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18. März 1314

Es war berstend voll auf dem Platz auf der Pariser Seine-Insel. Die Neugierigen und Schaulustigen drängten sich, schubsten sich, schoben sich vor und wollten die besten Plätze erhaschen. Vorne, für Henri kaum mehr als eine graue Silhouette in der Ferne, standen die Scheiterhaufen für Jacques de Molay und Geoffrey de Charney – den Großmeister des Templerordens und den Präzeptor der Normandie.

Die Leute wollten sie brennen sehen. Zu ungeheuerlich war es, was in den letzten Monaten über die strahlendsten Ritter der Christenheit bekannt geworden war. Wohl hatten die verstockten Ketzer schweigen wollen, doch die Folterknechte des französischen Königs hatten es verstanden, ihre Zungen zu lösen: Das Haupt Muhammads hatten sie angebetet, ihr Keuschheitsgelübde gebrochen, indem Bruder bei Bruder gelegen war, den Hintern hatten sie sich geküsst!

Henri sah auf die stinkende Meute, die gierig darauf war, zwei der großartigsten Männer der Welt brennen zu sehen. Henri wusste es besser: Als er vor vielen Jahren sein Heim in Roslin in Schottland verlassen hatte, war er ein Mitglied des Ordens geworden, hatte hart studiert, um Lesen und Schreiben zu lernen und die vertrackte Grammatik des Lateinischen, hatte im Auftrag des Ordens Raubgesindel von den Straßen ferngehalten und die Sarazenen vom Heiligen Grab in Jerusalem, bis Jacques de Molay auf ihn aufmerksam geworden war und ihn zum Verwalter des Templervermögens bestellt hatte. Henri wusste, dass jeder einzelne der wirren Vorwürfe des Königs Erfindung waren, dass die edlen Ritter trotz größter Tortur nicht gestanden hatten. Er wusste, dass der Mob wütete, weil er belogen worden war.

Und er wusste, dass er den Großmeister retten musste.

Ein fetter Bauer mit wildem Bart stieß ihn von hinten, wollte ihn zur Seite drängen.

»Lass mich mal vor, junger Mann«, sagte der Kerl, oder besser, er schrie es, um den tosenden Lärm der Menge zu übertönen, »ich will die Teufel braten sehen.«

Henri würgte. Es nutzte nichts, sich mit dem Tölpel anzulegen. Ein Hieb mit seiner Faust, und der Bauer hätte am Boden gelegen, zerschmettert und tot. Niemand hätte es bemerkt in der Menge, und man wäre von einem Unfall ausgegangen, hätte man ihn später entdeckt. Aber was konnte der Bauer dafür, dass er die Lügen des Staates geschluckt hatte? Die wahren Schuldigen waren andere.

Er nahm den Mann und wuchtete ihn mit einem Ruck auf seine Schultern.

»Da«, und er deutete mit seinem Finger auf den französischen König, der mit einem zufriedenen Grinsen auf seinem Thron neben den Scheiterhaufen Platz genommen hatte, »da, mein liebes Bäuerlein, da sitzt der wahre Teufel.«

Und bevor der Mann etwas entgegnen konnte, hatte ihn Henri wieder auf dem Boden abgesetzt und wühlte sich selbst nach vorn. Er war kein unbekannter Tempelritter gewesen, viele Menschen waren an seinem Bankschalter ein- und ausgegangen, hatten sich Wechsel ausstellen lassen oder Geld getauscht. Jeder Kaufmann in der Menge konnte ihn erkennen und ihn den Behörden übergeben. Denn auf die Zugehörigkeit zum Templerorden stand die Todesstrafe.

Henri hatte gerade ein paar Landfrauen, die mit Körben voller Gänse zu einer der Tribünen wollten, die man aufgebaut hatte, mühelos aus dem Weg gewischt, als er ein vertrautes Gesicht entdeckte. Schnell hob er den weiten Ärmel seines Wams vor das Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Dann musste er lachen.

»Joshua ben Shimon! Was machst du hier?«

»Dasselbe wir Ihr, Henri de Roslin. Ich schaue mir an, wie man Engel brät!«

»Es ist zu gefährlich für dich hier, Jude. Jeder kann dich ergreifen und erschlagen. Der König hat alle Juden des Landes verbannt.«

»Das hat er auch mit den Tempelrittern getan. Für den König ist jeder ein Ketzer, der etwas Geld gespart hat. Als Nächstes wird er die Kaufleute ächten und ihr Vermögen konfiszieren!«

Henri atmete. Schnell packte er den hageren Juden, einen Gelehrten, wie es sonst keinen in Frankreich gab, um ihn in Sicherheit zu bringen.

»Das ist nett von Euch, Henri«, flüsterte ihm Joshua zu, »aber ich war es, der hierher kam, um Euch zu suchen.« Er nickte kurz in Richtung eines Bauern, der nur wenige Meter entfernt stand, und Henri bemerkte mit Schrecken, dass es einer der Folterknechte war. Joshua blickte zu Henri auf und wies unauffällig auf weitere Bauern. Der ganze Platz war voller Soldaten und Mitglieder des königlichen Geheimdienstes, die wie einfache Männer vom Land gekleidet waren, um die letzten Templer aufspüren und verhaften zu können.

»Ich weiß, Ihr wollt Molay und Charney retten«, sagte Joshua und hielt seinen Mund ganz nahe an Henris Ohr. »Aber Ihr könnt Euch glücklich schätzen, wenn Ihr selbst lebend von hier entkommt.«

Er nahm Henri bei der Hand, riss ihn durch die Menge, bis ganz am Rande der brodelnden Volksmasse. »Hier geht es in das Haus meines Vetters und von dort in die Hinterhöfe. Wenn uns jemand entdeckt, können wir schnell entwischen.«

Jacques de Molay und Geoffrey de Charney standen auf dem Scheiterhaufen, bis auf die Unterwäsche entkleidet. Hinter ihnen ragte die Fassade der Notre Dame empor, Zinnen und Bogen und Spitzen – ein irdisches Gegenbild des ewigen Himmels. Und zu ihren Füßen die Haufen der Hölle.

»Ketzer«, schrie der französische König, und wie auf ein geheimes Signal verstummte das Schreien, Kichern und Höhnen. »Ketzer«, schrie der König und wandte sich an die Großmeister, »Ihr seid beschuldigt, den Mahomet anzubeten und von der Heiligen Kirche abgefallen zu sein. Ihr habt Gott gelästert, Sodomie getrieben, den Teufel verehrt und schwarze Magie verübt. Dies ist die letzte Gelegenheit, Eure teuflischen Sünden zu bereuen, bevor ich Euch dem Flammentod überantworte.«

Die Menge wogte, aber sie verharrte in Stille. Die Worte des Königs wurden über den Platz getragen und brachen sich an den Wänden der Kathedrale. »Ketzer, Ketzer«, scholl das Echo zu ihm zurück.

Das war üblich bei Verhandlungen gegen Ketzer. Bereuten sie, dann band man sie vom Scheiterhaufen los, brachte sie zurück in ihr Verlies, kettete sie an, und sie mussten den Rest ihres Lebens in Einzelhaft verbringen. Aber sie konnten ihr Leben retten.

Jacques de Molay hob den Kopf. Er lachte den König an. Er lachte ihn aus: »Philipp der Schöne! So nennt man dich! Ich sage vor Gott, vor dir und allen hier: Wir haben Gott nicht gelästert. Wir waren der Kirche treu! Du weißt es, wir wissen es. Es gibt nur einen Ketzer hier, und das bist du!«

Die Menge schrie auf. Manche spuckten nach vorn, andere rauften sich die Haare. Und wieder andere, die schon mit den Templern zu tun hatten, riefen: »Lasst sie frei!« Die Männer des Königs hieben mit den breiten Seiten ihrer Schwerter auf die Menschen ein. Es wurde ruhig.

Vier vermummte Soldaten kamen mit Kesseln voll heißer Kohlen, die sie auf die Füße der gefesselten Templer schütteten. Die beiden Männer verzogen keine Miene.

»Bereut Ihr jetzt?«, schrie der König ein weiteres Mal.

»Vor Gott sind wir unschuldig! Ich widerrufe jedes Geständnis, das ich unter Folter gemacht habe! Lieber will ich sterben, als zu sündigen.« Stolz klangen die Worte Geoffreys, und die Menge murmelte verblüfft.

Der König handelte schnell, ließ Feuer legen. Nur Sekunden später züngelten die Flammen über den ganzen Körper der beiden Männer.

Da gellte ein letzter Schrei – war es Molay, war es Charney? – durch den Qualm und Ruß und das Prasseln der Feuerzungen:

»In Gottes Namen verfluche ich dich, König Philipp von Frankreich. Elend wirst du verrecken wie eine Sau auf der Schlachtbank, und die Pest auf dich und all deine Nachfahren! Magst du das Blut fressen, das du heute unschuldig vergossen hast!«

Und Henri wusste endlich, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, welche Aufgabe Gott für ihn vorgesehen hatte: Er würde Philipp finden, und er würde ihn töten. Er wollte der Fluch der Templer sein.