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Während er sprach, erwachte Ben zu neuem Leben. Sein Gesicht glühte, und seine Gebärden waren lebhaft. Judy hörte die Erregung in seiner Stimme und beobachtete das Leuchten in seinen Augen. Und langsam begann sie, dort eine verborgene Eigenschaft wahrzunehmen. eine, die sie zuvor noch nicht bemerkt hatte. Durch seine Bewegung und Ausdrucksweise wirkte Ben wie ein Mensch, der von einer weiten Reise zurückkehrt. Judy nahm ihre Tasse und hielt sie lange an ihre Lippen. Der heiße Kaffee wärmte ihr das Gesicht und füllte ihre Nase mit einem köstlichen Wohlgeruch. Und während sie dasaß und halb Bens Beschreibung von Jerusalem lauschte, halb über David Ben Jonas Worte nachdachte, kam sie zu der Erkenntnis, daß der Mann neben ihr eine gewisse Veränderung durchgemacht hatte.»Woran denken Sie gerade?«fragte er plötzlich. Ja, eine deutliche Veränderung. Seine Sprache klang irgendwie ganz anders.

«Ich stellte mir gerade das Bild vor, das Sie von Jerusalem malen«, erwiderte sie.»Sie bringen es einem richtig zum Bewußtsein.«

«Das ist Davids Verdienst, nicht meines. Er läßt mich die Dinge sehen, wie sie wirklich sind. «Er stieß einen langen Seufzer aus und wandte sich dann lächelnd zu ihr um.»Wissen Sie, was ich an Ihnen so mag? Sie sind eine gute Zuhörerin.

Nein, es ist mehr als das. Sie sind anpassungsfähig. Es scheint Ihnen gleichgültig zu sein, ob man sich unterhält oder nicht. Wenn ich wollte, könnte ich hier schweigend sitzen, und Sie würden ebenfalls geduldig bei mir sitzen bleiben. Und wenn ich mich entscheiden würde zu sprechen, würden Sie zuhören. Das ist eine seltene Eigenschaft, wissen Sie?«

Judy schaute weg. An Komplimente war sie nicht gewöhnt. Von Schmeicheleien fühlte sie sich unangenehm berührt.

Ben studierte für einen Augenblick ihr Profil und fragte sich, ob er sie zum erstenmal sah. Judy Golden war eigentlich nicht direkt ein hübsches Mädchen, aber sie hatte ein interessantes Gesicht. Große, nachdenkliche Augen mit langen, schwarzen Wimpern. Eine gerade, scharf geschnittene Nase und einen kleinen Mund. Glattes, schwarzes Haar, das stets frisch gewaschen war und glänzte. Judy war ein stilles, fast etwas befremdliches Mädchen. Und Ben war froh, sie bei sich zu haben.

«Wissen Sie. Ich frage mich. «Ben wußte nicht, wie er formulieren sollte, was ihm auf der Zunge lag.»Was fragen Sie sich?«

«Ob meine Familie vor langer, langer Zeit wirklich einmal dem Stamm der Benjaminiten angehörte. Vielleicht bekam ich deshalb den Namen Benjamin, und nicht weil ein Onkel von mir so hieß.«

«Das ist möglich. Die Stämme bestehen heute noch in den Levis, den Cohens und den Reubens fort. Wenn Sie zu den Benjaminiten gehören, wären Sie in guter Gesellschaft. Der erste König von Israel, Saul, war einer vom Stamme Benjamins.«

Ben nickte.»Saul.«, wiederholte er langsam und sah im Geiste Davids Freund. Wie sehr ähnelte doch diese Freundschaft seiner Beziehung zu Solomon vor vielen Jahren! Es gab viele Parallelen: Solomon war größer als Ben; Solomon lachte oft und gewann mit seiner liebenswerten Art schnell

Freunde; Solomon war auf der Rabbinerschule geblieben, während Ben einen anderen Lebensweg eingeschlagen hatte.

«Wir sind uns so ähnlich. so ähnlich«, murmelte Ben.»Was haben Sie gesagt?«

«Ich denke gerade an einen Freund von früher, einen Jungen namens Saul Liebowitz. Wir waren ähnlich eng befreundet wie David und Solomon. «Ben schüttelte den Kopf.»Nein, ich meine wie David und Saul. Solomon war der Name meines Freundes. «Ben starrte auf seine Hände und dachte über Davids Entschluß nach, das Studium der Gesetze nicht fortzusetzen. Er erinnerte sich an seinen letzten Besuch in Brooklyn, als er versuchte, Solomon zu erklären, warum er die Rabbinerschule verlassen wollte.

«Wissen Sie«, sagte er schließlich zu Judy, sprach aber mehr zu sich selbst,»zu dieser Zeit, als ich beschlossen habe, nach Kalifornien zu gehen, um dort zu studieren, hatte ich eigentlich vor, weiterhin am jüdischen Glauben festzuhalten. Ich denke, ich habe mir damals selbst etwas vorgemacht. Oder vielleicht hatte ich auch Angst, mir selbst gegenüber und zu meinen Freunden ehrlich zu sein. Ich hatte zu Solomon gesagt, daß ich immer noch ein Jude sei, auch wenn ich nicht länger die Rabbinerschule besuchen wollte. Aber das war nicht ehrlich gemeint. Rückblickend erkenne ich, daß ich schon damals nicht die Absicht hatte, beim Judentum zu bleiben. Eigentlich konnte ich gar nicht schnell genug davon wegkommen.«

Er betrachtete Judy mit trüben Augen.»Wissen Sie was? Ich war immer heimlich froh darüber, daß ich nicht jüdisch aussehe.«

«Oh, bitte.«

«Es ist wahr. Und keiner meiner Freunde weiß, daß ich Jude bin. Es ist wie ein streng gehütetes Familiengeheimnis, wie eine Leiche im Keller, die fault und modert und zum Himmel stinkt. O Gott!«Er stand unvermittelt auf.»Das ist verrückt!

Hier sitze ich und verrate Ihnen schon wieder meine innersten, dunkelsten Geheimnisse. Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt wohl denken.«

«Nein, das können Sie nicht«, entgegnete sie sanft. Ben schaute zu ihr herab. Da war es schon wieder, dieses sonderbare Verlangen, Judy Golden an seiner Seite zu haben; ein schwacher, flüchtiger Gedanke, der sich seinem Zugriff entzog, so daß er ihn nicht fassen konnte. Hatte er sich nicht einmal geschworen, ihr von den nächsten Rollen nichts zu erzählen? Hatte er sich nicht ganz fest vorgenommen, ihr keine vertraulichen Mitteilungen mehr zu machen? Doch was war es, fragte er sich jetzt, welche namenlose Sehnsucht setzte sich über seine Vernunft hinweg und veranlaßte ihn, sie zum wiederholten Male zu sich zu rufen?

Ben schüttelte abermals den Kopf. Der Gedanke war verflogen, bevor er ihn greifen konnte. Es hatte etwas mit David zu tun. Ben wandte sich von ihr ab und begann, mit großen Schritten durch den Raum zu laufen. Er ging vor Judy auf und ab wie ein Rechtsanwalt vor den Geschworenen, während sein Geist schon wieder von einem Gedanken zum nächsten sprang. Diese raschen Stimmungsänderungen waren unkontrollierbar, unberechenbar. Ben war sich dessen nicht einmal bewußt, aber Judy bemerkte, wie sein Gesicht sich nach einer angestrengten Überlegung entspannte und sich gleich darauf wieder in nachdenkliche Falten legte. Ein neuer Gedanke ging Ben nun im Kopf herum.

«Wissen Sie, seit ich mit der Übersetzung der Rollen begann, habe ich die unglaublichsten Alpträume. Und wenn ich wach bin, kann ich meine Gedanken nicht mehr steuern. «Er unterbrach sich und starrte vor sich hin.

Sie erhob sich und trat ihm gegenüber.»Vielleicht erinnern die Rollen Sie an Dinge.«»Natürlich tun sie das!«platzte er heraus.»Schauen Sie sich doch die ganzen verdammten Übereinstimmungen an!«

«Nun, es gibt.«

«Ich weiß, es klingt verrückt, Judy, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß. daß. «Er stürzte wie wild auf sie zu; sein Mund verzerrte sich, und er vermochte das nächste Wort nicht auszusprechen.

«Welches Gefühl werden Sie nicht los?«flüsterte sie. Er biß sich heftig auf die Unterlippe, als ob er sich selbst am Sprechen hindern wollte. Dann sagte er:»Das Gefühl, daß David Ben Jona wirklich zu mir spricht. «Judy riß die Augen auf.

«Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich glaube daran! Es ist, als ob David noch immer lebt, als ob er mir beim Übersetzen über die Schulter schaut.«

Ben drehte sich rasch um und lief im Zimmer hin und her wie ein in einem Käfig gefangenes Tier.»Und was noch schlimmer ist, ich habe keine Kontrolle darüber! Wie sehr ich es auch versuche, David geht mir einfach nicht aus dem Sinn. Ich ertappe mich bei Gedanken, die er gedacht haben könnte. Ich schwelge in Erinnerungen an Magdala, als erinnerte ich mich an meine eigene Kindheit. Ich träume mit offenen Augen von Rebekka und vom Sommer in Jerusalem. Ich leide unter Gedächtnisschwund. Ich kann mich nicht daran entsinnen, die Übersetzungen geschrieben zu haben. Ich vergesse ständig, welche Tageszeit es ist.«