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Saul, den der Wein nicht betrunken gemacht hatte, der das Schweinefleisch zurückgewiesen und kein Geld an einen Griechen verloren hatte, war bei Eleasar ebenfalls nicht mehr gut angesehen, und doch war es nicht dasselbe. Eleasar war auf Saul nicht so stolz gewesen wie auf mich. Er hatte in Saul nicht den Nachfolger für sein eigenes erhabenes Amt und für die Weiterführung der Tradition erblickt. Und wegen alldem blieb Saul ein Verweis von der Schule erspart. Anders verhielt es sich mit mir. Eleasar betrachtete meine abscheulichen Sünden als eine ihm persönlich zugefügte Schmach. Ich hatte ihn enttäuscht, und ich hatte das göttliche Gesetz beschmutzt. Es durfte keine Gnade für mich geben. Noch am selben Tage verbannte mich Eleasar aus seinem Haus und legte ein Gelübde ab, daß er mich niemals mehr als seinen Sohn ansehen wolle. Ich packte meine armselige Habe zusammen und lief auf die Straße hinaus, ohne zu wissen, wohin ich gehen oder was ich tun sollte.

Als Eleasars Tür hinter mir zufiel, war es, als hätte Gott selbst mir den Rücken zugekehrt. Ohne Eleasar und die Schule, beladen mit Schande und im Bewußtsein, daß ich jetzt weder als Ehemann für Rebekka noch für ein Leben unter Juden in Frage kam, erwägte ich ernstlich, mir das Leben zu nehmen.

Ben fühlte etwas an seiner Wange, und als er daran rieb, fand er eine Träne. Die Wirkung von Davids Worten, den tiefen Eindruck, den sie beim Lesen auf ihn machten, setzten Ben in Erstaunen. Als würde sich die Verzweiflung des alten Juden auf ihn übertragen, fühlte Ben sich innerlich krank und furchtbar elend. Er mußte fortfahren. Er mußte die letzten beiden Teilstücke von Rolle sechs lesen. Doch sein Blick war von Tränen verschleiert, und seine Nase fing an zu laufen. Er brauchte ein Taschentuch.

Ben stand vom Schreibtisch auf und drehte sich um.»Liebe Güte!«entfuhr es ihm.

Angie stand im Türrahmen.»Hallo, Ben«, begrüßte sie ihn mit sanfter Stimme.

«Mensch, was fällt dir eigentlich ein, dich so klammheimlich heranzuschleichen?«Er faßte sich an die Brust.

«Es tut mir leid, aber ich klopfte und klopfte. Ich habe Licht bei dir gesehen. So dachte ich mir, daß du zu Hause sein mußt. Ich bin mit meinem Schlüssel hereingekommen.«

«Wie lange hast du da gestanden?«

«Lange genug, um mich ein paarmal zu räuspern und keine Antwort von dir zu bekommen.«

«Mensch.«, wiederholte er und schüttelte den Kopf.»Für eine Weile war ich wieder in Jerusalem. «Ben nahm das Blatt

Papier, auf das er seine Übersetzung gekritzelt hatte.»Ich erinnere mich nicht einmal daran, das hier geschrieben zu haben. Alles, woran ich mich erinnere, ist, daß ich in Jerusalem war.«

«Ben.«

Er wandte sich zu ihr um.»Ben, wo warst du letzte Nacht?«

«Letzte Nacht?«Er rieb sich das Gesicht. Letzte Nacht, wann war das?» Laß mich nachdenken. Letzte Nacht war ich.. ich war hier. Warum?«

Angie wandte sich ab und ging langsam in das dunkle Wohnzimmer. Eine sternklare Nacht schien durch die offenen Vorhänge hinein, und rundum herrschte eine frostige Stille. Ben wollte ihr folgen, doch dann spürte er, daß er wie magisch an den Schreibtisch zurückgezogen wurde. Als er über die Schulter sah, fiel sein Blick auf den noch unübersetzten Teil von Rolle Nummer sechs im Schein der Leselampe. Er fühlte eine kalte Leere in seinem Innern. Davids Worte hatten ihn völlig niedergeschmettert. Er wollte sich mit Angie auf keine Diskussion einlassen. Er mußte wieder nach Jerusalem zurück.»Ben. «Angie wirbelte herum.»Ich habe dich gestern nacht angerufen, und eine Frau nahm den Hörer ab.«

«Was? Das ist unmöglich. Du hast sicher die falsche Nummer gewählt.«

«Sie meldete sich mit: >Bei Dr. Messer.< Wie viele Dr. Messers, glaubst du, gibt es in West Los Angeles?«

«Aber das ist doch albern, Angie. «Er unterbrach sich mitten im Satz und runzelte die Stirn.»Warte mal. Jetzt erinnere ich mich. Das war wohl Judy.«

«Judy!«

«Ja. Ich bin nach draußen gegangen, um Pizza zu holen.«

«Was für eine Judy?«Angies Stimme wurde lauter.»Eine Studentin von mir namens Judy Golden, die hier war, um etwas für mich auf der Maschine zu tippen.«

«Wie nett.«

«Ach, jetzt stell dich doch nicht so an, Angie. Eifersucht steht dir nicht. Sie hat etwas für mich abgetippt, nichts weiter. Ich habe weder dir noch irgend jemandem sonst Rechenschaft darüber abzulegen, was ich tue.«

«Ganz recht, das hast du nicht. «Obgleich es ihm nicht möglich war, ihren Gesichtsausdruck im Dunkeln zu erkennen, konnte er ihn sich doch anhand des Klangs ihrer Stimme vorstellen. Sie zitterte und versuchte, sich selbst in der Gewalt zu behalten. Die gute, alte leidenschaftslose, sich stets beherrschende Angie.»Bist du hergekommen, um zu streiten? Ist es das?«

«Ben, ich bin gekommen, weil ich dich liebe. Kannst du das nicht verstehen?«

«Werde doch nicht gleich so melodramatisch. Ich lasse eine Studentin Tipparbeiten für mich erledigen, und schon müssen wir uns gegenseitig unsere Liebe beweisen. Lieber Himmel, Angie, kannst du mir nicht einfach glauben und es dabei belassen?«

Ein lähmendes Stillschweigen herrschte im Raum. Angie war verwirrt, bestürzt. Früher war Ben so berechenbar gewesen. Sie hatte stets gewußt, wie er reagieren oder was er sagen würde. Warum war jetzt alles so anders?

Mit matter Stimme stellte sie fest:»Du hast dich verändert, Ben.«

«Und du ziehst falsche Schlußfolgerungen!«Er lachte nervös.»Wenn irgendjemand sich verändert hat, meine Hübsche, dann bist du es. Ich mußte mich dir gegenüber niemals rechtfertigen. Es bestand nie die Notwendigkeit großartiger Liebesbezeugungen. Was ist denn plötzlich in dich gefahren?«

Sie ging auf ihn zu. Als das Licht der Schreibtischlampe auf ihr Gesicht fiel, konnte Ben den seltsamen Blick in ihren Augen erkennen.

«Es geht nicht darum, was in mich gefahren ist«, erwiderte sie langsam.»Es geht darum, was in dich gefahren ist. Oder vielmehr. «Ihre Augen schweiften von seinem Gesicht ab und blieben an einem Punkt über seiner Schulter haften.»Vielmehr. wer in dich gefahren ist. «Eine kleine Sorgenfalte zeigte sich zwischen ihren Augenbrauen, als sie die Stirn runzelte.»Du bist nicht mehr der alte seit der Entdeckung dieser Schriftrollen. Ich kenne dich seit über drei Jahren, Ben, und ich habe geglaubt, dich besser zu kennen als irgend jemand sonst. Aber in den letzten paar Tagen bist du mir vorgekommen wie ein Fremder. Ich bin dabei, dich zu verlieren, Ben, ich verliere dich schnell, und ich weiß nicht, wie ich dich zurückholen kann. «Als Ben sah, daß Angie Tränen in die Augen schossen, zog er sie plötzlich an sich und preßte ihr Gesicht gegen seinen Hals. Eine unheimliche Furcht schwebte in diesem Moment über ihm, und es war ihm, als stünde er am Rande eines großen, schwarzen Abgrundes. Er schaute hinunter, konnte aber nichts sehen als tiefschwarze Finsternis. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an Angie und schwankte zwischen Vernunft und Wahnsinn, zwischen Wirklichkeit und Alptraum. Ben erkannte in diesem Augenblick, daß er selbst jetzt, da er versuchte, sich an Angie festzuhalten, immer weiter an den Rand des Abgrunds glitt.

«Ich weiß nicht, was es ist, Angie«, murmelte er verwirrt in Angies duftendes Haar.»Ich kann nicht von diesen Schriftrollen lassen. Es ist fast, als ob. als ob.«

Sie wich zurück und schaute mit tränenüberströmtem Gesicht zu ihm auf.»Sag’s nicht, Ben!«

«Ich muß, Angie. Es ist fast, als ob David Ben Jona einen Alleinanspruch auf mich erheben würde.«