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Nach einigen Stunden beschloß er, auf den Hof zurückzukehren und des Tages Arbeit zu begutachten. David konnte sich glücklich schätzen, daß er einen so vertrauenswürdigen Verwalter zur Aufsicht über die Sklaven hatte. Und er konnte auch froh sein, daß er den Griechen Salmonides hatte. Einen solchen ehrlichen Menschen zu finden, war in diesen Zeiten etwas sehr Ungewöhnliches.

David passierte das Stadttor und schlug den Weg nach Bethanien ein, von dem er ein wenig später auf den Pfad abbiegen mußte, der zu seinem Haus hinaufführte. Unterwegs sah er viele Menschen nach der Stadt strömen: Bauern und Handwerker mit Waren, die sie feilhalten wollten; Gruppen römischer Soldaten, die ihre Fahnen einrollten, auf daß das Bildnis Cäsars niemanden kränken würde; den stattlichen Hauptmann, der ihm von seinem hochbeinigen Pferd herab zuwinkte, da er in ihm einen einflußreichen Juden erblickte; und Fremde aus aller Herren Länder. David staunte immer wieder über das Aufgebot an Menschen, die Gott erschaffen hatte, jeder von ihnen verschieden, jeder mit seiner eigenen Sprache, jeder mit einer anderen farbenfrohen Tracht bekleidet. David wanderte auf dem Pfad bergauf und freute sich auf eine Tasse kühler Milch im Schatten eines Feigenbaumes. Vielleicht hatte Rebekka Honigkuchen gebacken. Es war ein schöner Tag gewesen. Als Ben durch seine Wohnungstür eintrat, war er augenblicklich verwirrt. Judy stand sofort von der Couch auf und ging zu ihm.»Ich habe mir Sorgen gemacht. Wo warst du?«

«Wo ich war.?«Ben legte die Stirn in Falten. Seine Augen drückten Bestürzung und Verwirrung aus.»Ich. weiß.

nicht. Was tue ich eigentlich hier? Ich war doch im Schlafzimmer.«

«Nein, dort warst du nicht. Du warst draußen. Ich habe mir selbst aufgemacht, als ich hier ankam. Deine Tür war nicht verschlossen. Ich warte schon seit drei Stunden.«

«Drei Stunden. «Er rieb sich die Stirn.»O je! Wie spät ist es?«

«Fast Mittag.«

Da begann er sich zu erinnern. Der kalte, graue Himmel kurz nach Tagesanbruch, die menschenleere Straße, eine Totenstille ringsumher. Und dann auf einmal das Getümmel in Jerusalem.»O Gott«, stöhnte er,»ich muß Stunden draußen verbracht haben!«

«Wohin bist du gegangen?«

«Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht einmal!«

«Komm hier herüber und setz dich. O Ben, du siehst fürchterlich aus! Wann hast du dich zum letztenmal rasiert?«Er fuhr mit der Hand über sein Kinn.»Ich. weiß. Judy! Judy, es ist etwas ganz Außergewöhnliches passiert!«

«He, beruhige dich erst einmal. Du zitterst ja. Ben, ich mache mir Sorgen um dich.«

«Hör zu, ich muß dir von heute morgen erzählen. Es ist wirklich unheimlich. «Seine Stimme erstarb zu einem Flüstern, während er mit ausdruckslosen Augen vor sich hin starrte.»Nun. ich muß auf der Straße herumgelaufen sein und mit mir selbst geredet haben. Himmel, hab ich ein Glück, daß sie mich nicht aufgegriffen haben!«

«Ben.«

«Ich werde einfach mit dem, was mir geschieht, nicht fertig.«

«Ben, hör mir zu. Ich möchte, daß du etwas ißt.«

«Später.«

«Nein! Du bist in keiner guten Verfassung. Schau dich nur an, blaß und zittrig. Tiefliegende Augen. Um Himmels willen, du siehst schrecklich aus.«

«Ich komme einfach nicht darüber hinweg.«

«Ben, gib mir nicht das Gefühl, daß ich gegen eine Wand rede. Schau, ich habe etwas mitgebracht, was ich dir zeigen will. «In ihrem verzweifelten Bemühen, ihn aus seiner Verwirrung herauszureißen, hielt Judy ihm die Zeitung hin, die sie ihm eigentlich erst später zeigen wollte. Doch es wirkte. Sowie er die Schlagzeile erblickte, kam Ben wieder zu sich. Er las die Überschrift.»Was zum Teufel.? Meinen sie das im Ernst?«

«Lies die Geschichte. Ich mache dir einen Kaffee. «Ben überflog die Titelgeschichte, betrachtete eingehend die Bilder von der Ausgrabungsstelle und warf die Zeitung dann angeekelt zu Boden.

«Ach komm, Judy! Das ist doch pure Auflagenschinderei! Du weißt, daß sie es nur darauf abgesehen haben!«Er ging hinüber zur Küche, lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete, wie sie die Kanne füllte und die Kaffeemaschine einsteckte.»Noch mehr Regenbogenjournalismus! Wie zum Teufel machen sie es nur, daß sie mit ihren Fragezeichen in der Überschrift immer ungestraft davonkommen?«Er warf einen Blick hinter sich auf die Zeitung, die ausgebreitet auf dem Boden lag. Von hier konnte er die Überschrift erkennen:

Q-SCHRIFTEN GEFUNDEN?

«Sie wollen wirklich nur Geld damit machen!«schrie er.»Wie kann Weatherby das zulassen?«

«Ich glaube nicht, daß er irgendeinen Einfluß darauf hat, Ben. «Er schüttelte voll Abscheu den Kopf. Die Überschrift nahm Bezug auf ein nicht existierendes Schriftstück, das nach der gängigen Meinung der Bibelkundler in der Zeit kurz nach Jesu Tod und noch vor der Niederschrift des ersten

Evangeliums verfaßt worden war. Auf Grund gewisser Hinweise bei Matthäus, Markus und Lukas war man zu der Annahme gelangt, daß eine andere Sammlung mit den Aussprüchen Jesu noch vor Erscheinen des MarkusEvangeliums unter Nazaräern im Umlauf gewesen sein mußte. Diese vermeintliche Spruchsammlung ist von deutschen Gelehrten im neunzehnten Jahrhundert als» Quelle «bezeichnet und in neuerer Zeit einfach mit Q abgekürzt worden. Keine Spur dieses Dokuments war je gefunden.»Glauben die Leute tatsächlich, daß es das ist, was Weatherby hat?«

«Nicht die Leute, Judy, sondern die Zeitungsschreiber. Und nicht einmal die glauben daran. Vielmehr ist es das, was sie die Leute glauben machen wollen, damit sie ihre verdammten Zeitungen verkaufen können. Nur weil David hin und wieder ein paar Zitate einstreute, die vielleicht beweisen, daß sie tatsächlich von Jesus stammen! Ich glaube kaum, daß die Schriftrollen von Magdala die Grundlage für Markus, Matthäus und Lukas waren!«

Judy lächelte verschmitzt. Sie war froh, in Ben wieder den analytischen Historiker zu erkennen.»Weißt du was«, meinte sie, als die Kaffeemaschine zu brodeln begann,»ich möchte sogar bezweifeln, daß David je etwas von der Unbefleckten Empfängnis oder der Geburt Christi gehört hat. «Ben verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türrahmen.»Die mythische Verklärung kam erst viel später, und Jesus hatte keinerlei Absicht, die Heiden zu bekehren. Sogar Matthäus sagt uns das im fünften Vers des zehnten Kapitels. Wenn man David Ben Jona fragte, wüßte er nicht, was ein Christ ist, ja nicht einmal, was eine Kirche ist. Er und all die anderen, die auf die Rückkehr Jesu warteten, waren fromme Juden, die das Passah-Fest begingen, an Jom Kippur fasteten, den Verzehr von Schweinefleisch unterließen und sich selbst als Gottes auserwähltes Volk betrachteten. Die ganze

Mythologie und die Rituale kamen erst viel später, als die Heiden sich dem neuen Glauben anschlossen.«

Judy zog den Stecker der Kaffeemaschine heraus und füllte zwei Tassen mit dampfendem Kaffee.»Hier. Komm, wir wollen uns setzen. Ich wünschte wirklich, die letzte Rolle wäre nicht zerstört worden. Vielleicht hätte sie einige der Dinge klären können, von denen du gerade sprachst.«

Ben versetzte der Zeitung einen Tritt, bevor er sich setzte.»Q-Schriften, was ihr nicht sagt! Ein Haufen Scheiße! Was wißt ihr schon davon?«