Выбрать главу

«Ich weiß nicht. Vielleicht erinnerst du ihn an Sara. «Sie lachte leise auf.»Wohl kaum!«

«Oh. wer weiß.?«

«Die Schriftrollen sind jetzt also zu Ende«, sagte Judy nervös.»Ja, ich denke schon. «Bens abwesender Blick verschwand, und mit ernstem Gesicht sagte er:»Und ich denke, wir haben eine Menge gelernt. «Seine Stimme war ausdruckslos, völlig teilnahmslos.»David liefert den Nachweis für einige Aussprüche Jesu, was wohl jedermann glücklich machen wird. Auch für ein paar Worte von Simon. Für das Zitat des Jakobus. Für das Gleichnis vom Hochzeitsfest.«

«Du scheinst nicht gerade glücklich darüber zu sein.«

«Das bin ich auch nicht. Ich sorge mich nur um David und um das, was in aller Welt ihm zugestoßen ist. «Ben fing an, seine Faust zu ballen und wieder zu öffnen.

Judy beobachtete ihn mit wachsender Sorge. Sie hatte sich an seine unvorhersehbaren Schwankungen gewöhnt und war imstande, die Anzeichen zu erkennen, die auf einen plötzlichen Stimmungswechsel hindeuteten. Aber sie mochte es nicht. Diese Unbeständigkeit beunruhigte und erschreckte sie.

«Was war das für ein großes Verbrechen, über das er seinem Sohn berichten wollte? War es die Sache mit Sara?«

«Das kann wohl nicht sein. In Rolle acht sagt er doch, daß der Tag seiner niederträchtigen Tat erst sechzehn Jahre später kommen sollte. Er meinte nur, daß der Zwischenfall mit Sara entscheidend dazu beitrug, daß es im Jahr siebzig unserer Zeitrechnung zu seinem Verbrechen kam.«

Ben wurde immer erregter. Judy sah, daß er wieder drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren.»Das bedeutete, daß die letzte Rolle, diejenige, die wir niemals zu Gesicht bekommen werden, uns seinen eigentlichen Beweggrund für das Schreiben der Rollen verraten hätte. Sie hätte wahrscheinlich auch erklärt, wie und warum er bald sterben mußte, und sechzehn Jahre.«

«Ben!«

Er war plötzlich auf den Beinen.»Ich ertrage das nicht! Ich kann unmöglich weiterleben, ohne den Rest von Davids Geschichte zu kennen. Es wird mich wahnsinnig machen. Er wird mich wahnsinnig machen!«Und er deutete auf den unsichtbaren Juden vor ihm.»Glaubst du, er wird mich jetzt eine Sekunde in Frieden lassen? Sieh ihn dir nur an! Sieh ihn dir nur an, wie er dort steht und mich anstarrt! Warum spricht er nicht? Warum rührt er sich nicht von der Stelle?«Bens Stimme wurde laut und schrill. Sein Körper zitterte heftig.

«Herrgott noch mal!«schrie er,»Steh doch nicht nur so herum! Tu gefälligst etwas!«

Judy tastete nach Bens Hand und versuchte ihn wieder hinunterzuziehen.»Bitte, Ben. O Ben, bitte.«

«Sieh ihn dir nur an! Ich wünschte, du könntest ihn sehen. Wenn ich ihn nur bekämpfen könnte! Wenn ich nur wüßte, wie ich an ihn herankomme! Er treibt mich zum Wahnsinn!«Bens Hände ballten sich zu Fäusten.»Los, du gottverdammter Jude! Du traust dich wohl nicht! Sag mir, hinter was du eigentlich her bist!«Und in diesem Augenblick wurde Ben plötzlich still. Er atmete schwer und schwitzte. Seine Augen waren weit aufgerissen und schienen fast aus den Höhlen zu treten. Die nervösen Bewegungen seiner Finger hörten auf. Ben war mitten in der Bewegung erstarrt. Judy schaute sprachlos zu ihm auf.

Und dann, leise, fast nicht wahrnehmbar, begann er zu sprechen:»Warte einen Moment. Ich denke, jetzt weiß ich, was du willst.«

Kapitel Vierzehn

Hätte man Ben erzählt, daß dasselbe irgendeinem anderen passierte, so hätte er dem Betreffenden geraten, sich an einen Psychiater zu wenden. Weil es ihm nun aber selbst widerfuhr, weil er selbst es erlebte und wirklich fühlte, glaubte er daran.

Nachdem Judy gegangen war, rannte er in der Wohnung hin und her wie ein Mensch, der kurz davor ist, zu explodieren. Er brüllte unzusammenhängendes Zeug, häufig in Jiddisch, schlug sich mit der Faust in die Handfläche und schleuderte Bücher gegen die Wand.»Das kann noch nicht das Ende sein!«schrie er völlig außer sich.»Ich habe das nicht alles durchgemacht, habe das nicht alles erlitten, nur um am Schluß so hängengelassen zu werden! Das ist nicht fair! Das ist einfach nicht fair!«Kurz nach Mitternacht sank er erschöpft aufs Bett und verbrachte die Nacht in einer Art Dämmerzustand. Er hatte jeden Bezug zur Realität verloren. Unruhig warf er sich hin und her und kämpfte mit einer Abfolge von Alpträumen und Wahnvorstellungen. Die darin auftretenden Personen waren altvertraut: Rosa Messer, Solomon Liebowitz, David und Saul und Sara. Zweimal stand er auf und streifte, ohne sich dessen bewußt zu sein, durch die Wohnung, auf der Suche nach etwas, von dem er nicht wußte, was es war. Die dunklen Schatten verkörperten für ihn das Böse und das Entsetzen, die kalten, leeren Zimmer waren die Jahre seines Lebens. Wenn er sprach, so war es entweder auf Jiddisch, Aramäisch oder Hebräisch.

Das Gesicht zu einem hämischen Grinsen verzerrt, krümmte und wand er sich auf dem Bett, während an seinem Körper kleine Bäche von Schweiß herunterrannen. Oft waren seine Augen weit geöffnet, aber er vermochte nicht zu sehen. Oder wenn er sah, so waren es Bilder, die einer anderen Zeit angehörten. Nazaräer, die sich in einem niedrigen Raum versammelten, um auf die Rückkehr ihres Messias zu warten. Rosa Messer, die zum Sabbat eine schwache Glühlampe brennen ließ, während das übrige Haus traurig und bedrückend wirkte. Solomon Liebowitz, der sich an der rabbinischen Hochschule einschrieb. David Ben Jona, der oben auf dem Hügel stand und auf Sara wartete.

Als die Morgendämmerung anbrach und Tageslicht in die Wohnung fiel, das die Schatten und die Dunkelheit zerstreute, fühlte sich Ben, als hätte er hundert Folterqualen durchlebt. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte. Er hatte blaue Flecken an Armen und Beinen. Er entdeckte, daß er sich im Bett übergeben hatte und in seinem Erbrochenen liegen geblieben war.

Während er sich mühsam herumschleppte und schwer atmete, zwang sich Ben, seiner Wohnung wieder den Anschein einer gewissen Ordnung zu geben. Er hatte eine vage Vorstellung von dem, was er während der Nacht durchgemacht hatte. Winzige Bruchstücke der Alpträume blitzten in seinem

Gedächtnis auf, und er wußte, warum es geschehen war.

«Es kann jetzt nicht mehr aufgehalten werden«, murmelte er vor sich hin, als er das Bett frisch bezog.»Wenn ich weiter dagegen ankämpfe, wird es mich umbringen, und eines

Morgens werde ich tot aufwachen. Warum gebe ich nicht einfach nach und erspare mir damit den Schmerz und die Angst?«

Er sprach mehr im Interesse von David als in seinem eigenen, denn er wollte dem Juden mitteilen, zu welchem Schluß er gekommen war.»Ich bin dir nicht gewachsen«, gestand Ben.»Da du unsterblich bist, hast du Kräfte, die ich nicht bekämpfen kann. Wie etwa die Fähigkeit, meine Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Du warst es die ganze Zeit über, nicht wahr? Du hast mich dazu gebracht, mich zu erinnern. Sogar noch bevor du dich zeigtest, hast du die kleinen, unabwendbaren Greuel in mein Gedächtnis gepflanzt. Gott, bist du vielleicht heimtückisch, David Ben Jona!«

Danach beschloß Ben, einen Spaziergang zu machen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Der graue Morgen in West Los Angeles war kalt und schneidend. Trotzdem trug Ben keine Jacke, denn als er hinaustrat und auf dem Gehsteig stand, wandelte er in Gedanken auf einem staubigen Pfad, der sich zwischen alten Olivenbäumen hindurchschlängelte. Die Luft war warm und schwer, voller Staub und summenden Fliegen. Er fühlte sich wohl, weil der Pfad in die Stadt führte und weil er in der Stadt Ablenkung finden würde. Als er den Wilshire Boulevard hinunterlief, nickte Ben den Passanten, denen er begegnete, freundlich zu: Bauern auf dem Weg zum Marktplatz, Schriftgelehrte, die zum Tempel gingen, römische Soldaten, die immer zu zweit durch die Straßen patrouillierten, Gruppen von Kindern auf dem Schulweg. Hin und wieder blieb er stehen, um die Arbeiten von Kunsthandwerkern zu bewundern, die ihrem Broterwerb in überfüllten Werkstätten nachgingen, die sich nach der engen Straße öffneten. Er trat zur Seite, um die Sänfte eines wohlhabenden Bürgers durchzulassen. Es war ein so gutes Gefühl, die Stadt völlig unbeschwert nach Herzenslust zu durchwandern, auf einem Brunnenrand zu sitzen, Brot und Käse zu essen und die Waren eines Stoffhändlers nach einem kleinen Geschenk für Rebekka durchzusehen. Sein Anwesen war nun groß, und er hatte sein Geld auch weiterhin mit Verstand angelegt und dabei gute Gewinne gemacht. David fühlte sich in diesem Abschnitt seines Lebens sicher und zufrieden und wartete nur auf den Tag, da Rebekka ihm einen Sohn schenken würde. Dann wäre er der glücklichste Mann auf Erden. Und wenn dieser Tag kam, wollte er ein großes Fest unter den Olivenbäumen geben und so viele Leute einladen wie möglich und Musikanten holen, damit jedermann singen und tanzen konnte.