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»Na gut, du hast gewonnen«, gab Henri zu. »Auch Gelehrsamkeit kann lustig sein.«

Keiner der beiden Gefährten fragte Henri bei der abendlichen Rast, wann er Bagdad verlassen und wohin er sich dann gewandt habe. Henri war froh, dass er keine Auskünfte über die Zeit geben musste, die seinem Aufenthalt in Bagdad folgte. Die Erinnerung an die Zeit in Aleppo wollte er mit niemandem teilen. 

12

Bagdad ließ ihn nicht los. Er besuchte die Kaffeehäuser, weil er hoffte, dass ihm dort jemand Auskunft über die geheimnisvolle Münze geben könnte. Aber dort saßen zumeist ältere Männer mit abwesendem Gesichtsausdruck. Sie wandten ihm den Rücken zu und vermieden ein Gespräch.

Er schlenderte kreuz und quer durch die Hafenanlagen, wo Hunderte von Schiffsmasten wie ein Wald entlaubter Bäume in den Himmel ragten. Einmal zupfte ihn jemand an seinem Umhang. Ihm gegenüber stand ein gut gekleideter Araber, der wohl ein Kaufherr sein mochte.

»Gehörst du zu den Berbern? Dann schlage ich dir ein gut bezahltes Geschäft vor. Ich komme soeben mit meiner Ware aus Haleb, wo ich die berühmten Lederwaren und erlesene Teppiche eingekauft habe. Ich suche eine Karawane, die meine Waren sicher nach Damaskus bringt. Ihr Berber seid bekannt für eure Wüstendurchquerungen. Man sagt, ihr hättet sogar eure eigenen Handelsplätze.«

Henri zog seine Kapuze in die Stirn und zuckte bedauernd die Achseln. »Es tut mir Leid, aber ich habe schon eine andere Fracht übernommen.«

Eilends verließ er den Hafen. Die abgerissene Berberkleidung machte für das, was er vorhatte, einen denkbar schlechten Eindruck. Einmal hatten ihm Gassenjungen sogar einen Vers nachgerufen, der für Berber wenig schmeichelhaft war.

»Such nicht unter Beduinen deine Freunde,

was gibt’s da schon?

In Hunger leben sie, in Not.

Lass ihnen ihre Schüssel Milch, und lass sie ziehn!«

Trotz der nicht unfreundlichen letzten Worte warfen sie ihm den Kamelkot der Straße nach.

Henri hatte sich entschlossen, eine der Schulen zu besuchen, die für jedermann zugänglich waren. Im Souk erstand er saubere arabische Kleidung, für die er wahrscheinlich einen viel zu hohen Preis bezahlte. Aber er wollte keine Zeit mehr verlieren.

Schon am nächsten Tag saß er zwischen anderen wissbegierigen jungen Männern in der Schule. Ihm ging es darum, die arabische Sprache besser zu erlernen.

Bald merkte er, dass in dieser Schule nur ein Fach unterrichtet wurde: das Rezitieren und die Kenntnis des heiligen Buchs der Muselmanen, des Korans und seiner Geschichte. Darüber wollte er gerne etwas hören. Henri hatte nämlich über Muhammad bei den Templern viel Widersprüchliches, oft auch Schmähungen gehört. Aber seine Kenntnisse reichten vorläufig noch nicht aus, um alles zu verstehen, was der Lehrer sagte. Nur der Anfang der Suren war ihm bekannt: »Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers.« Er murmelte gemeinsam mit den anderen diese Einleitung.

Er hatte sich jetzt schon drei Wochen mit dem eifrigen Studium der arabischen Sprache und Schrift geplagt und fühlte, er sei so weit, dass er dem Unterricht zumindest teilweise folgen könne. Sein Tischnachbar schob ihm das Buch zu und deutete auf eine Stelle. »Diese Sure behandelt unser Lehrer. Er ist ein Imam. Alles, was er sagt, ist unanfechtbar. Hast du deinen Koran daheim vergessen?«

»Ja, leider«, erwiderte Henri einsilbig. Er wollte nicht, dass der junge Mann seine mangelhaften Sprachkenntnisse bemerkte. Aber der war offensichtlich aufmerksam geworden. Vielleicht hatte er auch die blonden Haare entdeckt. Denn er folgte ihm durch die Gassen bis zu der Herberge, in der Henri ein Unterkommen gefunden hatte. Eilig erklomm er die brüchigen Stiegen, die nach oben führten. Aber es dauerte nicht lange, bis jemand an seine dünnwandige Brettertür klopfte und eintrat, ehe er seine arabische Tracht anlegen konnte. Er hatte schon geahnt, wer ihm gegenüberstehen würde.

Der junge Mann, der in der Schule neben ihm gesessen hatte, betrachtete ihn ohne Überraschung von Kopf bis Fuß. »Du bist keiner von uns. Das habe ich gleich gemerkt. Mein Name ist Hischam. Wie heißt du, und woher kommst du?«

Henri zögerte. Er war ein Mann von schnellen Entschlüssen. Aber es widerstrebte ihm, diesen freundlichen Jungen zu belügen. Schließlich entschloss er sich zu einer Halbwahrheit. »Ich heiße Kamil und bin gerade mit einer Berberkarawane aus Damaskus angekommen.«

Hischam sah sich in der elenden Behausung um. »Dir scheint es nicht gut zu gehen. Für die Armen ist Bagdad ein Ort des Jammers. Sie fristen ihr Leben als Bettler, Diebe und käufliche Mörder. Du aber gehörst nicht zu diesem Abschaum der Menschheit. Das sieht man. Was also suchst du hier in dieser Stadt, in der nur der Reichtum zählt?«

Henri erkannte, dass Hischam weiter seine Fragen stellen und keine Ruhe geben würde, bevor er nicht eine befriedigende Antwort erhalten hätte. Er zog seinen Talisman am Lederriemen deutlich sichtbar hervor. »Diese Münze erhielt ich von einem Sarazenen, dem ich das Leben rettete, indem ich ihn unter den Trümmern einer berstenden Mauer hervorzog. Ich trage sie seitdem als Talisman, und sie schützte mich mehrmals vor einem gewaltsamen Tod.«

Hischam starrte auf die arabische Inschrift. »Das ist merkwürdig. Auch mein Vater besitzt eine solche Münze, die er vor neugierigen Blicken hütet. Wenn ich ihn jedoch nach ihrer Bedeutung frage, verbietet er mir den Mund und droht mir Schläge an, falls ich nicht schweige.«

Henri wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er fürchtete, dass er in dieser fremden Stadt in Schwierigkeiten geraten könnte.

Aber Hischam hatte einen Plan. »Du siehst aus, als ob du schon lange keine warme Mahlzeit zu dir genommen hättest. In unserem Haus wird die Gastlichkeit gepflegt. Komm mit mir! Vielleicht kann mein Vater dir weiterhelfen. Seit dem Mongoleneinfall hat sich zwar viel in Bagdad geändert. Aber mein Vater genießt als Gelehrter der Astronomie immer noch großes Ansehen.« Er ließ keine Widerrede zu und zog Henri mit sich.

Aber Henri äußerte immer noch Bedenken. »Wäre es nicht besser, vorher im Hammam ein Bad zu nehmen?«

Hischam ließ ihm jedoch nur Zeit, seine Kleider zu wechseln. Und Henri war froh, dass er im Souk saubere Beinkleider und einen langen Mantel erstanden hatte, die von den Arabern Sirwal und Burda genannt wurden.

Sie verließen die Elendsgebiete von Bagdad, streiften die Halbwüste am Stadtrand, wo die Nomaden hausten, und tauchten in die Welt der Reichen ein. Hinter hohen Mauern dehnten sich weite, palmenbestandene Grundstücke. Exotische Pflanzen in allen Farbtönen lugten über die Mauer. Als Hischam ein prächtiges Tor öffnete und Henri in einen Park schob, in dem aus einem Brunnen eine glitzernde Wasserfontäne sprühte, war Henri fast schon zur Umkehr entschlossen. Sicher würde dieser angesehene Gelehrte Verdacht schöpfen, ihn verhören, ins Verlies werfen oder gar foltern lassen, um die Wahrheit aus ihm herauszupressen.

Aber Henri hatte noch niemals einen Rückzug angetreten. Er war Philipps Schergen entkommen. Darum würde er auch hier einen Ausweg finden. Obwohl er nicht abergläubisch war, weder an Hexen noch an Zauberer glaubte, umklammerte er seinen Talisman.

An der Eingangspforte stand ein Türwächter. Er trug Pluderhosen aus blauseidenem Damast und einen weißen Turban. Offensichtlich war er sich seiner Würde bewusst. Mit gravitätischen Schritten führte er die Ankömmlinge über einen persischen Teppich in das Innere des Palastes. Ein breiter Gang tat sich auf. Rechts und links standen entlang der Mauer bewaffnete Wachen mit grimmigen Gesichtern. Henri wurde immer beklommener zumute. Vielleicht war der Gelehrte ein Geheimnisträger, und seine astronomischen Kenntnisse dienten sogar Kriegsvorbereitungen, die streng gehütet werden mussten.

Als sie schließlich den Empfangssaal erreicht hatten, blieb Henri stehen. Ein prunkvoll gekleideter Würdenträger stand am Ende des Saales und sah ihnen entgegen. Henri konnte sich nicht vorstellen, dass Hischam so zeremoniell von seinem Vater empfangen wurde. Er war erleichtert, dass es sich bei diesem allzu neugierig blickenden Mann nur um einen hochgestellten Wächter handelte, der den Raum schnell verließ.