«Aber was kann ich tun, Rabbi? Ich muß ständig an sie denken. Und wenn ich neben ihr sitze, spüre ich eine merkwürdige Schwäche in meinen Lenden.«
Er antwortete:»Alle Diener Gottes werden in ihrem Leben viele Male in Versuchung geführt, und sie müssen dagegen ankämpfen. Das Einhalten des göttlichen Gesetzes ist keine leichte Aufgabe, und deshalb stehen wir über anderen Menschen. Durch unser Vorbild werden sie das Gesetz befolgen. Und das Gesetz muß an erster Stelle kommen, David. Wenn du ihm wegen dieses Mädchens den Rücken kehrtest, dann wäre es besser, du hättest nie das Licht der Welt erblickt.«
So tobte in meinem Innern ein Kampf. Ich sah keinen Ausweg. Ich mußte an meinem Studium festhalten und Rebekka vergessen. Doch ich konnte es nicht. Und eines Nachts, mein Sohn, trug das Fleisch den Sieg über meinen Geist davon.
Saul und ich hatten in einem der Gärten jenseits der Stadtmauern Oliven gegessen. Haus und Garten gehörten einem alten Mann, der allein lebte und sich über unsere Gesellschaft freute. Als die Sonne zu sinken begann, bat er uns, noch ein Weilchen zu bleiben, weil er so einsam sei. Er bot uns dafür von seinem besten Wein an. Saul und ich hatten in unserem Leben nur sehr wenig davon getrunken, denn Eleasar erinnerte uns beständig an Noahs Schwäche. Wir blieben und tranken etwas Wein mit ihm, in der Absicht, gleich zu gehen. Doch als der Wein erst einmal unser Blut erwärmt hatte, schien jeglicher Widerstand zu schwinden. Und so blieben wir und labten uns an des alten Olivenhändlers Wein. Als wir endlich aufbrachen, war ich ziemlich erhitzt und hatte mich nicht mehr ganz in der Gewalt. Der große, kräftige Saul schien hingegen nur wenig davon berührt zu sein. Wir sangen auf unserem Weg durch die engen, gewundenen Gassen Jerusalems und stießen schließlich durch Zufall auf eine berüchtigte Schenke. Keiner von uns hatte je zuvor eine Schenke besucht, so daß unsere Neugierde wuchs, als wir draußen vor der Tür standen und auf der anderen Seite die Lichter sahen und von drinnen fröhliche Stimmen hörten. Es war Saul, der vorschlug, wir sollten hineingehen und uns drinnen umsehen. Und ich willigte ohne weiteres ein. Wir erregten großes Aufsehen, so ärmlich wie wir gekleidet waren, mit unseren langen, schwarzen Bärten und unseren Schläfenlocken. Da sie selten Rabbinenschüler in ihrer Mitte sahen, luden uns die Heiden ein, uns zu ihnen zu setzen und uns mit ihnen zu unterhalten. Sie brachten uns Krüge mit ungewässertem Wein, den wir zuerst ablehnen wollten, schließlich aber doch tranken. Dabei schauten wir ganz unverhohlen auf junge Mädchen, die mit nackten Brüsten tanzten und sich von fremden Männern berühren ließen. Saul und ich waren befremdet, und doch starrten wir wie gebannt darauf. In der überfüllten Schenke gab es Kameltreiber, römische Soldaten und ähnliche Männer, die viel in der Welt herumgekommen waren. Sie erzählten uns Geschichten von fremden Völkern am anderen Ende der Welt, von Seeungeheuern und Fabelwesen und von fernen Orten, so daß uns vor Staunen der Mund offen stand. Ich weiß nicht genau, wann ich Salmonides traf; ob er schon die ganze Zeit über dagewesen war oder sich erst später zu uns gesellt hatte. Alles, woran ich mich entsinne, ist, daß ich ihn in meiner Benommenheit plötzlich neben mir sitzen sah und daß er mir eine lange, weiße Hand auf den Arm gelegt hatte. Er hatte ein merkwürdiges, zeitloses Gesicht, dazu weißes Haar und unergründliche blaue Augen. Er sprach ausgezeichnet Aramäisch, als ob es seine Muttersprache gewesen wäre.
Ich muß ihm wohl mein Leid in bezug auf Rebekka und meine Armut geklagt haben, denn er sagte:»Es gibt nur einen sicheren Weg, das Herz einer Frau zu gewinnen, und zwar durch Geld. Du mußt dein Studium nicht aufgeben, um von ihr ein Heiratsversprechen zu erlangen. Du mußt nur beweisen, daß du eines Tages in der Lage sein wirst, gut und anständig für sie zu sorgen. Dann wird sie sich einverstanden erklären, auf dich zu warten. Ich weiß das, denn die Frauen sind überall auf der Welt gleich. «Ich gab mir große Mühe, sein Gesicht deutlich zu sehen, aber ich vermochte es nicht. Wie aus weiter Ferne konnte ich Saul in Gesellschaft einiger Männer lachen hören. Unser Tisch war beladen mit Wein und Käse und Schweinswürsten, und alles war so köstlich, daß ich mich bis obenhin damit vollstopfte. Ich war ebenso berauscht vom Essen wie vom Wein und achtete daher nur wenig darauf, was ich sagte. Ich mußte Salmonides gegenüber wohl mein kleines Geldversteck erwähnt haben, denn er fuhr fort:»Geld wächst, wie es die Zeder und die Palme tun. Pflanze deine Schekel, mein redlicher Jude, und beobachte, wie sie zu großen Sesterzen sprießen.«
«Wer seid Ihr?«fragte ich.»Ein Hexenmeister?«
«Ich bin ein Händler aus Antiochia in Syrien. Übermorgen läuft eine Flotte von Joppe nach Ägypten aus. Sie werden dort große Mengen Korn für Rom an Bord nehmen, und wenn alle Schiffe es bis Ostia schaffen, wird das Unternehmen einen Riesengewinn abwerfen.«
«Was wollt Ihr von mir?«
«Der Kapitän dieser Schiffe braucht Geld, um seine Mannschaft zu bezahlen. Als Gegenleistung wird er seine Gewinne teilen. Du, mein Freund, hast nun Gelegenheit, dir einen Anteil an diesem Gewinn zu sichern. Gib mir das Geld, das du besitzt, und in sechs Monaten gebe ich dir dafür eine Riesensumme.«
«Und wenn die Schiffe untergehen?«fragte ich.»Das ist das Risiko, das alle Geldverleiher auf sich nehmen müssen. Wenn sie untergehen, wie es zuweilen vorkommt, wirst du dein Geld verlieren. Wenn sie es dagegen mit dem Korn bis Ostia schaffen.«
Wäre ich nüchtern gewesen, mein Sohn, hätte ich den Griechen nur ausgelacht und ihn stehenlassen. Aber ich war nicht nüchtern. Ich war siebzehn und betrunken und zu allem fähig, um Rebekka zu gewinnen.
Ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt ich die Schenke verließ, aber Saul hatte mich wohl nicht gesehen, denn später sagte er, er habe meine Abwesenheit nicht bemerkt. Wie dem auch sei, irgendwie fand ich den Weg zu Eleasars Haus, stolperte, ohne jemanden zu wecken, die Treppe hinauf in mein Zimmer, holte meinen kleinen Geldschatz aus dem Versteck und wankte zurück zur Schenke. Als ich zurückkam, hatte der Grieche bereits einen Vertrag in zwei Ausfertigungen aufgesetzt, und ohne ihn durchzulesen, unterschrieb ich ihn bereitwillig. Salmonides nahm mein Geld und gab mir dafür das Stück Papier.
Und das ist alles von diesem Abend, woran ich mich erinnere. Saul erzählte mir tags darauf, daß er einmal zufällig aufgeblickt und mich schlafend an einem Tisch gesehen habe, an dem ich allein saß. Und so habe er sich von der Gruppe, mit der er zusammengesessen hatte, verabschiedet, mich auf seinen breiten Schultern nach Hause getragen und dort zu Bett gebracht. Der nächste Tag sollte der schlimmste meines Lebens werden. Die Scham war größer als irgendeine Last, die ich in meinem Leben getragen hatte. Ich erniedrigte mich vor Eleasar und schüttete ihm mein Herz aus. Während ich mit gesenktem Blick sprach, hörte er in ernster Stille zu. Ich erzählte ihm, daß ich mich in der Öffentlichkeit betrunken hatte, daß ich mich in der Gesellschaft nackter Mädchen und schändlicher Heiden aufgehalten hatte, daß ich reichlich Schweinefleisch gegessen und schließlich Salmonides mein ganzes Geld gegeben hatte.
Als ich fertig war, saß Eleasar für einen Augenblick in tödlichem Stillschweigen da. Dann stieß er einen solchen Schrei aus, daß ich vor Angst zitterte. Er schlug sich an die Brust, raufte sich das Haar und schrie heraus:»Womit habe ich das verdient, o Herr? Worin habe ich gefehlt? War es nicht dieser Knabe, in den ich meine größten Hoffnungen setzte und der als größter Rabbiner in Judäa meine Nachfolge hätte antreten sollen? Womit habe ich das nur verdient, o Herr?«
Eleasar fiel auf die Knie und tat lautstark kund, welches Unglück ihm widerfahren sei. Er gab sich selbst die Schuld an meiner Missetat, klagte, daß er als Lehrer versagt habe, und jammerte, daß er Gott enttäuscht habe, indem er seinen besten Schüler vom rechten Weg abgehen ließ.
Ich weinte mit ihm, bis die Tränen meine Ärmel durchnäßt hatten und ich nicht mehr weinen konnte. Als ich nur noch trockene Schluchzer von mir gab, schaute ich zu Eleasar auf und sah auf seinem Gesicht, wie groß sein Schmerz war.»Du hast Gottes heiliges Gesetz besudelt«, sagte er erbarmungslos.»David Ben Jona, durch dein eigenes Tun hast du den Bund Abrahams mit Füßen getreten und alle Juden vor Gott beschämt. Habe ich dich nicht recht gelehrt? Wie konntest du nur derart in die Irre gehen und so tief sinken?«