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Doch sie sprach:»Es interessiert mich nicht, was du getan hast. Ich sehe nur, daß du müde und hungrig bist. Wir haben in meinem Haus eine Menge zu essen und einen Platz, wo du schlafen kannst. Du kannst gerne mit mir kommen. «Ich protestierte ein zweites Maclass="underline" »Ich bin verbannt, gute Frau. Ihr würdet einem Verfluchten Einlaß in Euer Haus gewähren.«

Doch sie entgegnete:»Es obliegt Gott, über dich zu richten, nicht mir.«

Und ich widersprach ein drittes Maclass="underline" »Würdet Ihr eine Giftschlange mit nach Hause nehmen?«

Und da lächelte sie und meinte:»Selbst die Giftschlange sucht ihre Opfer nicht unter ihren Artgenossen.«

Zu matt, um noch weiter zu streiten, und verlockt durch die Aussicht auf Essen, begleitete ich die Frau nach Hause. Dort traf ich mehrere Leute, die mich als einen der Ihren aufnahmen und das Brot mit mir brachen. Sie waren fromme Juden, die makellos weiße Gewänder und Gebetsriemen an Stirn und Arm trugen. An diesem Abend bekam ich eine Matratze zum Schlafen und das Angebot, so lange zu bleiben, wie ich wollte.

Aber nach kurzer Zeit beschloß ich, Miriams Haus — so hieß die gute Frau — wieder zu verlassen, denn seine Bewohner waren ehrwürdige Leute, die beteten, bis ihre Knie gefühllos wurden. Ich spürte, daß meine Gegenwart sie befleckte. Nicht ein einziges Mal versuchten sie herauszufinden, welch schändliche Tat ich begangen hätte. Auch behandelten sie mich in keiner Weise als Fremden, sondern schienen nur um meine Gesundheit besorgt zu sein. Als ich ihnen zwei Tage später meinen Abschied ankündigte, stellten sie mir keine Fragen. Statt dessen gaben sie mir ihren Segen und steckten mir ein paar Schekel in den Beutel.

So schöpfte ich Mut, um ein neues Leben zu beginnen, denn nun zog ich Selbstmord nicht mehr in Betracht. Obgleich ich mich nicht im geringsten als würdig erachtete, vor das Angesicht Gottes zu treten oder auch nur unter Juden zu leben, hatten mir die Ruhe und das gute Essen die Kraft und Entschlossenheit verliehen, meiner unsicheren Zukunft entgegenzusehen.

An dem Tag, als ich Miriams Haus verließ, hatte ich einen Einfall. Mit einem Schekel kaufte ich ein frisches Papyrusblatt und ging damit auf den Marktplatz. Dort breitete ich meinen Umhang auf dem Boden aus, setzte mich darauf und verkündete den Vorbeigehenden lauthals, daß ich ein Briefeschreiber sei. Der Lohn war mager und die Stunden des Dasitzens lang und mühsam. Doch war dies die einzige Art und Weise, wie ich nach meiner Verbannung aus Eleasars Haus in Jerusalem überleben konnte. Mit Miriams Schekeln kaufte ich Papyri, und aufgrund meiner Bildung konnte ich Briefe schreiben. So war ich in den darauffolgenden Wochen imstande, in einem nahen Gasthaus ein Zimmer anzumieten und mir jeden Tag eine Mahlzeit zu leisten.

Und doch war ich auch weiterhin todunglücklich. Ich hörte auf, mein Haar zu kämmen, und ließ meine Kleider zu Lumpen verwahrlosen. Ich würde keinen Mann je mehr meinen Freund nennen können noch die Frau, die ich liebte, je wieder ansehen können. Ich würde mein Leben lang ein erbärmlicher Briefeschreiber inmitten des Kotes und der Fliegen auf dem Marktplatz bleiben. Ich würde mich zu der Masse gesichtsloser

Wesen gesellen, die ebenfalls von Gott verlassen worden waren.

Eines Tages, als ich in der Sonne schwitzte, während sich der Dreck in meine Haut einbrannte, sah ich den Saum eines vertrauten Umhangs an mich herankommen. Als ich aufschaute, glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen, denn es war Saul, und er lächelte mir zu.»Bitte geh weg«, rief ich ihm zu und versuchte, mich vor seinem Blick zu verstecken. Doch Saul kniete im Staub nieder und betrachtete mich ernst. Dann sprach er:»Mein lieber Bruder, ich habe wieder und wieder die ganze Stadt nach dir abgesucht. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht die Gesichter der Menge studiert hätte, in der Hoffnung, darunter meinen treuen David zu erblicken. Wie habe ich dich vermißt!«

Als er mich umarmen wollte, stieß ich ihn zurück und rief:»Verunreinige dich nicht selbst in meiner Gegenwart. Laß mich in Ruhe und geh deiner Wege. Ich habe gebetet, daß du mich vergessen mögest und daß meine Familie mich für tot hielte. Erzähle ihnen nicht, daß du mich gefunden hast, Saul!«

Seine Stimme klang traurig, als er antwortete:»Sie denken tatsächlich, du seist tot, denn seit drei Monaten hat dich niemand mehr gesehen noch von dir gehört. Wir finden dich nicht auf der Straße und begegnen dir auch nicht im Tempel bei der Andacht. Nur zufällig habe ich heute nach unten geblickt und meinen Bruder erkannt.«

«Ich kann nicht in den Tempel gehen, Saul, denn ich würde es niemals wagen, Gottes heiligen Boden zu entweihen. Sprich, was denkt mein Vater über dies alles?«

«Er war über das Geschehene tief betrübt, David. Trotzdem betet er täglich, daß du zu ihm nach Hause zurückkehren mögest. «Seltsamerweise war es aber nicht die Meinung meines Vaters, die mir das Herz schwermachte.»Und Eleasar?«fragte ich.»Am Tage, als du weggingst, raufte sich

Eleasar die Haare und zog die Trauerkleidung an. Er trägt sie bis auf den heutigen Tag und hat nicht ein Mal deinen Namen ausgesprochen. Doch höre, David, er betet jetzt doppelt soviel, und man kann ihn bis spät in die Nacht weinen hören. Seitdem du uns verließest, leben wir in einem Haus der Trauer. David, ich liebe dich wie meinen Bruder; ohne dich kann ich nicht leben. Bitte, komme zurück!«Doch ich wußte, daß dies unmöglich war, denn Eleasar war ein stolzer Mann, und ich hatte sein Gesetz befleckt. Bevor Saul fortging, mußte er mir versprechen, niemandem etwas von mir oder von dieser Begegnung zu erzählen und niemals zurückzukommen. Er gab mir sein Wort.

Ein Monat verging, bevor ich ein zweites Mal Besuch bekam. Rebekka, die ebenfalls die Stadt nach mir abgesucht hatte, fand mich unter den Straßenhändlern, Bettlern und Eseln, und sie kniete sich vor mich hin und bat mich, zurückzukehren. Sie sprach:»Ich liebe dich, David Ben Jona, und kann es nicht ertragen, dich so zu sehen. Komm mit in mein Haus. Mein Vater wird dich bei sich aufnehmen.«

Doch ich wußte, daß auch dies unmöglich war, denn ich dachte an Eleasar, und dieser war ein stolzer Mann, und ich hatte sein Gesetz befleckt.

Ich war innerlich so zerrissen von Rebekkas Besuch und vom Anblick der Tränen in ihren lieblichen Augen; so elend fühlte ich mich danach, daß ich meinen guten Platz auf dem Marktplatz aufgab und mich jenseits der Stadtmauern niederließ, wo man mich nicht finden konnte, wo aber auch weniger Kunden hinkamen. Eines Tages, als ich wie gewöhnlich, von Fliegen umschwirrt, im Schmutz saß und an einem Stück hartem Käse knabberte, stand plötzlich ein hochgewachsener, bescheiden gekleideter Mann vor mir. Er hatte die Sonne im Rücken, so daß ich nur seine Umrisse wahrnahm.»Wie hoch ist dein Honorar?«fragte er mich.»Ein

Schekel für den Papyrus und das Schreiben, Meister, und zwei Schekel für den Karawanenführer.«

«Wie weit kannst du einen Brief schicken?«fragte er weiter.»Ich stehe in Verbindung mit Männern, die bis nach Damaskus, Alexandria und sogar bis nach Rom reisen. Um einen Brief weiter zu schicken, wie etwa nach Gallien oder Britannien, müßt Ihr Euch nach einem anderen umsehen.«

«Mein Brief muß keinen weiten Weg zurücklegen«, entgegnete er,»und es ist auch ein sehr kurzer Brief.«

«Es wird Euch trotzdem einen Schekel kosten, Meister«, gab ich zurück.

«Es sei, wie du sagst«, antwortete er und räusperte sich, um zu diktieren.

Ich spuckte auf meinen Tintenstein und tauchte die Spitze meines Schreibrohres hinein. Dann hielt ich meine Hand, zum Schreiben bereit, über den Papyrus.

«Dieser Brief geht an meinen Sohn David, der in Jerusalem lebt«, begann er mit leiser Stimme.»Ich will ihm sagen: Mein Sohn, ich habe Unrecht getan. Ich war ein eitler und gotteslästerlicher Mann, indem ich an Gottes Stelle das Urteil sprach. Nicht mir oblag es, dich zu richten, sondern Gott, und in meinem Stolz tat ich es dennoch. Ich liebte dich mehr als meine eigenen Söhne, denn du warst scharfsinnig und zeigtest eine einzigartige Leidenschaft für das Gesetz Gottes. Ich war ein selbstsüchtiger Mann und dachte nur daran, wie sehr du meinen Namen mit Ruhm bedecken würdest, wenn du erst einmal als Schriftgelehrter im Tempel Aufnahme gefunden hättest. Als du die besagten Sünden begingst, faßte ich sie als eine persönliche Beleidigung auf — und nicht als eine Beleidigung Gottes. Und dies war ganz falsch. Ich bin ein schwacher, eitler Mensch gewesen und habe meiner Familie durch meine selbstsüchtige Verbitterung Leid zugefügt. Und durch meine Entrüstung habe ich dich bewogen, dich vom