Dann vernahm er das Klappen einer Tür. Leise Fußtritte näherten sich über den Teppich. Gleich darauf wurde er von einer Duftwolke eingehüllt, und eine sanfte Stimme fragte liebenswürdig:»Ben?«Er stöhnte lauter.
«Ben, Liebling! Fühlst du dich nicht wohl?«
Mühsam schlug er die Augen auf und erblickte Angie, die besorgt und liebevoll an seiner Seite kniete. Er versuchte zu sprechen, aber sein Mund fühlte sich trocken und pelzig an. Dann fragte er sich, warum er auf der Couch lag und warum sein Kopf wie rasend schmerzte.»Ich klopfte und klopfte und benutzte schließlich meinen eigenen Schlüssel. Ben, was ist los? Warum schläfst du in deinen Kleidern?«
Das erste, was er herausbrachte, war:»Hm?«, dann:»O Gott. «und schließlich:»Wieviel Uhr?«
«Es ist fast Mittag. Ich hab immer wieder versucht anzurufen, aber du hast nicht abgenommen. Bist du krank?«
Er sah sie nochmals wie durch einen Nebelschleier an, dann wurde sein Blick schärfer, und er rief aus:»Fast Mittag! O nein!«Mit einem Ruck saß er kerzengerade da.»Mein Unterricht!«
«Professor Cox rief mich heute morgen an und wollte wissen, wo du seist. Ich sagte ihm, daß du furchtbar krank bist und im
Bett liegst. Nun sehe ich, daß ich damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Was ist geschehen?«
«Ich hatte für sie einen Text fix und fertig vorbereitet.«
«Er hat die Stunde ausfallen lassen. Ist schon in Ordnung.«
«Aber ich habe sie auch letzten Donnerstag verpaßt. Ich muß mich wirklich zusammenreißen. «Er schwang seine Füße über den Couchrand und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf.»Menschenskind, fühl ich mich hundeelend! Machst du mir einen Kaffee?«
«Aber klar doch. «Der Blumenduft verflog, als Angie in die Küche ging.»Was ist dir denn passiert, Schatz?«
«Ich habe letzte Nacht die ganze Rolle übersetzt und dann. und dann. «Ben rieb sich die Augen. Und dann was? Was stimmte nicht mit ihm? Warum konnte er sich nicht daran erinnern, was passiert war, nachdem er die Rolle beendet hatte? Warum gab es für die Stunden zwischen dem Übersetzen der Rolle und dem Moment, als Angie ihn auf der Couch gefunden hatte, einen weißen Fleck in seinem Gedächtnis?» Gott.«, murmelte er.»Ich fühle mich schrecklich. Was um alles in der Welt ist gestern denn in mich gefahren?«Und zu Angie gewandt, meinte er lauter:»Ich muß wohl todmüde gewesen sein, schätze ich.«
Dann ging er ins Badezimmer, wo er kalt duschte. Nachdem er sich frische Sachen angezogen hatte, fühlte er sich etwas besser, doch der seltsame Gedächtnisverlust beschäftigte ihn die ganze Zeit. Er erinnerte sich nur an den unheimlichen Zwang, der ihn trotz seiner extremen Müdigkeit genötigt hatte, weiterzuarbeiten, bis er sich vor Erschöpfung auf die Couch gelegt hatte und eingeschlafen war. Angie saß am Frühstückstisch vor dem dampfenden Kaffee, der schon eingeschenkt war, und beobachtete ihn, als er auf sie zuging.»Tut mir leid, daß ich dir Sorgen gemacht habe, Angie. Gewöhnlich schlafe ich nicht so fest.«
«Das weiß ich. Hier, trink ihn schwarz. Sag mal, Ben, warum hast du gerade eben gehinkt? Hast du dich am Bein verletzt?«Er blickte sie leicht verwundert an.»Warum, Angie, ich habe doch immer gehinkt. Das wußtest du doch. «Seine Miene verfinsterte sich.»Seit jenem Bootsunglück auf dem See.«
Sie starrte ihn einen Moment fassungslos an, zuckte dann die Achseln und meinte:»Wie dem auch sei, ich habe eine großartige Idee. Laß uns eine Fahrt die Küste entlang machen. Ich habe heute keinen Termin, und es ist ein herrlicher Tag.«
Unwillkürlich wandte er seinen Kopf dem Schreibtisch zu, wo die Arbeit der letzten Nacht lag, als hätte ein Orkan darin gewütet. Wieder kamen ihm Erinnerungen an die unheimliche Stimmung, die ihn während des Übersetzens überwältigt hatte. Das unerwartete Echo der Stimme seiner Mutter, die Worte sprach, die ihm einst so vertraut gewesen waren, die er aber schon lange vergessen hatte. Jonas’ Lebensmotto: der erste Psalm.»Das finde ich nicht.«
«Ich bin gestern nacht bis um zwei Uhr aufgeblieben und habe auf dich gewartet.«
Er antwortete nicht und starrte unverwandt auf seinen Schreibtisch. Angie streichelte seine Hände mit ihren langen, kühlen Fingern.»Du arbeitest zu hart. Komm schon, laß uns einen Ausflug machen. Das hat dir doch immer gefallen. Es entspannt dich.«
«Nicht heute. Ich will mich nicht entspannen. «Ben warf einen raschen Blick auf die Uhr.»In zwei Stunden kommt die Post. Ich will dann hier sein.«
«Wir werden rechtzeitig zurück sein.«
«Angie«, erwiderte er, wobei er aufstand und den Kaffee unberührt stehen ließ,»du verstehst das nicht. Ich kann im Moment nicht von meiner Arbeit fort.«
«Warum nicht? Hast du nicht gesagt, du hättest es fertigübersetzt?«
«Ja schon, aber. «Aber was? Was konnte er ihr erzählen? Wie konnte er ihr diesen plötzlichen Zwang erklären, bei den Schriftrollen zu verharren, Davids Worte immer und immer wieder zu lesen, und dazu die wachsende Spannung, mit der er die nächste Schriftrolle erwartete.»Es ist nur, daß.«
«Los, Ben, komm schon.«
«Nein, du verstehst nicht.«
«Nun, dann sag es mir doch, vielleicht verstehe ich hinterher.«
«Ach, komm, Angie! Du hast mich ja nicht einmal gefragt, was in der zweiten Rolle stand! Himmel, so etwas Phantastisches, und du interessierst dich nicht einmal dafür!«Sie starrte ihn verblüfft an und schwieg.
Ben bereute es sofort. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und blickte zerknirscht zu Boden.»O Angie«, stammelte er. Sofort war sie auf den Beinen und schlang ihre Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung, und sie standen eine Weile so da.»Ist schon gut«, murmelte sie sanft,»ist schon gut. Ich kann es eben nicht verstehen.«
Ihr Körper, der sich an ihn drängte, überbrachte ihm die Botschaft deutlicher als ihre Worte. Ben küßte ihren Mund, ihre Wangen und ihren Hals hastig und heftig, als ob er Angie aus Verzweiflung liebte. Er drückte sie so fest an sich, daß sie nicht mehr atmen konnte, und verhielt sich wie ein Mann, der von blinden Bedürfnissen getrieben wird.
Plötzlich und wie zum Spott klingelte das Telefon.»Verdammt«, brummte Ben.»Rühr dich nicht von der Stelle, Angie. Wer immer es ist, ich werde ihn schon los.«
Sie lächelte verträumt und schlenderte zur Couch, wo sie sich hinlegte. Sie schleuderte ihre Schuhe von sich und begann, sich das Kleid aufzuknöpfen.
Es war eine schlechte Überseeverbindung mit vielen Störgeräuschen in der Leitung, doch die Stimme am anderen Ende war ganz unverkennbar die von John Weatherby.
«Ich kann dir gar nicht beschreiben, was für eine Aufregung dein Telegramm im Lager auslöste!«brüllte er in die Leitung.»Drei Stunden nach deiner Nachricht traf ein Telegramm von Dave Marshall aus London ein. Wir stimmen alle überein, Ben. Das Jahr siebzig! Wir köpften eine Flasche Sekt und feierten! Du hast das hoffentlich auch getan. Hör zu, Ben, ich habe eine große Neuigkeit für dich. Wir haben vier weitere Tonkrüge gefunden!«
«Was!«Ben spürte, wie er weiche Knie bekam.»Noch vier weitere! O Gott!«
«Hast du Rolle vier schon erhalten? Ich habe sie letzten Sonntag abgeschickt. Ich habe dir ja schon gesagt, daß Nummer drei hoffnungslos zerstört ist. Ein einziger Teerklumpen. Nummer vier ist schlecht, aber immer noch leserlich. Ben, bist du noch dran?«Vier weitere Tonkrüge, dachte er verstört. So hatte David Ben Jona Zeit gehabt, noch mehr zu schreiben!
«John, das kann doch nicht wahr sein! Es ist zu aufregend, um es in Worte zu fassen!«
«Wem sagst du das! Wir haben erfahren, daß das ganze Ausgrabungsfeld von Menschen wimmelt. Einige der einflußreichsten Männer Israels sind gekommen, um die Stelle zu besichtigen. Ben, das könnte die Entdeckung unseres Lebens werden!«
«Sie ist es bereits, John!«Ben merkte, daß er in den Hörer brüllte. Er war quicklebendig, sein Körper energiegeladen. Es war ein neues >Hochgefühl<, das er nie zuvor erlebt hatte.»Schick mir diese Rollen auch zu, John!«