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«Allerdings. «Er richtete sich auf und wischte sich die Tränen fort.»Und David Ben Jona lebte vor zweitausend Jahren, aber schauen Sie ihn nur an, wie er dort steht. Schauen Sie ihn an!«Judy blickte argwöhnisch in die unergründliche Finsternis des Zimmers.»Ich sehe ihn nicht, Ben.«

«Nein, natürlich nicht. Er zeigt sich nur mir. So wie Sie auch meine Mutter nicht brüllen hören können, was für ein dreckiger kleiner Scheißkerl ich doch sei, weil ich die Bibel der Gojim las. Was konnte ich ihr sagen? Wie hätte ich ihr erklären können, daß ich, indem ich die Bibel der Gojim las, ihre Schwäche erkannte, und nicht ihre Stärke. «Ben putzte sich die Nase und sprach etwas ruhiger weiter.»Wenn ich sie als Feinde bekämpfen sollte, mußte ich doch über sie Bescheid wissen. Ich mußte wissen, gegen wen ich überhaupt kämpfte. Aber meine Mutter konnte das nicht einsehen. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß ich vielleicht versuchte, ein guter Jude zu sein, daß ich der Rabbi werden wollte, den sie in mir sah. Doch es klappte eben nicht. Sie wollte es erzwingen. Irgend etwas in meinem Innern zerbrach in jener Nacht. Als ich in meinem Bett lag, zu schwach und schmerzerfüllt, um zu weinen, war mir, als gingen mir zum ersten Mal die Augen auf.

Und Judy. in dieser Nacht, als ich in meinem Bett lag, begriff ich, was die jüdische Religion einem Menschen antun kann. Ich sah, wie Millionen von Juden im Laufe der Geschichte wegen ihres Glaubens dahingeschlachtet worden waren, wie unzählige Juden in den Konzentrationslagern der Nazis vernichtet worden waren, wie dieser Glaube meinen Vater zugrunde gerichtet und meiner Mutter grausame Folterqualen bereitet hatte. Wir waren alle verachtenswert, weil wir Juden waren. Nicht die Christen befanden sich im Irrtum, sondern wir selbst. Wir waren das Problem. Und der einzige Weg, dem Elend, der Folter und dem Wahnsinn des jüdischen Daseins zu entfliehen, bestand für mich einfach darin, daß ich aufhörte, ein Jude zu sein.«

«Ben.«

«Ich weiß, was Sie jetzt denken«, unterbrach er sie.»Sie denken, daß meine Mutter wohl nicht die einzige Wahnsinnige in unserer Familie war. Vielleicht stimmt das auch. Aber zumindest bin ich in meinem Wahnsinn glücklich.«

«Tatsächlich?«

«Zumindest war ich es bis vor wenigen Tagen. Von dem Augenblick an, als ich vor sechzehn Jahren die Vergangenheit hinter mir ließ, bin ich glücklich gewesen. Und zwar deshalb, weil ich kein Jude mehr war. Wie wäre es gewesen, wenn ich weitergemacht hätte, wie sie es wünschte?«

«Ich weiß nicht, Ben. «Judy stand ganz plötzlich auf und schaltete ein paar Lichter an.»Sagen Sie mir, warum es Sie so aus der Fassung bringt, daß David ein Christ war. Ich kann immer noch nicht begreifen, warum Sie das stört.«

«Weil«, er erhob sich ebenfalls,»weil ich mich bis jetzt mit David verwandt gefühlt habe. In den Schriftrollen ist er gerade neunzehn Jahre alt, und bis zum Alter von neunzehn war ich immer noch praktizierender Jude. Jetzt hat er das alles umgestoßen. Er ist in demselben Konflikt, der vor langer Zeit einmal der Anlaß für all meinen Kummer war — das Dilemma zwischen Christen und Juden. Gute Menschen und schlechte Menschen. Die einen rein, die anderen verderbt. Als ich vierzehn war, versuchte ich dieser Unstimmigkeit auf den Grund zu gehen und wurde dafür halb totgeschlagen. Nun hat David, mein lieber David, sich tatsächlich ihnen angeschlossen. Nur ist er jetzt gleichzeitig Jude und ein Christ.«

«Zu Davids Zeiten waren Christen eben Juden, nichts anderes.«

«Ein schwacher Trost.«

«Kann ich Ihnen jetzt etwas zu essen bringen?«

«Ja. «Ben begann, im Wohnzimmer auf und ab zu laufen. An der Küchentür blieb Judy stehen und drehte sich um.»Ach übrigens«, begann sie vorsichtig,»wegen der nächsten Rolle. «Ben blieb mit hängenden Schultern in der Mitte des Wohnzimmers stehen.»Dem Himmel sei Dank für die nächste Rolle!«Er schüttelte matt den Kopf.»Da sie die letzte ist, müßte sie meiner inneren Unruhe ein Ende bereiten und all unsere Fragen beantworten. Und dann wird alles vorbei sein. Gott, ich kann es gar nicht. erwarten.«

«Ben.«

«Was?«Die Behutsamkeit in ihrer Stimme machte ihn stutzig.»Es ist doch die letzte Rolle, nicht wahr?«

«Hm ja. Die nächste Rolle wird die letzte sein. Aber nicht, weil David danach keine mehr schrieb.«

«Was soll das heißen?«Sein Herz begann zu pochen.»Es ist die letzte, die Weatherby schicken wird. Die wirklich letzte Rolle, die David schrieb, konnte nicht geborgen werden. Sie war nur noch ein Teerklumpen.«

Kapitel Dreizehn

Ben las Weatherbys Brief zum zehnten Mal, doch nichts änderte sich. Die Nachricht war und blieb niederschmetternd. Wie bei Rolle Nummer drei war der Tonkrug Nummer zehn schwer beschädigt worden. Zweitausend Jahre der Fäulnis und des Zerfalls hatten ihr Zerstörungswerk vollbracht. Die letzte Rolle war unwiederbringlich verloren.

Dies war der schlimmste Tag in Bens Leben. Am Vorabend, nachdem Judy ihm die Nachricht eröffnet hatte, war Ben in eine solche Wut geraten, daß er Gegenstände an die Wand geschmettert und Judy so in Angst versetzt hatte, daß sie im Laufschritt aus der Wohnung floh. Dann war er in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken, der fast einem Koma gleichkam. Am nächsten Morgen war er mit dem Gefühl erwacht, als hätte er eine Zeitlang im Reich der Toten geweilt. So war Davids letzte Rolle auf ewig verloren, und es gab keine Möglichkeit, herauszufinden, was darauf gestanden hatte. Dies bedeutete, daß sich nun alles um Rolle neun drehte. Ben betete verzweifelt darum, daß es sich um einen langen und unbeschädigten Papyrus handeln möge und daß David genug darin sagen möge, damit er sich den Ausgang der Geschichte zusammenreimen konnte. Andernfalls.

Ben starrte auf den Geist, der vor ihm stand, auf den Geist David Ben Jonas.

Andernfalls. würde er vielleicht nie von ihm lassen. Möglicherweise würde er nicht verstehen, daß die letzte Rolle nie eintreffen sollte, und Ben deshalb auf ewig heimsuchen.

Judy klopfte schüchtern an der Tür, und als Ben öffnete, schloß er sie sofort in die Arme und küßte sie sanft auf die

Stirn.»Es tut mir leid wegen letzter Nacht«, murmelte er.»Es tut mir so unbeschreiblich leid. Gegenstände nach dir zu werfen, wie ein Wilder herumzutoben. Ich weiß wirklich nicht, was.«

«Mach dir nichts daraus, Ben«, erwiderte sie, ihr Gesicht an seiner Brust vergraben. Auch für sie war es eine schlimme Nacht gewesen. Und die Entscheidung, zurückzukehren, hatte ihr großen Mut abverlangt. Doch die Liebe hatte ihr geholfen, ihre Angst zu überwinden.»Ich hätte dich bestimmt nicht verletzt«, beteuerte er.»Warte. «Sie legte ihre Fingerspitzen auf seine Lippen.»Sprich nicht darüber. Wir wollen es nicht mehr erwähnen, in Ordnung?«Er nickte.

«Ich bin gekommen, um mit dir auf die nächste Rolle zu warten. «Sie bereitete schnell ein Mittagessen, das sie wortlos verzehrten. Dann versuchten sie gemeinsam, im Arbeitszimmer Ordnung zu schaffen. Eine Menge Blätter mit übersetztem Text lagen überall verstreut. Sie mußten aufgesammelt, in die richtige Reihenfolge gebracht und für Weatherby getippt werden. Die Möglichkeit, daß er von den anderen beiden Handschriftenkundlern laufend über den neuesten Stand der Übersetzung unterrichtet werden könnte, war ihnen bisher gar nicht eingefallen. Es war ihnen auch nicht in den Sinn gekommen, daß sich ein großes Archäologenteam in Jerusalem mit den Papyrus-Blättern beschäftigte. Für Ben und Judy war dies zu einer persönlichen Angelegenheit geworden, die nur ihn selbst und David betraf. Ben bestand darauf, daß sie schon um zwei Uhr nach unten gehen sollten, obgleich die Post immer erst um Punkt vier Uhr kam. Voll Erwartung setzten sie sich auf die Stufen, und jeder von ihnen hoffte inständig, wenn auch aus verschiedenen Gründen, daß die letzte Schriftrolle heute ankommen möge.