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«Das steigert die Auflage, Ben.«

«Ich weiß, daß es die Auflage steigert. Wem sagen Sie das? Darum heißt es in der Überschrift auch nicht: >David Ben Jona — Handschriften gefunden< Wer kennt schon David Ben Jona? Dagegen weiß jeder, wer Jesus war. Ach, du meine Güte! Haben Sie gelesen, wie begierig sie solche Namen wie Galiläa und Magdala aufgreifen! >Zur Zeit Jesu<. Was zum Teufel hat dieser Jesus eigentlich getan, das ihn so verdammt bedeutend macht?«

Judy war bestürzt darüber, Ben so außer sich zu sehen. Sie wußte, welchen Schmerz ihm die entwürdigende Vermarktung seiner kostbaren Schriftrollen bereitete, wußte, daß er es nicht ertragen konnte, daß David Ben Jona wie ein exotischer Vogel vor ein Publikum gezerrt wurde. Sie war ebenfalls betroffen, wenn auch weit weniger als er.»Als nächstes werden sie einen Hollywood-Film daraus machen«, fuhr er fort,»mit zwei SexIdolen in den Rollen von David und Rebekka. Auf der Madison Avenue werden T-Shirts und Auto-Aufkleber verkauft. Sie werden daraus so viel Kapital schlagen wie möglich. O Judy. «Er schüttelte den Kopf, als wollte er anfangen zu weinen.»Ich kann es nicht ertragen, daß sie David so etwas antun. Sie werden ihn nicht verstehen. Nicht wie wir es tun.«

«Ich weiß.«

Als Ben sich ein wenig beruhigt hatte, hob er die Zeitung vom Boden auf und überflog sie noch einmal. Was für ein schändliches Medienspektakel würde die Presse daraus machen. Sie würden begierig jede Einzelheit aufgreifen und sie verzerren. Die Tatsache, daß der Autor der Schriftrollen ein sanfter, frommer Jude war, der seinem einzigen Sohn ein privates Geständnis abzulegen hatte, würde überhaupt keine Beachtung finden. Statt dessen würden sie es ausschlachten, daß die Schriftrollen ausgerechnet am See Genezareth gefunden wurden, und mit Schlagwörtern wie Magdala und >zur Zeit Christi< aufwarten.»Das steigert die Auflage, in der Tat«, murmelte er traurig.»Ich schätze, Weatherby hatte gar keine Wahl.«

«Da bin ich mir sicher.«

«Sehen Sie sich das an. «Er tippte mit dem Finger auf eine Textstelle.»Sie erwähnen den Fluch. Den Fluch Mose, als handelte es sich dabei um irgendeinen komischen, lachhaften Einfall. Sie werden sehen, morgen steht in der Überschrift irgend etwas über den Fluch. Sie bringen es fertig und finden einen, der während der Ausgrabung verletzt oder krank wurde, und das schreiben sie dann dem Fluch zu. «Ben schaute müde zu Judy auf.»Ich kann das nicht aushalten. Ich hatte gestern eine schreckliche Nacht. Es war die schlimmste meines Lebens. Ich glaubte allen Ernstes, ich würde sterben.«

«Wieder Alpträume?«

Er nickte.

Judy wollte gerade weiterreden, da klingelte das Telefon. Ben schien es nicht zu hören. Beim fünften Klingeln nahm Judy den Hörer ab und meldete sich:»Hallo?«Es war Professor Cox.

Judy legte ihre Hand auf die Hörmuschel.»Er sagt, Sie seien um fünf mit ihm verabredet.«

Ben schaute auf seine Armbanduhr.»Ach du großer Gott! Ich kann nicht hingehen. Nicht jetzt. Hören Sie, sagen Sie ihm. sagen Sie ihm, daß es in meiner Familie einen Todesfall gegeben habe und daß ich es vor Schmerz kaum aushalten könne und daß ich verreisen müsse und eine Vertretung für meinen Unterricht brauchte. «Judy starrte ihn mit offenem Mund an.

«Machen Sie schon. Sagen Sie ihm das. Sagen Sie ihm, daß ich mich in ein paar Tagen mit ihm in Verbindung setzen werde und daß es mir wirklich leid tut.«

Sie zögerte abermals, unsicher, was sie tun sollte. Schließlich, als sie sah, daß sie wirklich keine Wahl hatte, setzte sie Professor Cox, so gut sie konnte, auseinander, was Ben gesagt hatte, legte auf und starrte ihn wieder an.»Was ist los?«

«Ihr Unterricht.«

«Ich kann keinen Unterricht geben, Judy. Nicht jetzt. Sie wissen das. Ich kann keine Minute von David lassen — oder besser. er wird nicht von mir lassen. Er verfolgt mich, hält mich gefangen und wird mir keine Atempause geben, bevor ich nicht seine ganze Geschichte kenne.«

Ohne eine weitere Überlegung zu äußern, wandte sich Ben von ihr ab und beugte sich über das nächste Papyrus-Stück. Als er zu lesen begann, musterte Judy ihn eingehend, sah die dunklen Ringe unter seinen Augen, die tiefen Falten, die sich um seinen Mund herum eingegraben hatten. Ben war in den letzten Tagen deutlich gealtert.

Nachdem sie einige Zeit nachgedacht hatte, legte sie ihm schließlich sanft eine Hand auf die Schulter.»Ben?«Er schien nicht zu hören.»Ben?«

«Hm?«Er blickte auf.»Wann haben Sie zum letzten Mal gegessen?«

«Gegessen? Ich weiß nicht. Kann nicht lange her sein. Erst vor. erst vor. «Er runzelte die Stirn.»Ich erinnere mich nicht.«

«Kein Wunder, daß Sie Alpträume haben. Sie müssen ja am Verhungern sein. Ich werde nachsehen, ob ich in der Küche etwas für Sie finde.«

«Ja, ja, das wäre großartig.«

Als sie das Arbeitszimmer verließ, bemerkte Judy, daß es in der Wohnung sehr warm war. Während sie den Thermostat herunterdrehte, warf sie einen Blick ins Schlafzimmer und sah die Verwüstung, die er im Bett angerichtet hatte. Eine Spur aus schmutzigen Kleidungsstücken führte ins Schlafzimmer. Die übersetzten Seiten von Rolle Nummer sechs waren im Wohnzimmer über den ganzen Fußboden verstreut, Kissen lagen überall herum, auf Schritt und Tritt stieß man auf halb geleerte Kaffeetassen und überquellende Aschenbecher. Die Küche sah noch schlimmer aus. Inmitten von Bergen mit schmutzigem Geschirr stand dort auch ein Topf mit kalter Suppe auf dem Herd. Poppäa Sabina hockte zusammengekauert in einer Ecke und starrte Judy aus funkelnden Augen finster und mißtrauisch an. Sie hatte sich vor dem Schreien und Stöhnen ihres Herrchens in Sicherheit gebracht und schmollte nun über einem leeren Futternapf. Judy fütterte die Katze. Als nächstes reinigte sie die kleine Katzenkiste, die ebenso überquoll wie die Aschenbecher. Danach wollte sie sich daranmachen, so etwas wie ein Essen zusammenzustellen. Doch in den Schränken herrschte gähnende Leere.

Als sie das Telefon abermals klingeln hörte, fuhr sie zusammen. Es klingelte dreimal, bevor sich Ben mit gedämpfter Stimme meldete. Im nächsten Augenblick hörte sie ihn schreien:»Laß mich in Ruhe!«, gefolgt von einem Krachen.

Judy rannte ins Arbeitszimmer, wo sie Ben ruhig über die Rolle gebeugt vorfand.»Was ist passiert?«fragte sie atemlos.»Nichts.«

«Aber was war. «Die Frage wurde beantwortet, noch bevor sie sie ganz gestellt hatte. Auf dem Fußboden, an der Wand gegenüber, lag das Telefon, wo Ben es offensichtlich hingeschleudert hatte, nachdem er das Kabel herausgerissen hatte.

«Das erspart die Mühe, ständig den Hörer auszuhängen«, murmelte Judy, als sie das Zimmer verließ und in die Küche zurückkehrte. Da sie sich völlig im klaren darüber war, daß Ben im Augenblick selbst das erlesenste Festessen nicht anrühren würde, beschloß Judy, die Suppe für später aufzuheben. Sie wollte ihn bei der Übersetzung von Rolle sieben nicht stören und beschäftigte sich in der Zwischenzeit damit, die Wohnung in Ordnung zu bringen.

Als eine Stunde vergangen war und noch immer kein Geräusch aus dem Arbeitszimmer gedrungen war, wagte es Judy, einen Blick hineinzuwerfen. Ben saß noch immer über den Papyrus gebeugt, während er unablässig ins Übersetzungsheft kritzelte und seine Augen unverwandt an dem aramäischen Text hingen. Doch noch etwas anderes fiel

Judy auf, etwas, das sie faszinierte, bewog, näher heranzutreten. Unmittelbar vor Ben blieb sie stehen. Was sie sah, verblüffte sie.

Seine Gesichtszüge waren merkwürdig verklärt, und er schien in eine andere Welt zu blicken. Er war wie versteinert, wie ein Mensch, der eine tiefgreifende geistige Offenbarung erlebt. Die bleiche Haut wirkte unnatürlich straff und ließ die blauen Adern an Schläfen und Hals hervortreten. Seine weißen und blutleeren Lippen waren fest aufeinander gepreßt und bildeten eine dünne Linie. In Bens blauen Augen, die starr auf die Schriftrollen gerichtet waren, lag ein ungewöhnliches Leuchten, als ob in ihnen ein fiebriges Feuer loderte. Er atmete kaum und rührte sich nicht. Das einzige Geräusch, das man vernahm, war das Kratzen seines Bleistifts auf dem Papier, während er unleserliche Sätze dahinkritzelte. Kein einziges Mal schaute er auf das Heft oder wandte den Blick von dem Papyrus. Für ihn schien die Zeit stillzustehen. Er war gefangen in einer anderen Welt. Judy hatte so etwas noch nie gesehen und konnte nur darüber staunen. Nach einer Weile — sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dagestanden und ihn beobachtet hatte — verließ sie das Arbeitszimmer und setzte sich hinüber ins Wohnzimmer. Sofort war Poppäa Sabina auf ihrem Schoß, dankbar schnurrend und bereit, sich verwöhnen zu lassen. Judy lächelte der Katze zu. Die arme Poppäa Sabina hatte keine Ahnung, was mit ihrem Herrchen vor sich ging.