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«Hallo, Liebling«, rief sie strahlend und stellte ihren Handkoffer auf dem Couchtischchen ab.»Hallo«, erwiderte er verwirrt.

Sie küßte ihn auf die Wange, tätschelte ihn auf die andere und ging zur Küche.»Irgend etwas sagt mir, daß wir heute morgen nicht rechtzeitig fortkommen.«

«Was?«murmelte er.»Wozu fortkommen?«

Angie blieb an der Küchentür stehen.»San Diego, erinnerst du dich? Du wirst dieses Wochenende ein gefallenes Mädchen aus mir machen. Das hast du versprochen. «Dann ging sie in die Küche und begann herumzuklappern.»Ich hoffe, du glaubst nicht an den Wetterbericht«, hörte er sie aus der Küche rufen,»denn es wäre eine gute Entschuldigung dafür, achtundvierzig Stunden in einem Motel zu verbringen!«

Ben stand mitten im Wohnzimmer und fragte sich:»San Diego?«Angie streckte ihren Kopf aus der Tür.»Willst du hier frühstücken oder unterwegs?«

«Nun, ich.«

«Gute Idee. Kaffee hier und was zu essen unterwegs. So gefällt es mir. Vielleicht in San Juan Capistrano. In der Nähe der Mission gibt es ein entzückendes Cafe im spanischen Stil. «Noch mehr Geschirrgeklappere kam aus der Küche, und schließlich tauchte Angie wieder auf.»Der Kaffee braucht nur eine Minute zum Durchfiltern. Geh duschen, und wenn du herauskommst, ist er fertig.«

«Angie.«

Sie blieb vor einem Spiegel stehen, um ihre Frisur zu richten.

«Hm?«

«Angie, wir können nicht fahren.«

Sie hielt mitten in der Bewegung inne.»Was willst du damit sagen?«

«Ich will damit sagen, daß ich heute vielleicht die fünfte Rolle bekomme.«

Angie ließ langsam die Arme sinken und drehte sich zu ihm um.»Ach ja?«

Er machte mit ausgestreckten Händen einen Schritt auf sie zu.»Ich will hier sein, wenn sie kommt.«

«Wird der Briefträger sie nicht in den Kasten stecken?«

«Nein. Die Rollen kommen immer per Einschreiben. Wenn ich nicht hier bin, um sie entgegenzunehmen, muß ich bis Montag warten.«

Ihre Stimme klang kühl.»Ach so?«

«Komm schon, Angie. Versuche mich zu verstehen. «Sie holte tief Luft und atmete langsam wieder aus.»Ich habe mich so auf diesen Ausflug gefreut.«

«Ich weiß.«

«Früher bist du auch weggegangen, wenn Manuskripte zugestellt werden sollten. Du hast sogar diesen Kodex aus Ägypten drei Tage auf dem Postamt liegenlassen, bevor du hingefahren bist. Normalerweise bist du zuverlässiger, wenn es darum geht, deine Wäsche von der chemischen Reinigung abzuholen. Was ist mit diesen Schriftrollen so anders?«

«Himmel noch mal, Angie!«explodierte er.»Du weißt verdammt gut, was so anders ist!«

«He«, erwiderte sie ruhig,»schrei mich nicht an. Ich bin im selben Raum. Schon gut, schon gut, die Rollen bedeuten dir viel. Und sie sind anders als alles, was du bisher erhalten hast. Aber du hast gesagt, die fünfte Rolle käme vielleicht heute. Kannst du es nicht darauf ankommen lassen und mit mir nach San Diego fahren?«Ben schüttelte den Kopf.

«Weißt du, es ist nicht nett von dir, mich so zu enttäuschen. Das hast du bisher noch nie getan.«

«Es tut mir leid«, verteidigte er sich schwach.

«Also gut. Ich werde versuchen, dich zu verstehen. Du mußt mich nur für diese niederschmetternde Enttäuschung entschädigen.«

«Hör zu, Angie«, sagte er rasch,»wenn ich die Rolle heute nicht bekomme, gibt es keinen Grund, warum wir nicht morgen früh nach San Diego fahren und den Tag dort verbringen können. «Sie schaute ihn traurig und liebevoll an.»Wird es immer so sein, wenn man mit einem Schriftenkundler verheiratet ist?«

«Das kann ich dir nicht sagen. Ich bin nie mit einem verheiratet gewesen.«

Sie lachte und küßte ihn auf die Wange. Das Aroma von frisch gebrühtem Kaffee erfüllte die Luft.»Geh duschen und zieh dich an. Ich kann ebensogut mit dir auf die Rolle warten, und wenn sie nicht mit der Nachmittagspost kommt, können wir schon heute abend nach San Diego aufbrechen. Was hältst du davon?«

Ben duschte ausgiebig. Er war sich der Tatsache bewußt, daß ihm der Gedanke an Angies Gesellschaft leicht widerstrebte. Obwohl er es ihr nicht erklären konnte und es in der Tat nicht einmal selbst verstand, hatte er doch das dringende Bedürfnis, bis zur Ankunft der fünften Rolle allein zu bleiben. Es schien ihm, als müßte er sich wieder auf David vorbereiten.

Sie saßen schweigend über dem Kaffee, wobei Angie ständig aus dem Fenster blickte und nach Regen Ausschau hielt, während Ben an die nächste Rolle dachte.

Als er seinen schwarzen Kaffee umrührte, schweifte er in Gedanken ab, bis er schließlich ein Gesicht vor sich sah, daß er sich schon lange nicht mehr vergegenwärtigt hatte: die große Nase und die langwimprigen Augen von Salomon Liebowitz. Damals war Salomon ein gutaussehender junger Mann gewesen, mit einem muskulösen Körper und markantem Gesicht. Er hatte lockiges, schwarzes Haar gehabt, einen recht dunklen Teint und einen sinnlichen, vollen Mund. Die Leute hatten die beiden Jungen oft wegen ihrer äußeren Erscheinung aufgezogen: der eine ein dunkelhäutiger, semitischer Typus und der andere ein blasser, blauäugiger Blondschopf. Vom Aussehen her waren sie so verschieden wie Tag und Nacht, doch was ihre Gesinnung und Einstellung anbetraf, hatten sie gut zusammengepaßt. Beide verfügten sie über einen außergewöhnlichen Ideenreichtum und waren bei ihren Streifzügen durch Brooklyn unzertrennlich. In der Jeschiwa waren sie ausgezeichnete Schüler gewesen, die miteinander um das Lob der Lehrer wetteiferten. Sie saßen häufig bis spät in die Nacht beieinander, lernten zusammen und trafen später gemeinsame Verabredungen mit Mädchen.

Welch eine Überraschung war es da gewesen, daß sie, als sie nach Beendigung der Jeschiwa auf eigenen Füßen standen, so entgegengesetzte Wege eingeschlagen hatten.»Ben?«

Er konzentrierte seinen Blick auf Angie.

«Ben? Du hast kein Wort von dem, was ich sagte, mitbekommen. Denkst du über die Rollen nach?«Er nickte.

«Willst du mir davon erzählen?«Angie legte ihren Kopf zur Seite. Ben konnte sich nicht genau erklären, warum Angie ihn heute morgen so reizte. Wahrscheinlich lag es daran, daß sie Interesse an den Rollen heuchelte, damit er sich besser fühlte. Der Ausdruck in ihren Augen sagte:»Es wird vorübergehen. Der kleine Ben wird darüber hinwegkommen, und dann können wir spielen gehen.«

«Das verstehst du doch nicht!«antwortete er und wandte seinen Blick von ihr ab. Im Morgenlicht fiel es Ben trotz des trüben Wetters auf, daß Angie zuviel Make-up trug. Und dieses verdammte Parfüm, das sie immer an sich hatte, verdarb ihm den Geschmack an seinem Kaffee.

«Du kannst es mir trotzdem erklären.«

«Oh, um Himmels willen, Angie, versuch doch nicht künstlich, dich mir anzupassen. «Er stieß seinen Stuhl zurück und stand mit den Händen in den Hosentaschen auf. Ein leichter Sprühregen tröpfelte ans Fenster.

«Was ist nur los mit dir, Ben? Ich habe dich niemals so erlebt. Mal bist du nett und fröhlich und im nächsten Augenblick launisch und gereizt. Du warst doch sonst nie so unausgeglichen.«

«Es tut mir leid«, murmelte er und entfernte sich ein paar Schritt von ihr. Himmel noch mal, dachte er, alles, was ich will, ist doch nur, daß du mich alleine läßt! Damit ich in Ruhe nachdenken kann. Und du platzt hier herein in deiner feenhaften Aufmachung und mit deinem Kindergartenstimmchen und.

«Diese Rollen nehmen mich mehr und mehr gefangen, Angie. Ich kann nichts dagegen tun. Sie sind. sie sind. «Was? Was sind sie? Sind sie im Begriff, mich völlig zu beherrschen?

Er roch, wie der Duft ihres Parfüms näher an ihn herankam. Dann fühlte er ihre schlanken Hände auf seinen Schultern.»Laß mich lesen, was du bis jetzt übersetzt hast. «Ben drehte sich um, damit er sie ansehen konnte. O Angie, Liebes, dachte er unglücklich, ich weiß ja, daß du versuchst, mich zu verstehen. Ich weiß, daß du das alles nur meinetwegen tust. Bitte, tu’s nicht.»Darf ich?«