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Joshua unterbrach ihn. »Jetzt verstehe ich, warum du so besorgt warst, dieser Bauernknecht könnte dein Templerhabit mitgenommen haben. Aber niemand könnte dich doch heute noch zur Verantwortung ziehen.«

»Diese Sorge wird man niemals mehr los«, sagte Henri.

»Was geschah denn mit einem Templer, der sein Habit verloren hatte?«, wollte Joshua wissen.

»Willst du das wirklich hören?«, fragte Henri eindringlich. Als Joshua nickte, gab er Auskunft. »Der Verlust des Habits zog eine zeitweise Verstoßung nach sich: ein Jahr und einen Tag. Für die weniger schweren Fälle konnte das Kapitel eine mehr oder weniger ehrenrührige Strafe aussprechen.«

»Was bedeutete ›ehrenrührig‹?«, fragte Joshua.

»Der Schuldige musste schwere Arbeiten mit den Sklaven verrichten. Er musste vom Fußboden essen und während einer bestimmten Zeit einen Tag pro Woche fasten. Die mildeste Strafe bestand darin, den Schuldigen einen Tag lang auf Wasser und Brot zu setzen. Aber du hast mich mit deinen Fragen abgelenkt.«

»Diese Auskunft war mir wichtig«, erklärte Joshua.

»Es gibt auch nicht mehr viel zu berichten. Der Meister zitierte noch die Artikel, in denen es um die wichtigsten Regeln des Alltagslebens geht: die religiösen Pflichten, das Verhalten bei Tisch, die Versorgung der Pferde und Pflege der Waffen.«

»Da fehlt doch etwas Wichtiges?«, fragte Joshua und grinste.

»Ich weiß, was du meinst«, gab Henri zu. »Der Meister erläuterte mir noch den Umgang mit Frauen.«

Joshua betrachtete fast mitleidig den kleinen Knappen. »Alle diese Regeln muss auch der Junge lernen?«

»Wenn er ein guter Knappe werden will, dann schon«, sagte Henri. »Aber ich werde darauf verzichten, dass er, wie man uns noch riet, kleine Schnüre um die Taille tragen soll, nämlich zum Zeichen dafür, dass man in Keuschheit leben will. Den Umgang mit Frauen werde ich ihm gewisslich nicht untersagen.«

Joshua betrachtete seinen Freund von oben bis unten. »Wie ich sehe, trägst auch du diese Schnüre nicht mehr.«

»Dazu sehe ich keine Veranlassung«, wehrte Henri dieses Ansinnen beinahe ärgerlich ab. »Der Meister schloss nämlich mit den Worten: Gehe hin, Gott wird dich besser machen.«

»Und, hat er das?«

»Ich hoffe es«, antwortete Henri und lehnte sich zurück.

Aber Joshua hatte noch eine Frage. »Haben denn wirklich alle diese strengen Regeln ausgehalten? Gab es keine Deserteure?«

»Leider gab es Abtrünnige, sogar Verräter.« Henri beantwortete diese Frage nur ungern. »Man hat von Rittern gehört, die zu den Muselmanen überliefen und den islamischen Glauben annahmen, um ihr Leben zu retten. Da gab es einen Aufseher der Landgüter, der sogar Templer verkaufte. Aber ich nehme an, dass es nicht viele Überläufer gab. Denn woher stammten sonst all die vielen Totenköpfe, die auf den muselmanischen Lanzen aufgespießt waren?«

»Was geschah mit eingefangenen Deserteuren? Verzieh man ihnen?«, wollte Joshua wissen.

»Nein. Sie wurden streng bestraft. Ich habe sogar von einem Fall gehört, bei dem der Orden die Hilfe der weltlichen Justiz in Anspruch genommen haben soll. Andererseits hat ein Templer bekannt, dass er zweimal in den Orden aufgenommen wurde: das erste Mal in Castrum Peregrinorum, der Pilgerburg im Königreich Jerusalem, ein zweites Mal nach Desertion und Reue auf Zypern. Aber das war im Jahre 1309, als der Orden schon aufgelöst worden war.«

»Du siehst müde aus«, sagte Joshua. »Aber ich möchte noch etwas wissen, was ich vor deinem Knappen nicht gern erörtern möchte. Stimmt es, dass ihr alle im Nacken ein Zeichen tragt, das euch bei der Aufnahme in den Orden eingebrannt wurde? Man behauptet nämlich, dass es zum Ritus des Aufnahmeverfahrens gehörte, den Bewerber mit einem Öl aus Bilsenkraut, Stechapfel, Schierling und Tollkirsche zu betäuben, damit er den Schmerz des Einbrennens aushalten konnte.«

»Es gab wichtigere Bedingungen, um ein Ritterbruder zu werden. Man musste nämlich nach Ablauf der Probezeit die Schwertlilie empfangen haben. So nannte man den Ritterschlag.«

Joshua gab nicht nach. »Du weichst mir aus. Willst du einem Freund die Auskunft verweigern? Zeige mir deinen Nacken!«

Henri hob seine Haare und neigte den Kopf. Aber im schwachen Licht des Feuers konnte Joshua nicht erkennen, ob da Narben waren, die auf ein Geheimzeichen der Templer hindeuteten.

»Beantworte mir noch eine einzige Frage: Wer ist Baphomet? Ist er euer Gott, den ihr wie einen Götzen verehrt?«

Henri wickelte sich in seine Decke. Seine Stimme klang dumpf unter dem derben Stoff hervor. »Du hast nicht gut zugehört. Denn sonst wüsstest du, dass wir Templer gute Katholiken sind und immer waren. Baphomet, der in den Köpfen unserer Gegner herumspukt, ist nichts anderes als der arabische Name Mahumet oder Muhammad. So nennen die Sarazenen ihren Propheten. Aber wir sind nie vom Glauben abgefallen – das war eine Lüge des Königs!«

Auch Joshua deckte sich zu. »Verzeih mir meine Zudringlichkeit!«, bat er. »Ich weiß doch ganz genau, dass du weder an Dämonen noch an Hexen oder Zauberer glaubst, also auch reicht an einen geheimnisvollen Baphomet.« Er reichte dem Freund die Hand. Henri holte seinen Arm noch einmal unter der Decke hervor und erwiderte den Händedruck.

In der Nacht war das Feuer erloschen. Fröstelnd standen die beiden Männer im Morgennebel. Die Pferde hatten unter den Bäumen Schutz gesucht. Noch gab es kein Anzeichen dafür, dass die Märzsonne sich sehen lassen wollte.

Henri betrachtete den schlafenden Jungen. Sean sah nach den Anstrengungen der vergangenen Tage blass aus. Zum ersten Mal kam Henri der Gedanke, dass der Junge vielleicht doch eine Last sein könnte. Würde er den weiten Weg bis nach Paris durchhalten? Er fühlte Mitleid. Aber es gab keine andere Lösung, als seinen Knappen beizeiten abzuhärten.

Mit Schwung riss er dem Jungen die wärmende Decke vom Leib. »He, du Schlafmütze! Hast du schon deine Pflichten vergessen? Die Pferde warten darauf, gefüttert und getränkt zu werden!«

Sean erhob sich schlaftrunken. Er sah sich nach allen Seiten um. Offensichtlich wusste er zunächst nicht, wo er sich befand. Aber als er Henri vor sich stehen sah, seufzte er erleichtert. »Verzeiht mir!«, bat er zerknirscht. »Ich werde mich sogleich an die Arbeit machen. Ich fürchtete schon, dass Ihr mich zurückgelassen hättet.«

»Da brauchst du keine Angst zu haben. Kein Templer lässt seinen Knappen im Stich«, versicherte Henri. »Aber wie steht es mit dir? Ich habe von meiner Aufnahme in den Orden erzählt, und du bist darüber eingeschlafen. So hast du leider nicht gehört, was ein Ordensbruder mir über das strenge Leben im Orden sagte, nämlich: Wollt Ihr schlafen, so müsst Ihr wachen.«

»Aber ich war doch so schrecklich müde«, führte Sean zu seiner Entschuldigung an.

Henri sah grimmig vor sich hin. »Weißt du, wie man einen bestrafte, der eingeschlafen war, obwohl er wachen sollte?«

Sean schüttelte stumm den Kopf.

Henri hätte den Jungen am liebsten in den Arm genommen. Aber er untersagte sich selbst diese milde Geste. »Wer so pflichtvergessen gewesen ist wie du, durfte sich in der folgenden Nacht nicht hinlegen, sondern musste stehen bleiben.«

Sean sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Aber das hält doch keiner aus!«, rief er entsetzt.

»Wohl oder übel musste man das durchstehen«, erwiderte Henri ungerührt. »Aber jetzt räume die Feuerstelle auf! Keiner darf entdecken, dass hier nachts mehrere Reiter gelagert haben. Die Pferde werde ich derweil versorgen. Es ist höchste Zeit, um aufzubrechen.« 

7

Dichter Nebel lag über dem Wald, und die Feuchtigkeit tropfte von den Bäumen. Die drei Reiter waren froh, als sie endlich das freie Feld erreicht hatten. Henri schlug vor, dass Joshua die Führung übernehmen solle. Er selber wolle die Nachhut bilden. »So können wir am besten erkennen, wenn du nicht mehr das Tempo mithalten kannst«, erklärte er Sean.