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Henri war froh, dass ihm zunächst ein Besuch in der Moschee erspart blieb. Er folgte den festen Schritten seines Führers durch mehrere Gewölbe, in denen Fackeln brannten. Am Ende eines langen Ganges weiteten sich die Mauern und mündeten in einen großen Raum. Ein Holzkohlebecken verströmte milde Wärme. Winzige Luken ließen ein wenig Tageslicht herein und bewirkten eine diffuse Beleuchtung.

Neben dem Kohlebecken stand al-Mahdi, der Kommandant der Festung. Er rieb sich die weißen Hände, die von blauen Adern durchzogen waren. Sein Alter war schwer zu schätzen. Aber wenn man ihm das Kommando über die Festung anvertraut hatte, musste er sich erhebliche Verdienste erworben haben. Er wandte sich seinem Gast zu, und Henri fiel das auffällige Leuchten seiner Augen auf. War er vielleicht auch ein Imam, ein religiöser, politischer, aber auch militärischer Führer, zu dessen Amt die Verteidigung gegen äußere Feinde gehörte? Henri wusste, dass ein Imam außerdem den Vollzug der Strafen überwachen musste. Er senkte vor diesen Augen den Blick und konnte sich nicht gegen das Gefühl wehren, dass er diesen Mann niemals zum Feind haben wollte.

Der Festungskommandant hatte Henris Gruß mit leiser Stimme erwidert. Er nahm das Schreiben nur zögernd entgegen. Henri konnte aufgrund seines Alters nicht zu den ehemaligen Assassinen gehören. Das war kaum zu übersehen. Damit galt er bei al-Mahdi als verdächtig. Er löste das Siegel und las sorgfältig Zeile für Zeile von dem, was der Gelehrte aus Bagdad ihm mitteilte. Seine Miene hellte sich auf. Er legte Henri sogar eine seiner blassen Hände auf die Schulter. »Die Empfehlung meines Freundes, des gelehrtesten Astronomen von Bagdad, genügt mir, um Euch in allem behilflich zu sein. Ich entnehme der Nachricht, dass Ihr auf der Suche nach Umar ibn al-Mustansir seid, um Euch für eine syrische Münze zu bedanken. Dieser Wunsch ehrt Euch.«

Henri hielt es für angebracht, sich zu verneigen, und beobachtete, dass er sich mit dieser höflichen Geste das Wohlwollen al-Mahdis erworben hatte.

»Ich lasse Euch für diese Nacht ein Lager in den Räumen der Festung zuweisen«, sagte der Kommandant, so freundlich es ihm möglich war. Dieses Angebot bedeutete offensichtlich eine ungeheure Ehre. »Morgen gebe ich Euch einen meiner treuesten Krieger mit auf den Weg. Umar ibn al-Mustansir besitzt ein Anwesen am südlichen Ortsrand von Haleb. Er wird Euch mit Freuden willkommen heißen.«

Henri musste sich beherrschen, um sich seine Freude nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Ihm schien eine würdige Danksagung angebracht. Denn er wollte nicht als servile Kreatur, sondern als achtbarer Gast behandelt werden. Al-Mahdi gab dem Reiter, der dieser Zeremonie stumm beigewohnt hatte, einen herrischen Wink. Die Unterredung war beendet.

Die kleine Kammer in der Festung war bei weitem angenehmer als die Ruine, in der er notgedrungen genächtigt hatte. Das Stroh war trocken, und durch die Luke ließ sich ein blutroter Sonnenuntergang beobachten. Man teilte ihm mit, dass sein Pferd gut versorgt sei. Aber man forderte ihn nicht auf, an der gemeinsamen Mahlzeit teilzunehmen. Er gehörte eben doch nicht zur Bruderschaft der ehemaligen Assassinen, obwohl er im Besitz der syrischen Münze war. Aber ein Krieger brachte ihm nach Sonnenuntergang einen halben Laib Brot, eine Schüssel mit gestockter Milch, ein paar Datteln und einen kleinen Becher mit Wasser, das ihm ziemlich trübe erschien.

Henri blieb zunächst schlaflos. Zwar dachte er nicht an Gefahr, denn er fühlte sich sicher, da er die Probe vor al-Mahdi bestanden hatte und als Gast aufgenommen worden war. Aber als er den Ruf des Muezzins zum Abendgebet hörte, wusste er, was ihn wach hielt. Wie lange schon hatte er sich nicht mehr als Christ zu erkennen gegeben und zu Jesus Christus und zur Jungfrau Maria beten können. Er faltete die Hände und dankte inbrünstig dafür, dass sie ihn während dieser langen und gefahrvollen Reise behütet hatten.

Erst jetzt fiel er in einen traumlosen Schlaf.

Es war noch dunkel, als der Muezzin zum Gebet rief. Machte er sich verdächtig, wenn er abermals dem Gebet fernblieb? In Bagdad hatte er oft den morgendlichen Gebetsruf gehört. »Assalat hair min annaum – Das Gebet ist verdienstvoller als der Schlaf.« Wenn er diesen Ruf erneut ignorierte, könnte ihm das vielleicht Schwierigkeiten einbringen.

Aber als er in den Hof trat, wartete dort schon einer der Reiter mit dem gesattelten Pferd und gab das Zeichen zum Aufbruch. Der Festungskommandant ließ sich nicht sehen, um seinen Gast zu verabschieden. Henri kam der Gedanke, dass er vielleicht einen Boten zu Umar geschickt hatte, um die Ankunft des Fremdlings zu melden. Mit Sicherheit hatte er bei dieser Gelegenheit die Wahrheit über die Begegnung in Akkon erfahren. Wenn das zutraf, durfte er seinen Aufenthalt in Aleppo nicht allzu lange ausdehnen. Jeder im Ort würde bald wissen, dass sich im Dorf ein Tempelritter aufhielt.

Sie führten ihre Pferde am kurzen Zügel und gingen vorsichtig Schritt für Schritt den Festungsberg hinab. Henri war froh, dass sein Begleiter die Führung übernommen hatte – denn diesem wäre es ein Leichtes gewesen, ihn mit einem kräftigen Stoß über die Felsen abwärts zu befördern. Er schaute sich ab und zu um, ob ihnen auch niemand folgte. Vielleicht war er auch allzu misstrauisch. Denn der Pfad hinter ihnen blieb leer.

Sie durchquerten das Dorf, das um die Gebetszeit wie ausgestorben dalag. Nur einige Hähne krähten, und wenn sie an den Häusern vorbeiritten, erhoben die Hunde ein wütendes Gebell.

In der Karawanserei herrschte schon reges Treiben. Die Kamele wurden mit Stöcken zum Aufstehen angetrieben und mit Lasten beladen. Henri hatte auf seiner Karte festgestellt, dass man von Rakka aus den Tigris erreichen konnte, wenn man die Dschezira-Wüste durchquerte. Er hatte inzwischen Erfahrungen gesammelt. Darum würde er nicht davor zurückschrecken, sich einer Beduinengruppe anzuschließen, wenn es hier für ihn zu gefährlich würde.

Hinter dem Ort dehnten sich Gemüsefelder und Obstplantagen. Im Schatten einiger Aprikosenbäume erstreckte sich ein lang gezogenes Gebäude, das aus schwarzem Tuffstein erbaut war. Ein Springbrunnen sprudelte auf einer Plattform vor dem Haus. Umar schien reich zu sein. Sicher musste gutes Wasser von weit her geholt werden. Denn das Quellwasser, das man ihm in der Festung gebracht hatte, war stark salzhaltig gewesen.

Sein Begleiter ließ sich vor dem Gebäude aus dem Sattel gleiten. Er formte die Hände zu einem Trichter und rief ein lautes »Ahlan wa sachlan«, den arabischen Willkommensgruß. Auch Henri war vom Pferd gestiegen, hielt sich aber bereit, um sich ohne Verzögerung in den Sattel schwingen zu können, falls er in einen Hinterhalt geraten sein sollte. 

14

Ein Mann in einer reich bestickten Burda trat aus dem Haus. War das Umar? Über seine Wange lief eine tiefrote Narbe, die ihn entstellte. Aber als er jetzt mit kehliger Stimme einen Willkommensgruß sprach und beide Arme ausbreitete, erkannte Henri ihn wieder.

Seine Augen leuchteten, sodass man die Narbe nicht mehr wahrnahm. »Seid mir gegrüßt, mein Freund. Allah hat Euch bis hierher geführt, damit wir ein freudiges Wiedersehen feiern können. Wie ist es Euch gelungen, der Hölle von Akkon zu entkommen?«

Henri ließ sich umarmen. »Von Zypern kamen Schiffe. Ich fand als einer der Letzten einen Platz an Bord. Aber von mir ist nichts Gutes zu berichten. Ich befinde mich auf der Flucht. Denn unser Orden wurde aufgelöst.«

Umar schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihr wart sehr tapfer. Das hat man Euch schlecht gelohnt. Aber lassen wir die alten Geschichten! Ihr sollt heute meinen Sohn kennen lernen, dem ich viel von Eurer großmütigen Tat erzählt habe.« Er zog Henri in das Haus.

Die Wände des Empfangssaals waren mit Blumenornamenten geschmückt, sodass der Raum wie ein Garten wirkte. Statt der Verästelungen dieser Pflanzen waren steinerne Spruchbänder zur Lobpreisung Allahs eingemeißelt. »Nehmt Platz«, forderte Umar seinen Gast auf und deutete auf bunte seidene Kissen. »Ihr seid sicher erschöpft von dem langen Ritt. Die Frauen werden Euch eine Erfrischung bringen.«