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Sean blieb die Antwort erspart, denn soeben erschien Joshua am Waldrand. Als Joshua das Feuer, die Menschenansammlung und den Braten am Spieß erblickte, blieb er zögernd stehen.

Die Bauern, die nicht mehr auf dem Boden knieten, weil sie schon gebeichtet und die Absolution erhalten hatten, winkten ihn herbei. »Wo hast du denn gesteckt?

Bekreuzige dich und knie nieder! Wir alle müssen die Beichte ablegen.«

Joshua tat, als habe er nichts gehört. Er blieb kerzengerade stehen und wandte sich dann um. Die Bauern schauten sich an, murmelten etwas vor sich hin und näherten sich Joshua. Aber Henri griff geistesgegenwärtig ein. »Warum soll dieser gottesfürchtige Mann niederknien und um Vergebung bitten? Während ihr lästerliche Lieder gesungen habt, war er im Wald, um in der Stille unserem Herrgott dafür zu danken, dass wir die wundertätige Reliquie von Cadouin anschauen und anbeten durften. Denn wir waren schon dort und schieden als Freunde des Abtes.«

Die Bauern wichen zurück, und der Mann am Bratenspieß griff zu seinem Messer und schnitt ein ansehnliches Stück Fleisch aus der Lende des Wildschweins. »Hier, nimm das!«, sagte er zu Joshua. »Denn du bist es wert, als Erster den Braten zu kosten.«

Joshua betrachtete zögernd das Fleisch, das ihm auf der Spitze des Messers dargereicht wurde. Eine Ablehnung hätte den Geber nicht nur beleidigt, sondern womöglich auf Gedanken gebracht, die Joshua unbedingt verbergen wollte.

Wieder war es Henri, der die bedrohliche Situation meisterte. Er griff eilig nach dem Bratenstück. »Ich danke dir von Herzen für diese verlockende Speise. Aber ich bin der Meinung, dass dieser kleine Bursche hier, der als Erster von uns allen die Beichte abgelegt hat, nun auch als Erster von uns essen darf.« Er ging auf Sean zu und reichte ihm das knusprige Lendenstück des Wildschweinbratens. »Iss davon, so viel du magst. Aber trödele nicht unnötig hier am Feuer herum! Sobald du fertig gegessen hast, komm zur Quelle, um dich von dem triefenden Fett zu reinigen!« Er gab seiner Stimme einen strengen Klang.

Im Haus packten Henri und Joshua eilig ihre Reisebündel. Ehe sie nach draußen gingen, um die Pferde zu satteln, legte Joshua eine Hand auf die Schulter seines Freundes. »Ich danke dir, dass du mich davor bewahrt hast, als Jude erkannt und vielleicht sogar ins Feuer geworfen zu werden.«

Henri erwiderte seine freundschaftliche Gebärde. »Nicht umsonst hast du mich damals in der Talmudschule in den jüdischen Gesetzen unterwiesen. Ich habe nicht vergessen, dass die Thora in vielen Geboten einen respektvollen Umgang mit den Tieren fordert. Dazu gehört auch, dass die im Wald gehetzten und erschlagenen Tiere nicht zum Verzehr geeignet sind.«

Joshua verstaute das Kästchen mit dem Gebetsriemen unter seinen Kleidungsstücken. »Ich hätte mir nicht zu helfen gewusst, als man mir ein Stück von diesem erschlagenen Wildschwein reichte.«

Henri versetzte seinem Gefährten einen sanften Stoß. »Hier ist jetzt nicht die Zeit, darüber zu sprechen, was die Thora über koscheres Essen gebietet. Wenn wir noch lange zögern, könnte man dich erkennen.«

Sean hatte wohl verstanden, dass er seinen Herrn nicht warten lassen durfte. Sein Pferd stand gesattelt an der Quelle. »Als Ihr im Haus verschwunden wart, haben die Bauern hinter Euch hergestarrt und miteinander geflüstert. Warum wohl?«, wollte er wissen.

Henri schwang sich in den Sattel und gab das Zeichen zum Aufbruch. »Ich werde dir das später erklären. Halte deine Lanze bereit und beobachte die Büsche neben unserem Weg! Es könnte sein, dass man uns nachstellt.«

Henris Mahnung zur Vorsicht erwies sich als richtig. Sie waren gerade erst in das Dickicht des Waldes eingetaucht, als vier mit Knüppeln bewaffnete Männer aus dem Unterholz hervorbrachen. »Bleibt stehen! Wenn ihr uns eine glaubwürdige Antwort geben könnt, wird euch nichts geschehen.«

Henri bewahrte die Ruhe, während Joshua so unruhig wurde, dass sein Pferd zu tänzeln begann. Sean hielt seine Lanze kampfbereit umklammert. »Wir sind friedliche Pilger auf dem Heimweg«, antwortete Henri freundlich. »Ich kann mir nicht vorstellen, welche Auskünfte ihr von uns verlangt.«

Der kräftigste der Männer schob sich nach vorn und ergriff Joshuas Pferd am Zügel. »Machen wir kein langes Federlesen! Ist dieser Mann ein Jude? Er hat sich geweigert, das Gelobt sei Jesus Christus zu sprechen, wollte sich nicht bekreuzigen, nicht zur Beichte gehen, kein Schweinefleisch essen, und außerdem sieht seine Visage ziemlich jüdisch aus.«

Henri lachte laut. »Ach, was ihr euch da alles zusammenreimt! Gebt den Weg jetzt frei!«

Aber die vier umringten sie und erhoben ihre Knüppel. »Von dir wollen wir gar nichts und erst recht nichts von dem blonden Milchbart. Aber deinen Begleiter musst du uns ausliefern, damit wir ihn im Lager verhören und notfalls seine Füße ein wenig im Feuer rösten können.« Sie rissen das Pferd an der Trense zurück, packten Joshua mit den Fäusten und versuchten, ihn aus dem Sattel zu reißen.

Das Pferd, das eine solch rüde Behandlung nicht gewohnt war, sprang mit den Vorderfüßen in die Höhe, schüttelte die Angreifer ab und galoppierte auf dem Waldweg davon. Sein Hufschlag verklang in der Ferne.

Einer der Männer war anscheinend von den Hufen getroffen worden. Mit einem Aufschrei war er zu Boden gestürzt. Die anderen sahen sich ratlos an. Ehe Henri die umgeschlagene Stimmung ausnutzen und die Bauern mit seiner Redekunst beruhigen konnte, geschah etwas Unvorhergesehenes. Eine Lanze schwirrte durch die Luft und traf den am Boden liegenden Angreifer in die Brust.

Blitzartig hatte Henri erkannt, dass Sean aus dem Hintergrund die Waffe geschleudert hatte. Gegen seinen Willen musste nun auch er gegen die Bauern vorgehen, die jetzt ihre Kampfbereitschaft wiedergefunden hatten. Er schwang sein Schwert und durchstach den Oberarm eines Angreifers, der schon den Knüppel geschwungen hatte. Mit der linken Hand warf er seine Lanze und verwundete einen anderen am Bein. Der Vierte blieb wie gelähmt stehen.

Henri steckte sein Schwert in die Scheide und verstaute seine Lanze hinter dem Sattelknauf. Seine Stimme klang versöhnlich. »Wir helfen euch, aus Zweigen eine Bahre zu flechten, damit ihr euren Gefährten zum Hospiz zurücktragen könnt«, bot er den Männern an. Bewusst hatte er sie nur leicht verwundet. »Aber lasst euch diesen Überfall als Lehre dienen und bedroht niemals wieder unschuldige Menschen, die euch nichts zuleide getan haben!«

Stumm und verunsichert nahmen die Bauern das Angebot an. Sie senkten ihre Köpfe und torkelten mit der schweren Last davon. »Ihr müsst sogleich wieder zur Beichte gehen!«, rief Sean ihnen höhnisch nach und hob seine Lanze vom Boden auf. Aber als er sich wieder aufgerichtet hatte, sah er Henri drohend mit ausgestreckter Handfläche über sich stehen. Noch nie hatte er seinen Herrn so zornig gesehen.

Offenbar konnte sich Henri nur mühsam beherrschen, seinen Knappen nicht zu schlagen. »Niemals mehr möchte ich erleben, dass du Bauern mit deiner Lanze verwundest, die nur mit Knüppeln bewaffnet am Boden liegen und nicht zum Kampf bereit sind!«, rief er mit ungewöhnlich lauter Stimme.

Sean duckte sich, weil er eine Ohrfeige befürchtete, brach in leises Weinen aus, das sich zu lautem Gebrüll steigerte. Er fühlte sich unschuldig und hatte gar ein Lob erwartet. »Aber du hattest mir doch befohlen, meine Lanze bereitzuhalten!«, rief er anklagend.

Längst hatte Henri seinen Jähzorn bereut. »Ja, bereithalten«, gab er zu, »aber nicht angreifen. Wenn hier einer das Signal zum unausweichlichen Kampf gibt, dann bin ich das. Diese Männer hätte man mit überzeugenden Worten zur Ruhe bringen können, ohne sie zu verwunden.«

Inzwischen war Joshua zurückgekehrt und sah schweigend von einem zum anderen. Er wusste nicht, was vorgefallen war, aber er beobachtete, wie sich der Junge die Tränen aus dem Gesicht wischte, und ahnte, dass er selbst einen Grund zu der Auseinandersetzung gegeben haben könnte. Er fühlte sich unbehaglich. »Meinst du nicht«, wandte er sich leise an Henri, »dass wir dem Jungen erzählen müssten, wie wir beide uns kennen gelernt haben? Vielleicht sollten wir ihm auch erklären, was Thora und Talmud bedeuten, und von den Gräueln der Judenvertreibung berichten.«