Выбрать главу

»Man kann also davon ausgehen, dass der Templer sich noch in der Nähe von Bordeaux aufhält«, äußerte der König seine Vermutung.

Nogaret stimmte ihm zu. »Aber vielleicht sollte man vorläufig noch die erbärmliche Kreatur hier in den Hundekäfig sperren, bis unsere Kundschafter herausgefunden haben, ob diese Geschichte auf Wahrheit beruht.«

Der König wandte sich an das Ratskollegium. »Wer von Euch Ländereien und Lehensgüter im Umkreis von Bordeaux besitzt, stelle Nachforschungen an! Ich erwarte baldige Ergebnisse.« Philipp erhob sich und winkte herrisch mit den Händen. »Für heute seid Ihr entlassen.«

Der Saal leerte sich. Nogaret und der Kämmerer blieben als die engsten Vertrauten des Königs rechts und links neben dem Herrscher stehen. Der Bauer blieb immer noch auf dem Boden knien.

»Du sollst deine Belohnung haben«, sagte Philipp. Er wandte sich an seinen Kämmerer. »Bringt mir aus der Schatzkammer fünf Goldmünzen! Und ruft mir meinen Leibjäger, der diesen Bauern hier durch den Wald bis zur Grundstücksgrenze bringen soll, damit der Fremdling den Weg nicht verfehlt.«

Der Kämmerer kehrte nach einer geraumen Weile zurück und zählte dem Bauern die Goldmünzen in die Hand. Den Leibjäger hatte er gleich mitgebracht.

»Du darfst dich erheben und heimwärts wandern. Mein Leibjäger wird dich ein Stück des Wegs begleiten.«

Der Bauer erhob sich schwankend und dankte dem König für seine unermessliche Güte, während Nogaret den Jäger beiseite gezogen hatte und ihm einige Worte zuflüsterte.

Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, wandte sich der Kanzler an Philipp. »Es ist doch wohl in Eurem Sinne, mein König, wenn ich den armseligen Lumpenbauern nicht mit den wertvollen Münzen davonkommen lasse. Ich habe Anweisung gegeben, dass der Jäger ihm die Kehle durchschneidet und das Geld dem Kämmerer zurückbringt.«

»Aber natürlich«, stimmte Philipp zu. »Ich hatte niemals vor, ihn lebend entkommen zu lassen. Ich verabscheue Verräter.«

»Wenn es Euch recht ist, mein König, werde ich dem Jäger für die reibungslose Befolgung des Befehls und für die Arbeit des Eingrabens eine Goldmünze geben.«

»Das ist klug gedacht«, erwiderte Philipp. »So können wir gewiss sein, dass unser Leibjäger Stillschweigen bewahrt.«

Der Jurist Nogaret schüttelte den Kopf. »Eine Silbermünze genügt auch. Denn sollte der Jäger die Dummheit begehen, in der Gesindestube über diesen Auftrag zu schwatzen, werde ich ihn sogleich des Mordes anklagen. Natürlich hat niemand von uns ihm befohlen, dem Bauern die Kehle durchzuschneiden.«

Der Kämmerer nickte. »Selbstverständlich hat er in diesem Fall auch niemals die Goldmünzen zurückgebracht.«

»Das dürfte schon genügen, um ihn am Galgen baumeln zu lassen«, stellte Nogaret fest.

Alle drei lachten. 

11

Henri wäre gern auf den Baumstämmen am Waldrand sitzen geblieben und hätte Seans Gesang zugehört. Er erinnerte sich an die Zeit, als er selbst noch Knappe war. In friedlichen Stunden, wenn es die Kämpfe zuließen, hatten auch die Kreuzfahrer gesungen. Wehmütige Lieder waren das zumeist, die vom Konflikt zwischen Minne und Kreuzzugsforderung handelten. Henri hatte nicht den Gesang eines jungen Mannes vergessen, der wenige Tage später von einem Fieber dahingerafft wurde. Einige Zeilen hatten sich ihm eingeprägt: »Unter der Linden an der Heide, da unser zweier Bette war…«

Aber nach all den Jahren wusste er nicht mehr, wie es weiterging. Nur dass von gebrochenen Blumen, niedergedrücktem Gras und dem Gesang der Nachtigall die Rede war, daran erinnerte er sich noch.

Henri kannte den Dichter nicht, aber er hatte aus Büchern erfahren, dass einige Verfasser dieser Gedichte, die von Liebe in Zeiten des hehren Kreuzzuges handelten, selber an Zügen ins Heilige Land teilgenommen hatten. Einige waren mit Friedrich Barbarossa übers Meer gen Jerusalem gekommen. Darum fühlte sich Henri von ihren Liedern immer wieder ergriffen. Leise sang er vor sich hin: »Dem Kreuz gebühret edler Sinn…«

»Du kannst ja auch singen«, sagte Sean und sah ihn von der Seite an.

Henri ließ seinen Hengst in einen langsamen Trab fallen. Er wollte nachdenken, wie es damals gewesen war, als er nach dem Verbot des Templerordens durch die Welt gereist war. Alles, was er während seines Rittes durch die Länder der Sarazenen erlebt hatte, war verschwommen wie in einem Nebel. Erst damals hatte er den Konflikt verstanden, von dem die Dichter jener Strophen sprachen. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen. Städte, Dörfer, Täler und Berge verschwammen zu einem bunten Bild. Er spürte, wie seine Gedanken abschweiften und seine Aufmerksamkeit nachließ.

Joshua schaute seinen Gefährten beunruhigt an. »Dort hinten am Horizont habe ich einige Reiter gesichtet. Es könnten französische Späher sein. Sollten wir uns nicht besser im Gebüsch verstecken, bis der Weg wieder frei ist?« Schon seit Tagen hatten sie bemerkt, dass immer mehr königliche Streifen unterwegs waren.

Henri fühlte sich beschämt, dass er sich in seinen Erinnerungen verfangen hatte. »Wir können nicht bis Paris allen Menschen aus dem Weg gehen. Es ist besser, wenn wir uns darin üben, christliche Pilger zu sein.«

Die Reiter kamen näher. »Gott zum Gruß!«, rief ihnen Henri entgegen, als sie in Hörweite waren. Sean stimmte sogar ein Marienlied an. Joshua verbarg das Gesicht unter seinem Hut. Die fremden Reiter ritten vorüber, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Sean fuhr fort, sein Lied zu singen, als die Reiter längst außer Hörweite waren. »Wie würde es uns ohne dich ergehen!«, rief Henri. Es klang scherzhaft, aber er meinte es ernst.

Erst als der Vollmond immer heller schien und die Schatten der drei Reiter sich scharf von dem baumlosen Weg abhoben, fanden sie eine leer stehende Scheune. »Es ist zu gefährlich, in dieser hellen Mondnacht weiterzureiten«, meinte Henri. »Wir wollen hier Rast machen und auch die Pferde mit nach drinnen nehmen.«

Aber kaum hatten sie es sich auf dem gestampften Lehmboden einigermaßen bequem gemacht, als Henri wieder von seinen Erinnerungen heimgesucht wurde. Wie ein Wunder erschien es ihm heute, dass er sich damals, vor sechs Jahren, in Sicherheit bringen konnte. Denn die im ganzen Königreich gut vorbereitete Polizeiaktion war ein voller Erfolg für Philipp gewesen.

Schon immer hatte er jedoch ein Gespür für herannahende Gefahren gehabt. Darum befand er sich, als die ersten Verhaftungen einsetzten, bereits auf dem Weg nach Süden. Eigentlich war die iberische Halbinsel sein Ziel, aber auch von dort kam die beunruhigende Nachricht, dass man sich den Wünschen des Königs von Frankreich nicht widersetzen könne. Er hatte auch daran gedacht, in Zypern Zuflucht zu suchen. Denn auf dieser Insel befand sich seit dem Jahre 1291 die Ordensleitung der Templer. Er erinnerte sich auch daran, dass während des Kampfes um Akkon venezianische Schiffe Proviant und Truppen von Zypern aus in den Orient verschifft hatten. Aber mit dem Templerorden wollte er jetzt lieber nicht in Verbindung gebracht werden.

So beschloss er, von dem französischen Hafen Toulon aus nach Iskanderija, dem Alexandria der alten Griechen in Ägypten, überzusetzen. Die Macht des französischen Königs reichte nicht bis dorthin. Außerdem würde ihn in dieser großen Stadt niemand als einen Templer verdächtigen, wenn er sich in arabische Kleidung hüllen würde. Ganz wohl war ihm nicht bei diesem Gedanken. Hatte er sich etwa, als er durch die fremden Länder ritt und deren Bräuche annahm, schon mit der äußeren Erscheinung auch von dem Gedankengut der Templer entfernt? Er wollte sich darüber Rechenschaft ablegen und musste mit jemandem reden, der vielleicht seine Befürchtungen nachvollziehen oder sogar zerstreuen konnte. Aber mit wem?

Joshua war fest in seinem jüdischen Glauben verwurzelt. Niemals würde er von den Gesetzen der Thora abweichen. Würde er es verstehen, dass ein Templer bereit sein könnte, um seiner Sicherheit willen die Gebote des Ordens zu übertreten? Aber waren nicht vielleicht auf dem Konzil von Vienne mit dem Orden auch dessen Gebote aufgehoben worden? Konnten diese Zweifel nicht etwa schon eine Sünde sein? Aber andererseits gehörten zu einem festen Glauben auch die Zweifel.