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Ich machte mir viele Gedanken über Simons Rat, und obgleich ich fühlte, daß er recht haben könnte, trug er nur wenig dazu bei, meine Verzweiflung zu lindern.

Ich hatte jetzt noch mehr zu leiden, denn obwohl ich den Preis erhalten hatte, nach dem ich mich so sehr gesehnt hatte, und obwohl ich mich hinterher dafür elend fühlte, liebte ich Sara noch immer von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Es bewirkte eine Veränderung in mir, mein Sohn. Während Simon mir versicherte, daß ich erst neunzehn Jahre alt sei und mit mir selbst zu hart ins Gericht gehe und daß ich mit der Zeit lernen werde, mir selbst zu verzeihen, bin ich danach nie wieder imstande gewesen, mir meiner Würde vor Gott sicher zu sein. Und so erlegte ich mir selbst Gelübde auf: doppelt so oft und doppelt so lang zu beten, als das Gesetz es verlangte; die Gebetsriemen um Arm und Stirn zu tragen; sowohl den Alten Bund als auch den Essenischen Bund heiligzuhalten; und mich doppelt anzustrengen, ein würdiger Diener des Messias zu werden. Nur auf diese Weise war ich in der Lage, mit mir selbst zu leben. Ich liebte Sara weiterhin still und heimlich, verstärkte aber gleichzeitig meine Hingabe an Rebekka, damit sie wegen meiner Schwäche nicht zu leiden brauchte. Ich blieb Saul gegenüber standfest, war in seiner Gegenwart aber stets verlegen und bemühte mich, jeden Kontakt mit Sara zu vermeiden.

Ich wohnte ihrer Hochzeitsfeier nicht bei. Ich gab vor, krank zu sein, und schickte Rebekka mit ihrer Mutter und ihren Schwestern allein zum Fest. Frisch verheiratet, waren Saul und

Sara zu sehr mit den Besuchern beschäftigt, die sich nun ständig bei ihnen einfanden. Und ich fand stets neue Entschuldigungen, um die Einladungen in ihr Haus zu verschieben.

In dieser Zeit trat Salmonides mit dem Vorschlag an mich heran, ich solle doch das Nachbargut kaufen, welches verarmt und unrentabel war, und es in ein gewinnbringendes Unternehmen verwandeln. Ich wußte die Ablenkung zu schätzen. Ich stellte sofort neue Hilfskräfte ein, kaufte eine größere Ölpresse und erarbeitete ein besseres

Bewässerungssystem. Salmonides hatte recht, denn der angrenzende Hof fing bald an, sich selbst zu tragen und wenig später auch Gewinn abzuwerfen. Während meine Olivenbäume dicke, fleischige Früchte trugen und meine Presse das beste Öl hervorbrachte, mehrte Salmonides weiterhin meine Gewinne aus anderen Unternehmungen.

Gegen Anfang des folgenden Jahres, kurz nach meinem zwanzigsten Geburtstag, kam ein Bote aus der Stadt mit einem Brief von Saul. Sara hatte soeben ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Acht Tage später fanden Rebekka und ich uns zur Beschneidungszeremonie ein. Es war das erste Mal, daß ich Sara seit unserer Begegnung kurz vor ihrer Hochzeit wieder ansah, und ich war verblüfft, wie rasch mir bei ihrem Anblick die Knie weich wurden und mein Herz zu rasen anfing. In ihrer Blässe und Zerbrechlichkeit — denn es war eine schwere Geburt gewesen — war sie ebenso reizend, wie ich sie in Erinnerung hatte. Und als der Mohel die Beschneidung vornahm und dazu die üblichen Worte sprach, galt meine Aufmerksamkeit allein Sara.

Sie nannten den Knaben Jonathan, nach dem ältesten Sohn des ersten Königs von Israel. Ich sollte sein Onkel und er mein Neffe sein. Wir sprachen besondere Gebete für das

Neugeborene, und insgeheim beneidete ich Saul. Ich selbst hatte bis jetzt noch keinen Sohn.

Ich sprach meinen Segen über Jonathan und wünschte ihm ein langes Leben, und dann betete ich leise in meinem Herzen, daß er bis zur Rückkehr des Messias am Leben bleiben möge, so daß er im wahren Königreich Israel zum Mann heranwachsen würde.

Judy ließ Ben allein, um in der Küche ein paar Hamburger zurechtzumachen. Sie verrichtete diese Arbeit mit mechanischen Bewegungen, ohne zu denken, denn obgleich sich ihr Körper in dieser hochmodernen, vollelektrischen Küche des zwanzigsten Jahrhunderts befand, war sie im Geiste noch immer im alten Jerusalem. Ben saß regungslos an seinem Schreibtisch. Nachdem er sich so in die Rolle vertieft hatte und so sehr damit beschäftigt gewesen war, das Leben von David Ben Jona nachzuvollziehen, ließ ihn der Schock darüber, am Ende der Handschriften angelangt zu sein, regelrecht in der Luft hängen.

«Das kann nicht sein«, dachte er, innerlich leer,»das kann noch nicht alles sein.«

Ben legte seine Hände mit ausgestreckten Fingern flach auf die Fotografien. Völlig regungslos saß er da und spürte die Worte David Ben Jonas unter seinen Handflächen, spürte den heißen Sommer in Jerusalem und den Liebesakt unter einer Aleppokiefer. Er spürte den Lärm und das Gedränge auf Jerusalems Markt; roch den aus Kapernaum, Magdala und Bethesda herbeigeschafften Fisch; fühlte die Seidenstoffe aus Damaskus, das Leinen aus Ägypten, das Elfenbein aus Indien. Er spürte die exotischen Wohlgerüche, das Geschrei der Straßenhändler und Kaufleute, spürte das Klirren der römischen Schwerter in der Scheide, als die Soldaten vorübergingen, spürte den Staub und die Tiere und die Hitze und den Schweiß.»O Gott!«rief Ben und sprang auf.

Im nächsten Augenblick war Judy bei ihm und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.»Ben, was ist los?«Er starrte auf seine zitternden Fingerspitzen.»O Gott«, flüsterte er wieder.»Was ist geschehen?«

«David.«, begann er.»David war.«

Sie legte ihm einen Arm um die Schultern.»Komm, Ben, du bist erschöpft. In ein paar Minuten bin ich mit dem Essen fertig, dann können wir uns entspannen. Wie war’s mit einem Glas Wein in der Zwischenzeit?«

Sie führte ihn ins Wohnzimmer über den purpurfarbenen Fleck auf dem Vorleger hinüber zur Couch. Sowie er sich gesetzt hatte, war Poppäa auf seinem Schoß. Sie schnurrte und rieb ihr Gesicht an seiner Brust. Doch Ben schenkte der verführerischen Katze keine Beachtung. Statt dessen legte er seinen Kopf auf der Couch zurück und starrte mit offenem Mund an die Decke.

Was war ihm da gerade im Arbeitszimmer passiert? Es war etwas Neues, etwas anderes. Es war, als ob David.»Was willst du auf deinen Hamburger?«erkundigte sich Judy und streckte den Kopf aus der Küchentür.

«Was?«Er riß den Kopf hoch.»Hmm. Senf. «Ein kurzes Rumoren war zu hören, und im nächsten Augenblick trat Judy mit einem schweren Tablett aus der Küche. Sie stellte es vor ihn auf den Kaffeetisch, ließ eine Serviette in seinen Schoß fallen und riß eine riesige Tüte Kartoffelchips auf. Die Hamburger sahen dick und saftig aus.»Los jetzt, du hast mir versprochen, zu essen.«

«Ach ja.?«Er schubste Poppäas Nase sanft von seinem Teller weg und führte den Hamburger zum Mund.

Was hatte David dort im Arbeitszimmer versucht zu tun? Sie aßen eine Weile schweigend, wobei die Eintönigkeit nur durch das gelegentliche Krachen eines Kartoffelchips durchbrochen wurde, bis Ben plötzlich sagte:»Was mir Kopfzerbrechen bereitet. David ist noch immer hier.«

«Warum macht dir das Kopfzerbrechen?«

«Ich dachte, er würde verschwinden, wenn ich nichts mehr zu übersetzen hätte, aber ich glaube fast, ich habe mich getäuscht. Was ist, wenn er mich nun bis ans Ende meiner Tage verfolgt, weil er nicht weiß, daß die letzte Rolle niemals kommen wird?«Sie aßen die Hamburger zu Ende, wischten sich Hände und Mund ab und lehnten sich mit dem Wein zurück. Poppäa schnupperte zwischen den Krümeln herum.

«Sie ist so ein kleines Miststück«, bemerkte Ben.»Tut so, als wäre sie erstklassig und wählerisch, und ist doch eine Hure im Herzen.«

«Das hat sie vielleicht von ihrer Namensschwester. «Der Augenblick verging langsam, ruhig, in Gedanken. Dann meinte Ben leise:»Weißt du, er schaut dich an. David schaut dich an. «Judy riß die Augen auf und starrte vor sich in das trübe Halbdunkel auf der anderen Seite des Zimmers. Sie sah nichts als die Umrisse von Möbeln und Pflanzen und die Schatten der Bilder an der Wand.»Warum nimmst du das an?«