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Statt mich zum Passah-Fest Eleasar und seiner Familie anzuschließen, wie es meine Gewohnheit war, begab ich mich diesmal in Begleitung von Rebekka und dem Olivenhändler, für den ich arbeitete, in Miriams Haus. Ich tat dies aus zwei Gründen: Erstens war es Rebekkas Wunsch, und zweitens war ich neugierig auf das Ritual von religiösen Menschen, die dem Tempelkult abgeschworen waren.

Zu Anfang unterschied sich der Ablauf nur unwesentlich von dem mir bekannten, und Simon rezitierte die vier Fragen während der ersten Liturgie. Doch dann änderte sich das Fest und ging in das traditionelle Liebesfest der Essener über, wie sie es schon seit hundert Jahren feiern. Dabei teilt man Brot und Wein miteinander in der Erwartung des Tages, an dem man sie mit dem neuen König Israels teilen wird. Obgleich ihr Passah-Fest im wesentlichen dem eines jeden guten Juden entsprach, unterschied es sich davon durch den symbolischen Messias in unserer Mitte. Ein drittes Mal wandte ich mich an Eleasar, und ich spürte, daß er langsam die Geduld mit mir verlor. Ich erzählte ihm:»Dieser Mann namens Simon sprach von den Prophezeiungen Jesajas und Jeremias’ und erklärte, daß ihr Meister die Erfüllung dieser Prophezeiungen sei. «Doch Eleasar entgegnete:»Sie benutzen Jesaja, um ihre falschen Lehren zu untermauern. Der Erlöser Israels ist noch nicht gekommen, weil wir seiner noch nicht würdig sind.«

«Aber sie geben sich Mühe, sich würdig zu verhalten«, wandte ich ein,»und sie versuchen, anderen zu helfen, einen Zustand der Reinheit zu erlangen. Das sind ganz außergewöhnliche Juden, Rabbi. Vielleicht sollten wir auf sie hören. «Jetzt wurde Eleasar ärgerlich.»Sie sind in ihrer Befolgung des Gesetzes nicht so streng wie ich, und trotzdem bin ich noch nicht würdig genug, den Messias zu empfangen.«

Zum ersten Mal bemerkte ich in seiner Demut einen Hang zum Stolz, als ob Eleasars Bescheidenheit in nicht geringem Maße seiner Eitelkeit diente.

«Aber sie sind wirklich anständige Leute«, gab ich zurück,»und so tadellos, wie Juden nur sein können. Sie leben nicht nur nach dem Gesetz, Eleasar, sondern ebenso für das Gesetz, und so will Gott es haben. «Darauf schwieg Eleasar, und so nahm ich für diesen Tag von ihm Abschied.

Von da an besuchte ich Miriams Haus regelmäßig, bis auch ich mich eines Tages bekehren ließ. Als Teil der Zeremonie meiner Aufnahme in die Gemeinschaft der Armen wurde ich tief in ein Becken mit Wasser eingetaucht. Sie nannten es Taufe, ein Ritual, das schon seit über hundert Jahren von ihnen praktiziert wurde. Wenn ich damit auch kein Essener wurde, keine weißen Gewänder trug und auch nicht ihre Heilkunst erlernte, so wurde ich doch in ihre Gemeinschaft aufgenommen und von allen Bruder genannt. Gleichzeitig willigte ich ein, meine irdischen Güter mit meinen neuen Brüdern und Schwestern zu teilen, ihnen in jeder Notlage zu helfen und mich nach den Vorschriften des Gesetzes rein zu halten, so daß ich vorbereitet sei, wenn der Meister zurückkehre. Und so kam es, mein Sohn, daß ich dem Neuen Bund beitrat und mich den frömmsten aller Juden anschloß. Kein Tag verging, an dem ich meinen eigenen Wert nicht hinterfragte.

Die Zeit kam, als Salmonides mich wieder aufspürte, um mir den Gewinn aus der Gerstenernte auszubezahlen. Ich bedachte ihn mit einem stattlichen Honorar, teilte das restliche Geld mit Miriam und den Armen und gab auch ein wenig dem Olivenhändler, für den ich arbeitete. Auf Salmonides’ weisen Rat hin verlieh ich einen Teil an einen Karawanenführer, der nach Damaskus ziehen wollte. Als der Olivenhändler zwei Monate später starb und mir, den er wie einen Sohn liebte, sein ganzes Hab und Gut hinterließ, fand ich mich plötzlich in bescheidenem Wohlstand wieder. Und so fühlte ich mich nun fähig und würdig, Rebekka zur Frau zu nehmen.

Sie saß unter dem Baldachin vor Miriams Haus, während sich all unsere Freunde um uns scharten, uns beglückwünschten und mit uns feierten. Der Meister würde bald kommen, vielleicht schon morgen, und dann wollte ich Rebekka an meiner Seite haben. Als Mann und Frau würden wir dem neuen König an den Toren Jerusalems zujubeln.

Eleasar sprach nicht mehr mit mir. Es war, als ob ich mich für ihn in Luft aufgelöst hätte und nicht mehr existierte. In seinen Augen hatte ich Gott eine fürchterliche Schmach zugefügt, doch in meinen Augen wurde ich vor Gott rein. Eleasar war ein konservativer Rabbi, einer, der in der Vergangenheit und für die alten Gesetze lebte. Er wollte einfach nicht begreifen, daß dies tatsächlich die Endzeit war, die Jesaja und Daniel vorausgesagt hatten. Er wollte auch nicht einsehen, daß, während die alte Welt das alte Gesetz brauchte, ein neues Zeitalter ein neues Gesetz verlangte. Dieses neue Gesetz war der Neue Bund — das Neue Testament, das die Thora nicht aufhob, sondern vollendete. Es war keinesfalls so, daß wir dem Gesetz der Bücher Mose entsagt hätten. Ganz im Gegenteil waren wir nun eifriger als früher darauf bedacht, es einzuhalten. Dennoch änderten sich für uns zwei Dinge: Wir sahen den Tempel nicht länger als notwendig an, um den Bund des Herrn heiligzuhalten, denn wir verrichteten unsere Andacht nun zu Hause; und wir hatten neben dem Sabbat einen zweiten heiligen Tag — an dem wir unser essenisches Fest der Liebe begingen und Simon oder einem der Zwölf zuhörten, wie sie über den kommenden König sprachen. Es schmerzte mich, Eleasar zu verlieren, aber es war eine andere Art von Schmerz als der, der mich zwei Jahre zuvor zu der Überlegung getrieben hatte, mir das Leben zu nehmen. An jenem düsteren Tag hatte Eleasar mich mit Schimpf entlassen und weggejagt. Diesmal verließ ich ihn für eine Aufgabe, die heiliger war als die seine.

Ich blieb auch weiterhin mit Saul befreundet. Obwohl er sich mit meinem neuen Glauben nicht im geringsten einverstanden zeigte — er stand ja noch immer unter Eleasars Einfluß —, respektierte er dennoch mein Recht, ihm zu huldigen. Und ich gab Saul das Versprechen, daß ich, auch wenn er sich den Armen nicht als Mitglied anschlösse, am Tage der Rückkehr unseres Meisters nach Jerusalem für ihn sprechen und seinen Wert bezeugen würde. All dies ereignete sich sechzehn Jahre vor der Zeit, über die ich dir noch berichten muß. Doch obgleich diese Begebenheiten dem Tag, über den du erfahren mußt, weit vorausgingen, lasten sie schwer auf den späteren Ereignissen. Ohne das, was vorher passierte, wäre es später wohl niemals zu meiner niederträchtigen Tat gekommen.

Eine weitere Wende in meinem Leben sollte eintreten, die mich meinem unvermeidlichen Schicksal immer näher brachte. Und ich denke, mein Sohn, daß ich vielleicht jetzt nicht in Erwartung meiner letzten Stunde hier in Magdala sitzen würde, wenn diese eine Sache hätte abgewendet werden können.

Doch dazu bestand keine Möglichkeit, denn wir besitzen als einfache Menschen nicht die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen. Und so konnte ich nicht ahnen, daß an einem bestimmten Sommerabend, als ich auf meinem Anwesen unter den Olivenbäumen saß, mein Schicksal auf immer besiegelt werden sollte. Denn an diesem Abend stellte Saul mir Sara vor.