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Als Rolle Nummer elf ankam, riß Ben sie dem Briefträger aus der Hand und stürzte nach oben, während Judy zurückblieb, um für das Einschreiben zu quittieren und sich für sein Benehmen zu entschuldigen. Als sie die Wohnung betrat, saß Ben bereits an seinem Schreibtisch und kritzelte in sein Übersetzungsheft.

Als der eigentliche Augenblick des Abschieds kam, war ich betrübt, doch bis dahin hatte ich meiner Reise erwartungsvoll und voller Freude entgegengesehen. Die Vorfreude überwiegt stets den Gedanken an den Abschied von den Lieben oder an die Gefahren, die einer solchen Reise innewohnen. Erst wenn es dann soweit ist und man an Bord geht, besinnt man sich plötzlich auf die Monate der Einsamkeit, die vor einem liegen.

Rebekka litt in stiller Verzweiflung. Nicht ein einziges Mal, seitdem ich ihr angekündigt hatte, daß ich gehen würde, hatte sie ihr Entsetzen darüber bekundet. Denn Rebekka war eine zurückhaltende und gehorsame Frau, die wußte, daß meine Entscheidungen allen zum besten gereichten. Und auch wenn es ihr vielleicht insgeheim widerstrebte, mich ziehen zu lassen, oder wenn sie schlimme Vorahnungen hatte, so verlieh sie ihren Befürchtungen dennoch keinen Ausdruck. So ehrerbietig war Rebekka. Indessen gab es viele, die ihre Zunge nicht im Zaum hielten. Saul war derjenige, der am wenigsten ein Blatt vor den Mund nahm. Mehrmals war er abends zu uns gekommen und hatte stundenlang auf mich eingeredet, um mich von meinem Vorhaben abzubringen. Und ich liebte ihn dafür um so mehr.

Er sagte:»Du überquerst ein großes, tückisches Meer, das oft viele Menschenleben fordert. Und selbst wenn du die Fahrt überlebst, was soll dich in diesem sündigen Babylon vor heimtückischen Überfällen bewahren? Und wenn du durch irgendeine wundersame Fügung am Ende deines Besuches dort noch am Leben bist, dann steht dir wieder die Heimreise über das tückische Meer bevor!«

«Du bist ein Optimist, mein Bruder«, gab ich zurück und rang ihm ein Lächeln ab.»Wie du weißt, habe ich mein Geld dort angelegt und muß zumindest einmal im Leben hinreisen, um an Ort und Stelle alles in Augenschein zu nehmen. Der alte Salmonides begleitet mich ja. Er ist ein erfahrener Reisender und weiß über die Niedertracht deines Babylons bestens Bescheid. «Meine anderen Freunde von den Armen waren ebenfalls gegen meine Reise. Sie befürchteten, daß der Meister zurückkehren könne, während ich fort war, aber ich wußte, daß dies ein Risiko war, das ich eingehen mußte. Doch mein alter Mentor Simon war in Rom, und ich sehnte mich danach, ihn wiederzusehen. Und da ich schon so viele frevelhafte Geschichten über diese eine Million Einwohner zählende Stadt gehört hatte, wollte ich sie selbst einmal sehen.

Von allen, die versuchten, mich davon abzubringen, hätte nur eine Person vielleicht Erfolg haben können. Aber meine liebe Sara hüllte sich in Schweigen. Seitdem sie sich den Armen angeschlossen hatte, war ich es gewohnt, sie in meiner Nähe zu haben, und doch empfand ich stets den vertrauten Schmerz in meinem Herzen und die Schwäche in meinen Knien, wann immer ihr Blick sich mit meinem kreuzte. Eine lange Zeit war seit jenem Nachmittag auf dem Hügel vergangen, und doch liebte und begehrte ich sie, als wäre es erst gestern gewesen.

Am Tag meiner Abreise hatten sich alle meine Freunde um mich versammelt. Meine Frau stand an meiner Seite, als unsere Brüder und Schwestern von den Armen mir den Friedenskuß gaben. Auch Sara drückte ihre Lippen auf meine Wange und flüsterte:»Möge der Gott Abrahams dich beschützen. «Doch sie blickte nicht zu mir auf. Saul, der noch immer kein Mitglied des Neuen Bundes war und nicht daran glaubte, daß der Messias dieser Tage zurückkommen werde, umarmte mich und ließ seinen Tränen freien Lauf. Der letzte, der mir Lebewohl sagte, war Jonathan, mein Lieblingsneffe, den ich innig liebte. Er schlang seine Arme um meinen Hals und bat mich inständig, nicht zu gehen.

Da sagte ich zu ihm:»Jonathan, du bist Sauls ältester Sohn wie der älteste Sohn des ersten Königs von Israel. Dieser Jonathan war ein berühmter Krieger und ein tapferer Mann. Erinnerst du dich daran, was David ehedem von seinem besten Freund Jonathan sagte? Es steht geschrieben, daß David sagte: >Saul und Jonathan, die Gelehrten, die Holdseligen, in ihrem Leben wie in ihrem Tode sind sie unzertrennt gebliebene Jonathan, du warst mir über alles lieb! Ja, deine Liebe ging mir über Frauenliebe!«

Jonathan freute sich über diese Worte und war weniger betrübt. So erwähnte ich auch nicht, daß es sich dabei um die Wehklagen Davids über die Ermordung von Saul und Jonathan im Gebirge Gilboa handelte. Und weil er ebenfalls ein Mitglied der Armen war, da Sara, ungeachtet Sauls Mißbilligung, darauf bestanden hatte, ihn zu den Versammlungen mitzunehmen, gab Jonathan mir den Friedenskuß. Salmonides und ich reisten an diesem Tag mit einer Karawane ab und kamen in der Woche darauf nach Joppe. Dort bekamen wir einen Platz auf einem Phönizischen Schiff, das nach Kreta unterwegs war. Auf der Fahrt ging es uns gut, da wir uns nahe an der Küste hielten. In einem Hafen unweit der Stadt Lasea konnten wir uns eine Überfahrt an Bord eines römischen Schiffes sichern, das mit seinem schweren Segel einen recht soliden Eindruck machte. Wir waren überzeugt, daß ihm auch stürmisches Wetter nichts würde anhaben können.

Die Jahreszeit war noch immer günstig, und so brachen wir in Richtung Rom auf. Auf der ganzen Fahrt wurden wir von leichten Südwinden begleitet, und während der Kapitän seinen kapitolinischen Gottheiten für ihre Hilfe dankte und Salmonides seinen griechischen Göttern huldigte, wußte ich allein, daß nur das Werk des Gottes Abrahams die Reise so angenehm machte. Meinen ersten flüchtigen Eindruck von Italien bekam ich in Rhegium, das wir anliefen, um Passagiere an Land zu setzen und andere aufzunehmen. Und von dort aus segelten wir an der Küste entlang nach Ostia, dem Hafen Roms.

Dort angekommen, mieteten wir uns Esel und ritten einen Tag, bis wir am Vorabend eines Festtages, der unter dem Namen Saturnalien bekannt ist, die Stadt erreichten. Wie es sich so ergab, sollte dann auch der Geburtstag des Kaisers gefeiert werden. Ich möchte, mein Sohn, in diesen kurzen Schriftrollen nicht auf die haarsträubenden Szenen eingehen, die sich meinem Auge darboten, als ich mit Salmonides die Stadt betrat. Mir bleibt nur noch wenig Zeit, und jede Stunde, die mein Schreibrohr über diesen Papyrus gleitet, bringt mich meinem Tode näher. Ich will mich deshalb nicht länger mit dem zügellosen Wesen Roms oder dem schockierenden Benehmen des Pöbels in dieser Stadt befassen. Laß mich vielmehr an meiner eigenen Geschichte festhalten, und es genügt wohl, wenn ich dir sage, daß Rom ein wahrhaftiges Babylon ist. Salmonides und ich nahmen getrennte Zimmer in einem angesehenen Gasthof, und während ich ihn ausschickte, um sich als mein Bevollmächtigter Einblick in meine Beteiligungen in Rom zu verschaffen, hatte ich selbst nur ein Vorhaben im Sinn: Simon zu besuchen.

Wie du weißt, mein Sohn, hatte Simon Jerusalem mehrere Jahre zuvor verlassen. Doch was du nicht weißt und was du auch nicht verstehen wirst, bis du ein erwachsener Mann bist, ist, warum Simon Jerusalem verließ. Du erinnerst dich sicher daran, was ich dir über die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Jakobus und über ihren Kampf um die oberste Führung der Armen berichtete. Je größer die Zahl unserer Mitglieder wurde und je weiter die Zeit voranschritt, ohne daß der Messias zurückkehrte, desto heftiger stellte Jakobus Simons Führerschaft in Frage. Die Ursache dafür lag darin, daß Jakobus der Bruder des Meisters war. Und so geschah es, daß Simon, des Meisters bester Freund, schließlich unterlag und mit seinem Weib aus Jerusalem fortzog, um in anderen Städten von der Rückkunft des Messias zu predigen. Warum er sich dabei ausgerechnet nach Rom wandte, vermag ich nicht zu sagen. Es wäre allenfalls denkbar, daß ihn eine wachsende Messianische Gemeinde dort zu diesem Schritt bewog und daß er dieser beistehen wollte.

Als ich mich der Gemeinschaft der Armen anschloß, herrschte, wie ich dir schon berichtete, eine große Bestürzung unter den Zwölfen über einen Mann namens Saul von Tarsus. Dieser behauptete, der Messias sei ihm auf der Straße nach Damaskus erschienen und habe ihm befohlen, Heiden zum Neuen Bund zu bekehren. Nachdem er bereits eine große Gemeinschaft der Armen in Antiochia ins Leben gerufen hatte, begab sich dieser Saul von Tarsus wegen eines Verbrechens, das man ihm zur Last legte, nach Rom, um seinen Fall Cäsar vorzutragen. Saul war einer der Verantwortlichen für die Bekehrung vieler in Rom lebender Juden zu unserem Glauben.