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Um Mitternacht wurden sie mit der Rolle fertig, wobei Judy mitlas, während Ben seine Übersetzung niederschrieb. Sie hatte einen Stuhl herangezogen und saß neben ihm, begierig über das Heft gebeugt. Als er die letzte Zeile geschrieben hatte, ließ Ben den Kugelschreiber sinken und faßte sich ans Handgelenk, da ihm plötzlich bewußt wurde, daß er einen Schreibkrampf hatte.

Nach einer Weile wandten Ben und Judy sich einander zu und schauten sich an, während ihre Gesichter von dem grellen Licht der Schreibtischlampe angestrahlt wurden. Zum ersten Mal hatten die beiden einen Abend zusammen im alten Jerusalem verbracht, und durch diese Erfahrung fühlte sich Ben ihr näher als je zuvor.»Ich hatte recht«, flüsterte er schließlich.»David war ein gebildeter und wohlhabender Mann. Das wußte ich von Anfang an. Er wird seinen Reichtum mehren, da bin ich mir ganz sicher. In der nächsten Rolle wird er uns von immer größeren Gewinnen berichten. «Ben lehnte sich bequem im Sessel zurück und versuchte, seine stechenden Rückenschmerzen nicht zu beachten.»Haben Sie nicht etwas gesagt. ein Brief von Weatherby? Etwas darüber, daß die nächste Rolle die letzte sei?«

Judy antwortete nicht. Der Augenblick war zu schön, zu zerbrechlich, um gerade jetzt mit schlechten Nachrichten aufzuwarten.»Dann wird es also die letzte sein. David wird uns verraten, was er Abscheuliches getan hat, und damit wird diese Geschichte hier beendet sein. Dann wird er mich endlich in Frieden lassen. «Während Ben sprach, fühlte Judy, wie sich ihr der Magen zusammenzog. Eine schreckliche Vorahnung beschlich sie und vertrieb die Hochstimmung, in der sie sich bei ihrem Besuch im alten Jerusalem befunden hatte. Sie spürte plötzlich, daß diese Sache nicht gut enden würde.

«Ich mache uns einen Kaffee«, sagte sie schließlich.»Ich glaube, wir sollten auch etwas essen.«

«Ich bin nicht hungrig«, entgegnete Ben mit monotoner Stimme.»Sie werden immer magerer.«

«Tatsächlich?«Sie standen langsam auf, blieben dann aber einen Moment über dem letzten Foto stehen. Es fiel ihnen schwer, sich von Jerusalem loszureißen, von den Juden, die einander liebten, von dem Friedenskuß und von heiteren Sommerabenden.»Und Sie waren sowieso schon ziemlich dünn«, fügte Judy hinzu. Dann nahm sie seine Hand.»Kommen Sie mit. «Judy führte Ben ins Wohnzimmer und ging dann in die Küche. Doch plötzlich, als sie vor der Spüle stand, konnte sie sich nicht mehr bewegen. Im Geiste sah sie Davids hübsches Gesicht und die reizende Rebekka vor sich. Es war fast so, als ob sie sie kannte. Sie malte sich aus, wie die» Armen «sich in Miriams Haus versammelten, wie sie miteinander den essenischen Wein und das Brot teilten und sich gegenseitig in der Hoffnung auf künftige bessere tage bestärkten. Als sie bemerkte, daß Ben hinter ihr im Türrahmen stand, drehte sich Judy zu ihm um. Sie blickten sich in die Augen. Dann meinte Ben ruhig:»David war ein Christ, nicht wahr?«

«Das nehme ich an. «Er wandte sich jäh ab und ging ins Wohnzimmer zurück.»Was ist denn so Schlimmes daran?«fragte Judy, die ihm nachgefolgt war.»Warum können Sie sich nicht einfach mit der Möglichkeit abfinden, daß.«

«Oh, daran liegt es nicht, Judy. Es geht mir dabei um etwas anderes, über das ich mit Ihnen noch nicht gesprochen habe. «Ben stockte nach diesen Worten. In der Wohnung war es dunkel und kalt, aber keiner von beiden rührte sich, um die Heizung aufzudrehen oder Licht anzumachen.»Was könnte es sonst sein?«fragte sie leise.

«Es gab Hunderte von sonderbaren Kulten zu jener Zeit«, erwiderte Ben.

«Aber keinem von ihnen hätte sich ein frommer Jude wie David angeschlossen. Was ist mit dem Führer, der von den Römern gekreuzigt wurde und dann angeblich von den Toten auferstanden sein soll? Und wer waren die Zwölf, die David erwähnte?«

«Nun gut. Er war also ein Christ oder vielmehr ein Nazaräer, wie sie in dieser Gegend hießen. >Christen< waren in Rom und

Antiochia. Nazaräer gab es nur in Jerusalem. Da bestand ein Unterschied, wissen Sie?«Ben sah Judy fragend an.

«Ich denke, ich weiß etwas darüber. Es gab eine Jerusalemer Kirche und eine römische Kirche. «Judy saß dicht neben Ben auf der Couch. Sie war ihm so nahe, daß sie ihn fast berührte, und sprach gedämpft weiter.»Nach der Zerstörung Jerusalems überlebte nur die römische Kirche.«

«Das ist es im Grunde. Also war David. einer von ihnen.«

«Was ist denn so schlimm daran? Das ist doch großartig! Diese Schriftrollen werden so viele Wissenslücken schließen, so viele historische und theologische Theorien beweisen und andere widerlegen. Sie werden Licht in die dunklen Anfänge der Kirche bringen. Denken Sie an die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen werden können, Ben. Was sollte daran schlecht sein?«

«Nichts«, war alles, was er erwiderte.

Judy überlegte einen Moment.»Wovor fürchten Sie sich? Davor, daß diese Rollen vielleicht die Existenz eines Mannes beweisen könnten, an die Sie lange Zeit nicht geglaubt haben?«Ben fuhr zu ihr herum.»O nein! Ganz und gar nicht! Und ich habe auch niemals gedacht, daß Jesus erfunden sei, weil es ja sicher irgendeine Grundlage für die Evangelien geben muß. Nein, Jesus lebte, aber er war nicht der, für den jedermann ihn heute hält. Er war nur ein jüdischer Wanderprediger, der eine besondere Ausstrahlung auf Menschen besaß. David wird uns in dieser Hinsicht nicht mehr sagen, als wir schon wissen. Es besteht kein Zweifel, daß es vor dem Jahr siebzig unserer Zeitrechnung eine messianische Bewegung gab und daß Essener und Zeloten darin verstrickt waren. Das hat David bestätigt, weiter nichts.«

«Was stört Sie dann, Ben?«

«Was mich stört?«Er wandte seinen Blick von ihr ab und seufzte tief.»Als ich vierzehn Jahre alt war, litt ich an einer unersättlichen Neugierde. Ich hatte auch die schlechte Angewohnheit, alles zu hinterfragen. Meine Mutter und meine Lehrer beriefen sich auf die Thora und betrachteten sie als Schutzschild gegen die Verunreinigung durch die Gojim. >Aber was für eine Verunreinigung? < fragte ich mich. >Und warum bezeichnen Sie uns als Jesus-Mörder?< Eins kam zum anderen, bis ich mich selbst nicht mehr zurückhalten konnte. Ich mußte versuchen, herauszufinden, was uns von den Gojim trennte. Oh, ich wußte schon, daß wir die Thora hatten und sie nicht. Aber das war dem kleinen Benjamin Messer nicht genug. Er wollte wissen, was die Christen anstelle der Thora hatten und was daran so schlimm war.«

Sie saßen mehrere Minuten lang im Dunkeln. Ben durchlebte wieder die Schrecken der Vergangenheit, während Judy geduldig darauf wartete, daß er fortfuhr.

«Ich fing an, regelmäßig in die Bibliothek zu gehen, um das Neue Testament zu lesen. Es interessierte mich einfach, obwohl ich nicht im geringsten an das glaubte, was da stand. Ich las es immer wieder und suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt, warum die Christen daran glaubten. Das ging eine Weile so, bis ich schließlich aus Leichtsinn ein Exemplar mit nach Hause nahm. Über eine Woche lang hielt ich es in meinem Zimmer versteckt, bevor meine Mutter es fand. Und Judy. «Er stockte.»Sie trieb es mir gehörig aus. Ich meine, sie prügelte mir die Seele aus dem Leib. Ich kann mich nicht mehr an die Ausdrücke erinnern, mit denen sie mich beschimpfte, so sehr fürchtete ich um mein Leben. Sie tobte wie eine Wahnsinnige. Als ob die Horrorgeschichten vom Konzentrationslager nicht schon gereicht hätten, als ob die Verherrlichung meines heldenhaften Vaters nicht schon genug gewesen wäre, so mußte sie jetzt den Mist aus mir herausprügeln, um mir ein wenig Judentum einzuhämmern. «Ben beugte sich nach vorn und legte seine Stirn auf seine Knie.

«Mein heldenhafter Vater! Oh, um Gottes willen! Warum verurteilt jedermann die Juden von Auschwitz, weil sie sich wie Schafe zur Schlachtbank führen ließen? Was zum Teufel hätten sie denn tun sollen? Was hätten sie tun können? Mein Vater hatte einem SS-Offizier ins Gesicht gespuckt und Hitler ein Schwein genannt. Dafür wurde er dann dazu verurteilt, lebendig begraben zu werden. Und weil meine Mutter die Frau dieses heldenhaften Juden war, hetzte man wilde Hunde auf sie los. Was für eine Art Heldentum soll das sein?«Judy streichelte sanft Bens Rücken und wartete, während er im Dunkeln weinte.»Das war vor über dreißig Jahren, Ben«, tröstete sie ihn leise.