße ihn. Aber Bandilla.«

«Gut!«Dr. Novarra hob die rechte Hand.»Doctor, begreifen Sie endlich, daß ein tollwütiger Hund ein Kuscheltierchen gegen den gesunden Bandilla ist! Für mich ist das Thema erledigt.«

Am Abend brachte ein Bote aus der >Burg< die Nachricht zum Hospital, daß Jose Bandilla gestorben sei. Nach einem Blutsturz habe sein Herz versagt.

«Da haben Sie Ihre Diagnose!«sagte Dr. Novarra zu Dr. Mohr.»Wollen Sie noch mehr?«

Kapitel 12

Es war nachts, als ein paar Tage später jemand an das Fenster von Dr. Mohr klopfte. Seit einer Woche hatte er seine Wohnung im Hospital bezogen, und Margarita war zu ihm gezogen mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Frage mehr von Adolfo Pebas zuließ. In einem breiten Bett lagen sie nebeneinander, aber sie lagen da wie Geschwister, nicht wie ein Liebespaar. Jeder in eine Decke eingerollt, ohne sich zu berühren. Bis auf den Kuß, der den Tag abschloß.

Doch sie hörten sich, sahen sich, liebten sich in der stillen Sehnsucht. Manchmal saß Dr. Mohr im Bett und betrachtete die schlafende Margarita mit klopfendem Herzen und schmerzenden Lenden. Oder Margarita kroch zu ihm hinüber, wenn sie seinen langgezogenen, tiefen Atem hörte und wußte, daß er fest schlief. Dann hauchte sie mit den Lippen über sein Gesicht, streichelte ganz leicht seine Haare und flüsterte ihm ihre Liebe ins Ohr.

Es war ein Glück auf Distanz, aber sie wußten, daß sie diese Stärke nicht mehr lange aufbringen würden.