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«Ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich ständig verabredet. Ich habe genug an meinen Büchern und an Bruno, danke.«

«Bruno?«

«Mein Zimmergenosse.«

Er griff nach einem Stück Kuchen und hatte es schon fast zum Mund geführt, als die eine Hälfte abbrach und in seinen Schoß fiel. Er schaute einen Augenblick verdutzt drein, brach aber gleich darauf in schallendes Gelächter aus. Als sie gemeinsam versuchten, alle Krümel von der weißen Couch und dem weißen Vorleger aufzuklauben, meinte Ben:»Ich wette, daß Sie mit Bruno als Zimmergenossen keine Verabredungen mehr brauchen.«

Judy schaute auf.»Was?«Dann lachte sie noch lauter.»Oh, Dr. Messer! Bruno ist ein Schäferhund!«Ben sagte:»Ach so «und lachte ebenfalls.

Sie hatten sich schnell wieder gefangen und lehnten sich zurück, um Beethovens Klängen aus dem Plattenspieler und dem Regen am Fenster zu lauschen. Ben erlaubte sich, den Kopf zurückzulegen, um sich zu entspannen, und nach einer kurzen Weile hatte er vergessen, daß Judy Golden hier war.

Unzählige Gedanken gingen ihm durch den Kopf, hauptsächlich über seine Liebe zur deutschen klassischen Musik, die er in Kalifornien entdeckt hatte. Damals in Brooklyn hatte er kaum von Beethoven gehört, und allenfalls im Zusammenhang mit etwas Unheilvollem, Hassenswertem. In seiner Jugend war alles, das aus Deutschland kam, schlecht. Volkswagen, Sauerkraut, Bach und Glockenspiele galten allesamt als verabscheuungswürdige Dinge. Sie trugen das Mal des Todes und stanken nach bestialischer Grausamkeit und Unglück.

Nur Jüdisches war gut. Jüdisches war vollkommen, heilig und rein. Und zwischen den zwei Polen — den abscheulichen Deutschen und den geheiligten Juden — war die übrige Welt angesiedelt. Es hatte etwas mit Rosa Messers verzerrtem Bild von den Völkern der Welt zu tun und der Rangfolge, die sie einnahmen. Kein Volk war geringer einzustufen als die Deutschen, denn diese lagen gerade unterhalb der Hölle.»Dr. Messer?«

«Hm? Ah!«Er schnellte mit dem Kopf nach vorn.»Die Platte ist zu Ende.«

«Ach ja, richtig. Ich glaube, ich war in Gedanken. Hören Sie, Sie können jederzeit anfangen zu tippen. Ich weiß nicht, wie lange Sie brauchen werden.«

Sie standen beide auf. Ben ging ins Arbeitszimmer, um die Schreibmaschine zu holen, die in einem Koffer unter seinem Schreibtisch stand. Dann legte er wieder den Telefonhörer neben die Gabel. Mittlerweile dachte er sich gar nichts mehr dabei. Im Wohnzimmer hob er die Schreibmaschine aus dem Koffer, schloß das Stromkabel an und drückte auf den EinSchalter. Die Maschine begann zu summen.

«Sehr schön«, urteilte Judy.»Meine eigene ist eine von diesen alten, schwarz-goldenen mechanischen, die einem brutale Gewalt abverlangen, um eine Taste herunterzudrücken. Das hier ist wie sterben und in den Himmel kommen.«

Er lief nochmals ins Arbeitszimmer und kam mit Schreibmaschinenpapier, Kohlepapier und dem Übersetzungsheft zurück, das er aufgeschlagen auf den Tisch legte. Stirnrunzelnd betrachtete er die erste Seite.»So ein Geschmiere«, murmelte er,»ein fürchterliches Gekritzel. Es sieht fast so aus, als müßten Sie eine ebenso schwere Arbeit beim Entziffern leisten wie ich beim Übersetzen. Und ich habe mich über David Ben Jonas unordentliche Schrift beschwert! Schauen Sie nur das an!«

Judy lächelte, setzte sich vor die Schreibmaschine und begann, mit der Umschalttaste zu spielen. Ben beugte sich über sie und schaute beim Anblick seiner Handschrift noch finsterer drein.»An dieser Stelle habe ich richtig schnell geschrieben, so daß ich einige Wörter zusammenzog. Wissen Sie, David tat das ebenfalls. Beim Übersetzen kann einen das an den Rand der Verzweiflung bringen. Er war ein gebildeter Mann und ein ausgezeichneter Schreiber, doch manchmal, wahrscheinlich wenn er aufgeregt oder vielleicht in Eile war, schrieb er nachlässig — wie ich hier. Nun, das ist das eine, was David und ich miteinander gemeinsam haben. Zuweilen fügte er Wörter zu dicht aneinander, und es kostete mich eine halbe Stunde, um sie zu entziffern. Der geringfügigste Irrtum kann die gesamte Bedeutung eines Satzes verändern. Wie zum Beispiel.«, Ben nahm einen Bleistift und kritzelte eine Folge von Buchstaben oben auf die Seite: Godisnowhere.»Das ist natürlich Englisch, aber es vermittelt Ihnen einen Eindruck von den Schwierigkeiten, auf die ich beim Übersetzen von Davids Aramäisch stoße. Lesen Sie es einmal laut vor. «Judy musterte das Geschriebene eine Sekunde lang und las dann:»God ist nowhere.«(Gott ist nirgendwo.)

«Sind Sie ganz sicher? Sehen Sie nochmals hin. Könnte es nicht auch heißen: God is now here!« (Gott ist jetzt hier.)»Oh, ich begreife, was Sie meinen.«

«Und das verändert die Bedeutung erheblich. Wie dem auch sei, wenn Sie irgendwelche Probleme mit meinem Gekrakel haben sollten, dann brauchen Sie nur zu rufen. Die Abschnitte, die sich Ihnen als wildes Gekritzel präsentieren, sind Stellen, wo ich eine ebensolche Unleserlichkeit in Davids Handschrift antraf.«

«Ich denke, das wird lustig werden.«

«Wenn Sie irgend etwas brauchen, die Küche ist dort drüben, und das Badezimmer finden Sie, wenn Sie da hinten durchgehen. Ich bin im Arbeitszimmer, in Ordnung?«

«Alles klar. Viel Spaß.«

Ben war eben dabei, seine Regale nach einem entspannenden Lesestoff durchzusehen, als es an der Tür klopfte. Es war sein Nachbar, der Musiker, bekleidet mit einem triefendnassen gelben Regenumhang.

«Hallo, Nachbar«, grüßte er,»ich habe da etwas für Sie. Ich war heute nachmittag unten, gerade als der Briefträger wieder einen gelben Zettel in Ihren Kasten stecken wollte. Ich glaubte, Sie seien nicht zu Hause, und wenn es ein Einschreiben ist, könnte es ja wichtig sein. So quittierte ich dafür. «Er zog den schwarzen Umschlag unter seinem Arm hervor.»Andernfalls hätten Sie bis Montag warten müssen, richtig?«

Ben antwortete nicht, sondern starrte nur auf die vertraute Handschrift und die israelischen Briefmarken.

«Hören Sie, es tut mir leid, daß ich es nicht eher herauf gebracht habe, aber ich hatte noch etwas Dringendes zu erledigen. In Ordnung?«

«Was? Oh, ja, ja. Ganz wunderbar! Ich war den ganzen Nachmittag zu Hause und habe auf dieses Einschreiben gewartet, aber ich habe wohl nicht gehört, als der Briefträger klopfte. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«

«Lassen Sie es gut sein. Schönen Abend noch. «Lange, nachdem die Tür ins Schloß gefallen war, stand Ben noch immer wie angewurzelt da und starrte auf den Umschlag. Und sein Herz begann wie rasend zu schlagen.

Kapitel Sieben

Ich trat meine Lehrzeit bei Eleasar mit großer Sorge an. Nicht daß ich die vor mir liegenden Jahre voller Mühsal und Verzicht fürchtete. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich würdig genug war, ein Jünger zu sein. Rabbi Eleasar Ben Azariah war einer der wahrhaftig großen Autoritäten des Gesetzes, und er war ein berühmter Lehrer. Außerdem war er Mitglied des Hohen Rats der Juden, ein Pharisäer und frommer Mann. Eleasar lebte einfach und anspruchslos und arbeitete in seinem Handwerk als Käsemacher, um sich und seine Familie zu ernähren. Er kleidete sich in das Gewand eines bescheidenen Mannes und trug keine breiteren Gebetsriemen als seine Nachbarn. Anders als manche seiner Kollegen, die laut betend durch die Straßen gingen, war Eleasar ein ruhiger Mann, der mit seinem Herzen zu Gott sprach. Er kannte den Wortlaut des Gesetzes besser als irgendein anderer, und er praktizierte den Geist des Gesetzes durch seine Weisheit und seine tägliche Lebensführung. Und dieser Mann sollte nun mein Lehrer werden. Wie die meisten Rabbis hatte auch Eleasar stets zwölf Jünger um sich geschart. Wir zwei waren die jüngsten. Saul und mir wurde ein ungenutzter Schuppen hinter seinem Haus als Schlafstätte zugewiesen, so daß wir ständig in seiner Nähe sein konnten. Von den anderen zehn lebten drei in den Häusern ihrer Väter, drei wohnten bei Verwandten und vier waren in den oberen Räumen von Eleasars Haus untergebracht. Eleasars Frau Ruth nährte und kleidete uns als Gegenleistung für unsere Arbeit. Da sie keine Töchter hatte, fiel mir die unwürdige Aufgabe zu, täglich die Wasserbehälter am Brunnen aufzufüllen. Sauls Pflicht war es, das alte Haus in gutem Zustand zu halten. Die anderen vier Schüler halfen Eleasar in seinem Käseladen, wenn wir nicht gerade im Tempel weilten. Wir mußten lange Jahre dieser Knechtschaft erdulden, in denen wir als bescheidenste Diener ohne Lohn lebten, denn dies war der Preis, wenn man ein Mann des Gesetzes werden wollte.