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Henri ging voraus zum Stall. Die Tür stand weit offen, und lautes Gelächter tönte ihm entgegen. Die beiden Kinder bewarfen sich mit Heu, rangelten im Scherz miteinander und kugelten sich auf dem Boden herum. Sie erprobten ihre Kräfte. Aber das Mädchen, das an harte Arbeit gewöhnt war, erwies sich als die Stärkere. Schließlich saß sie rittlings auf dem Jungen und hinderte ihn daran, sich unter ihr wegzudrehen. Henri kam der Gedanke, dass dieses Mädchen doch nicht so unerfahren war, wie er zunächst angenommen hatte. Vielleicht aber fühlte sich Sean unter dieser Last durchaus wohl. War dies hier nun ein Kinderspiel oder nicht? Henri blieb in der geöffneten Stalltür stehen und konnte sich nicht entschließen, dem fröhlichen Kampf ein Ende zu bereiten. Wie lange hatte er Sean nicht mehr lachen hören! Auch seine lustigen Lieder waren verstummt. Sean war kein Templerjunge. Er durfte ihm nicht mehr mit so viel Strenge begegnen.

Als er jetzt rief, klang seine Stimme leise und sanft.

»Es tut mir Leid, dass du Abschied nehmen musst. Aber unser Vorhaben zwingt uns, jetzt weiterzureiten.«

Das Gelächter nahm ein jähes Ende. Die beiden sprangen auf und säuberten sich gegenseitig von dem Heu, mit dem sie sich beworfen hatten. Henri sah zum ersten Mal, dass der Junge sehr zarte Hände hatte. Er drehte sich um, weil er nicht Zeuge des Abschieds der beiden sein wollte.

Sean nahm sein Pferd in Empfang, das Joshua schon gesattelt hatte. Sein Gesicht wirkte verschlossen. Wortlos schwang er sich in den Sattel.

Am frühen Nachmittag erreichten sie eine Wiese, auf der die ersten Märzenbecher blühten. Die Sonne stand noch im Süden, und nur wenige weiße Wölkchen segelten durch das strahlende Blau des Himmels. Am Waldrand lagen einige trockene Baumstämme, die zum Sitzen einluden.

Henri ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Wir wollen hier eine kurze Rast einlegen«, schlug er vor und wandte sich an Sean. »Ich habe dich lange nicht mehr singen hören. Kennst du nicht ein lustiges Frühlingslied?«

Sean blieb stehen. »Mir ist nicht nach Singen zumute«, gab er unwillig Auskunft.

»Komm, setz dich zu mir!«, sagte Henri freundlich und rückte beiseite. »Ich möchte etwas mit dir bereden.«

»Na gut, ich höre zu«, erwiderte Sean, ohne auf die Freundlichkeit einzugehen.

Henri gab sich Mühe, die schlechte Laune des Jungen zu übersehen. Er entwickelte seinen Plan. »Warst du in Bordeaux, als die Großmeister des Templerordens auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden?« Als Sean stumm nickte, fuhr er fort. »Ich habe damals geschworen, das schreckliche Ende meiner Ordensbrüder zu rächen. Sie haben im Todeskampf den König verflucht, und ich bin entschlossen, diesen Fluch zu erfüllen.«

Sean vergaß seinen Missmut. Seine soeben noch trüben Augen begannen zu glitzern. »Wie willst du das anstellen?«

Henri war froh, dass der Junge seine Teilnahmslosigkeit abgelegt hatte. »Wir sind auf dem Weg nach Paris zum Schloss des Königs und müssen versuchen, dort einzudringen. Denn ich werde König Philipp töten. Er trägt die Schuld am Tod meiner Brüder.«

Sean riss die Augen auf. »Den König willst du töten?«

»Ja, aber das wird ein schwieriges und gefährliches Unterfangen. Willst du mir helfen? Auf Joshua ist nicht immer Verlass. Das müssen wir ihm verzeihen. Denn den Juden ist es verboten, am Sabbat zu kämpfen.«

Völlig unerwartet fiel Sean seinem Herrn um den Hals. »Ich werde immer an deiner Seite kämpfen.«

Henri zog ihn an sich. »Ich verspreche dir, dass wir nach unserem gefährlichen Vorhaben nach Beaumont zurückkehren werden, damit du deine Heimat und deine Mutter wieder sehen kannst. Du kannst dich dann dort entscheiden, ob du mich weiter begleiten willst. Denn ich werde mich auf eine lange, weite Reise begeben, vielleicht sogar bis nach Jerusalem. Du musst dich nicht jetzt schon entscheiden.«

Sie blieben noch eine Weile nebeneinander sitzen, blinzelten in die Sonne, und Sean begann leise, ein Loblied auf die Freuden des Frühlings zu singen.

Auch in Fontainebleau zeigte sich an den Bäumen ein erster Hauch von Grün. Am Waldrand breiteten sich Krokusse und Schneeglöckchen aus. Um die vorjährigen Nistplätze stritten sich mit lautem Gezwitscher die zurückgekehrten Zugvögel.

König Philipp hatte für diese Frühjahrsfreuden weder Augen noch Ohren. Er fürchtete sich vor der Rache der Templer, die sich vielleicht noch irgendwo versteckt hielten. Als der Diener einen ungebetenen Besucher gemeldet hatte, war er fast in Panik geraten. Wer vermutete ihn in der Einsamkeit seines Jagdschlosses statt in seinem Pariser Palais? Hatte er einen Fehler begangen, das Ratskollegium hierhin zu beordern? Gab es unter den Vasallen, den Rittern, Herzögen und Grafen vielleicht Verräter? War vielleicht sogar ein Assassine vorgedrungen, einer dieser Meuchelmörder, die auch vor dem eigenen Tod nicht zurückschreckten? Er war sehr froh, dass sich sein Kanzler Nogaret so mutig gezeigt hatte und mit gezogenem Schwert dem Besucher auf der Freitreppe entgegengetreten war.

Nogaret war nach wenigen Minuten empört zurückgekehrt. Das Schwert steckte wieder in der Scheide. »Diese Bauern werden immer unverschämter. Ein Kerl, der es wagt, ungerufen und in dreckige Lumpen gekleidet, in Eurem Jagdschloss zu erscheinen, verlangt Euch zu sprechen. Ich habe ihn erst einmal in einen leer stehenden Hundezwinger sperren lassen.«

»Warum habt Ihr ihn nicht zu den Wolfshunden gesperrt?«, mischte sich einer der Lehnsherren ein. »Die hätten ihm schnell den Garaus gemacht.«

Nogaret bedachte ihn mit einem bitterbösen Blick. »Dazu wird später immer noch Zeit sein. Vielleicht hat der Mann irgendetwas Wichtiges zu melden. Ich werde ihn von den Knechten säubern lassen, damit der Gestank nach Dung und Pferdekot erträglich wird. Danach werden wir ihn im Geräteschuppen verhören.«

Philipp nickte zufrieden. »Übernimm das, Nogaret! Ich vertraue Eurer Erfahrung.«

Der Kanzler verbeugte sich. »Es scheint mir ratsam, wenn das Kollegium vorläufig noch versammelt bleibt. Denn es ist durchaus möglich, dass der Kerl uns glaubwürdige Nachrichten übermitteln wird.«

Kurz darauf ertönten draußen die barsche Stimme Nogarets und das Wimmern eines Fremden. Die Tür flog auf, und der Kanzler warf eine armselige Gestalt dem König zu Füßen. »Berichte, was du zu sagen hast. Wenn deine Nachricht wichtig und wahr ist, kannst du mit einer Belohnung rechnen. Wenn du lügst, wirst du diesen Herren hier auf einer Treibjagd als Wild dienen und den Tod mit dem Hirschfänger finden.«

Der Bauer zitterte so sehr, dass seine Worte zunächst nicht zu verstehen waren. Nogaret wandte sich an einen der Gutsherren, der für seine Brutalität gegenüber Hörigen und Knechten bekannt war. »Gib ihm ein paar kräftige Schläge mit deiner Peitsche!« Noch niemals hatte der Kanzler persönlich einen Schlag ausgeteilt.

Der Bauer erhob flehend seine Hände. »Schlagt mich nicht! Ihr werdet mit mir zufrieden sein.«

»Das wollen wir hoffen«, sagte der Gutsherr, der seinen Ochsenziemer schon ergriffen hatte.

Die Angst verlieh dem Bauern seine Stimme. »Ich war auf dem Rossmarkt in Bordeaux, und dort habe ich den berühmten schottischen Templer Henri de Roslin gesehen. Jeder von uns weiß doch, dass er den Templerschatz in Sicherheit gebracht und versteckt hat.«

Philipps Interesse war geweckt. »Bist du sicher, dass es sich bei dieser Person um Henri de Roslin handelte?«

»Ja, er stand nahe vor mir und erkundigte sich nach einem Ross. Ich habe ihn dann heimlich verfolgt. Er traf sich mit diesem schottischen Burschen aus der Bastide Beaumont, wo der Junge mit seiner Mutter wohnt. Dieser kleine Nichtsnutz strolcht den ganzen Tag in Bordeaux herum. Aber nach dem Treffen mit dem Templer ritt er mit ihm auf dessen Pferd nach Beaumont. Einer der Knechte von dort erzählte mir, dass der Templer sogar von der Mutter des Jungen empfangen wurde. Der Vater ist auf einem Kreuzzug im Heiligen Land ermordet worden.«