Ein Vorhang aus Damast wurde beiseite geschoben, und eine verschleierte Frau betrat mit einem Glas Fruchtsaft den Raum und murmelte einen leisen Gruß. Umar nahm das Glas entgegen und reichte es Henri. »Das ist Zakiyya, meine Frau. Sie wird Euch ewig dankbar sein. Denn sie hatte schon die Hoffnung aufgegeben, mich jemals wieder zu sehen.« Er sprach einige Worte zu seiner Frau. Da er sehr schnell und zudem in einem fremden Dialekt gesprochen hatte, verstand Henri ihn nicht. Aber Zakiyya kniete sich vor Henri nieder und küsste ihm die Hände.
»Ich möchte auch, dass Ihr meine Tochter kennen lernt«, sagte Umar. »Sie ist mein kostbarster Schatz.«
Wieder wurde der Vorhang beiseite geschoben. Eine zierliche Gestalt näherte sich mit kleinen graziösen Schritten dem Vater. Sie trug ein hellblaues Kleid, das sie beim Gehen ein wenig angehoben hatte, sodass ihre schmalen Fesseln in den goldenen Pantöffelchen hervorschauten.
»Leila, meine kleine Taube«, sagte Umar zärtlich und fasste seine Tochter an der Hand. »Hier siehst du den tapferen Kämpfer, der deinen Vater gerettet hat. Statte ihm deinen Dank ab!«
Henri wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, als das Mädchen vor ihm niederkniete. Sie schaute zu ihm auf, sodass er durch den dünnen Schleier ihre dunklen Augen, die leicht gerundeten Wangen und die sanft geschwungenen Lippen erkennen konnte. So sahen die Marienbilder in den christlichen Kirchen aus. Er wollte nicht, dass dieses wunderschöne Wesen vor ihm niederkniete. Hilfe suchend warf er einen Blick zu Umar. Aber der verstand seine stumme Bitte nicht. Frauen hatten den Männern zu dienen. So war es nun einmal.
Draußen war der Hufschlag eines Pferdes zu hören. Ein junger Mann stürmte herein. Sein Gesicht war vom schnellen Ritt gerötet, seine schwarzen Haare zerzaust. Umar betrachtete unwillig seinen Sohn. »Hast du dein Pferd wieder allzu sehr angetrieben, Uthman? Gehe nach draußen und reibe deine edle Araberstute gründlich ab! Aber vorher begrüße unseren Gast! Endlich hat Henri zu uns gefunden, der mir damals in Akkon das Leben gerettet hat.«
Uthman umarmte Henri und küsste ihn auf beide Wangen. »Ihr müsst ein sehr tapferer Krieger sein, wenn Ihr der Hölle von Akkon unverletzt entkommen seid. Wir sind Euch ewige Dankbarkeit schuldig, und ich werde Euch das niemals vergessen, dass Ihr uns das Leben unseres Vaters geschenkt habt!«
Ebenso schnell, wie er hereingestürzt war, begab er sich wieder nach draußen, um den Befehl des Vaters zu befolgen.
Umar seufzte. »Der Junge ist mir gar zu wild. Sein Interesse gilt nur Pferden und schönen Mädchen. Auch sitzt ihm der Dolch allzu locker im Gürtel. Schon mehrmals war er in Händel verstrickt. Ich habe mich entschlossen, ihn nach Cordoba zu schicken, wo er sich den Studien widmen soll.«
Henri hatte Bedenken, ob es dieser ungebärdige junge Mann sehr lange bei den Büchern aushalten würde. Aber er schwieg.
Das abendliche Mahl verlief in heiterer Stimmung. Nur die drei Männer hatten an der Tafel Platz genommen. Anscheinend nahmen die Frauen ihre Mahlzeit in der Küche ein. Henri dachte an Paris, wo die edlen Damen an allen festlichen Mahlzeiten teilnahmen. Dagegen schickte man hier ein so zartes Wesen wie Leila in die Küche, wo sie heißen Dämpfen und spritzendem Fett ausgesetzt war. Eine solche Behandlung empfand er geradezu als unbarmherzig. Aber er verzieh seinem Gastgeber diese Handlungsweise, als er seine Tochter rufen ließ. »Leila hat eine sehr schöne Stimme. Ich habe ihr ein Tamburello mitgebracht.« Er wandte sich dem Mädchen zu: »Ich wünsche, dass du unserem Gast eine Probe deines Könnens gibst.«
Umar hatte nicht zu viel versprochen. Das Mädchen ergriff das Tamburello, das bei jeder ihrer langsamen Bewegungen leise klingelte. Ihre Stimme erschien Henri so überirdisch, dass er die Augen schloss und sich in die Kissen zurücklehnte. Wie herrlich müsste es sein, wenn Leila in einer christlichen Kirche ein Lied zum Lobe unseres Herrn Jesus Christus singen würde!
Umar war die Rührung seines Gastes nicht entgangen. Sie kam ihm unpassend vor. Darum setzte er sich aufrecht hin, schickte seine Tochter nach draußen und wandte sich Henri zu. »Ich werde Leila in Kürze verheiraten. Ihr künftiger Mann ist der Eigentümer der Karawanserei, der mir für Leila eine stattliche Anzahl Kamele zahlen wird. Seine erste Frau ist zwar tüchtig, aber unfruchtbar. Leila ist jung. Sie wird al-Kadir viele Söhne gebären.«
Henri fühlte sich, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Wie konnte Umar dieses madonnengleiche Kind als zweite Frau in eine Karawanserei verheiraten? Henri wusste aus Erfahrung nur allzu gut, dass dort grobe Kerle ein- und ausgingen. Er konnte die orientalischen Sitten nicht gutheißen. Noch aber hatte er die Hoffnung, dass al-Kadir dieses Mädchen wie einen Schatz hegen und pflegen würde. Ob Umar ahnte, wie sehr sein Gast Leila verehrte? Wenn ja, dann ließ er es sich nicht anmerken. Als ob er eine Belanglosigkeit erwähnen würde, teilte er seinem Gast mit, dass er für den nächsten Tag al-Kadir zur Abendmahlzeit eingeladen habe. »Leila soll mit ihrer Kochkunst glänzen. Al-Kadir, als ihr künftiger Gatte, wünscht nicht, dass meine Tochter vor fremden Gästen das Tamburello spielt und dazu singt.« Er beobachtete, dass Henri eine mehr traurige als empörte Entgegnung unterdrückte, und betonte, dass nicht einmal er es sich leisten könne, einen so mächtigen Mann wie den Eigentümer der Karawanserei zu verärgern.
Als al-Kadir am nächsten Tag nach Sonnenuntergang eintraf, gingen die drei Männer nach draußen, um den wichtigen Gast zu begrüßen. Was Henri dort erlebte, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Ein unförmig beleibter Mann ließ sich schnaufend aus dem Sattel helfen. Der Knecht gab sich alle Mühe, um seinen Herrn vorsichtig herabzuheben. Aber er rief trotzdem den Unwillen seines Herrn hervor und empfing einen Peitschenschlag quer über seinen Rücken. Der Geschlagene gab keinen Ton von sich. Er war diese Behandlung wohl gewöhnt.
Al-Kadir watschelte auf Umar zu und umarmte ihn, soweit dies sein vorgewölbter Bauch zuließ. Auch Uthman wurde auf diese Weise begrüßt. Als die Reihe an Henri war, trat dieser einen Schritt zurück. Ihn ekelte vor diesem Menschen, der bald die kleine Madonna in seiner Gewalt haben sollte.
Umar hatte die abwehrende Haltung erkannt und beeilte sich, dem allmächtigen Eigentümer der Karawanserei die andersartigen Sitten seines Lebensretters zu erklären. Al-Kadir verzog sein Gesicht. »Hoffentlich hat meine zukünftige Frau uns ein gutes Mahl zubereitet. Was die Kochkunst betrifft, habe ich an meiner ersten Frau nichts auszusetzen.« Er lachte meckernd.
Henri spürte ein Würgen im Hals. Er konnte fast keinen Bissen hinunterbringen. Aber er zwang sich zum Essen, um Leila einen Tadel zu ersparen.
»Nicht schlecht«, sagte al-Kadir schmatzend. »Leila ist ja noch jung. Was jetzt noch fehlt, wird meine erste Frau ihr schon beibringen. Sie weiß den Kochlöffel trefflich zu schwingen. So manche Magd könnte die Spuren auf ihrem Rücken vorweisen.«
Henri musste sich so sehr beherrschen, dass er sich beinahe verschluckt hätte. Ich werde ihn umbringen, dachte er. Aber die anderen lachten.
Al-Kadir riss das weitere Gespräch an sich. »Ich habe übrigens einen Geschichtenerzähler bestellt, der in der Karawanserei großen Anklang gefunden hat. Er wird uns trefflich unterhalten und kann es mit dem Gesang deiner Tochter leicht aufnehmen. Damit muss in der Karawanserei sowieso Schluss sein. Ich werde meine Frau vor den lüsternen Blicken der Kameltreiber zu schützen wissen. Der Prophet hat uns Männern geraten, unfolgsame Frauen mit Schlägen zu zähmen. Auch Ihr, Umar, habt Euch bei Eurer Frau daran gehalten. Oder irre ich mich da?«
Umar wich Henris Blicken aus. Er war froh, dass einer der Knechte die Ankunft des Geschichtenerzählers meldete. Ein älterer Mann mit schlohweißem Bart betrat den Raum. Unter dem Arm trug er ein ledernes Kissen, das er jetzt am Boden ausbreitete. »Zeig deine Kunst«, rief al-Kadir. »In unserer Mitte weilt ein Gast aus dem Okzident. Er wird unsere Lebensweise anerkennen und bewundern.«