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Hatte er nicht Recht, dieser übermütige Uthman, der seinem Vater so viel Sorgen bereitete? Zu Unrecht, wie Henri fand.

Uthman hatte vorgeschlagen, dass sie im ersten Gasthof einkehren sollten. Denn dort seien für gewöhnlich die Seeleute anzutreffen. Henri hätte lieber den Hafen aufgesucht, um nach dem Segler zu fahnden, dessen Namen Umar mit »Sununu«, Schwalbe, angegeben hatte. Aber er wollte nicht wie ein Aufpasser wirken.

In der düsteren Schankstube ging es wild zu. Henri hatte den Verdacht, dass hier Alkohol getrunken wurde. Aber wer konnte schon sagen, wem von diesen grölenden Männern durch muslimische Gesetze der Alkohol verboten war? Am lautesten gebärdete sich ein vierschrötiger Seemann mit einem zottigen Bart. Henri starrte ihn an, und schließlich wurde sein Blick erwidert. Der Mann erhob sich und trat auf ihn zu. »Ihr seid wohl Henri, der ehemalige Kreuzritter. Es ist mir eine Ehre, Euch an Bord zu nehmen.«

Umar hatte also die Tarnung aufgehoben und dem Versteckspiel ein Ende bereitet. Wie schnell musste er einen Boten geschickt haben, um den Eigner des Schiffs über die Identität seines Fahrgastes aufzuklären. Ohne Zweifel vertraute er diesem Schiffseigner. Er gab sich Mühe, sein plötzlich erwachtes Misstrauen zu überwinden. Der Mann gefiel ihm nicht. Dass er schon jetzt über seine Identität Bescheid wusste, wunderte ihn nicht. Denn er hatte davon gehört, dass die Araber bei eiligen Nachrichten Brieftauben einsetzten. Er deutete auf Uthman. »Dieser junge Mann hier ist Uthman ibn Umar.«

»Ich weiß, ich weiß«, bestätigte der Eigner des Segelschiffes. »Sein Vater hat mir empfohlen, ihn ohne Rücksicht zur Arbeit heranzuziehen, falls Not am Mann sein sollte.«

Uthman verzog sein Gesicht. »Bisher hatte ich geglaubt, dass ich mich in Cordoba den Studien widmen sollte.«

Der Schiffseigner lachte schadenfroh. »Cordoba ist weit. Bis Ihr dort angekommen seid, habt Ihr die schwere Kunst der Seefahrt erlernt. Das versichere ich Euch. In Cordoba könnt Ihr dann die Schwielen an Euren Händen ausheilen. Aber jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Von hier aus zum Hafen haben wir noch einen beschwerlichen Weg zurückzulegen.«

Al-Husain ritt eilig voran. Henri hatte den Verdacht, dass der Alkohol ihn jede Vorsicht vergessen ließ. Denn er trieb sein niedriges Pferd, das eher einem Maultier ähnlich sah, den engen Passpfad hinauf, ohne sich nach seinen Begleitern umzusehen.

Oben eröffnete sich ihnen ein ungeahntes Panorama. Bis zum graublauen Horizont breitete sich ein dicht besiedelter Küstenstreifen aus. In der Hafenbucht ankerten zahlreiche Schiffe mit geblähten Segeln, und im Hintergrund erhob sich die weiße Tauruskette. Henri hätte gerne angehalten, um die Schönheit dieses Ausblickes zu bewundern. Aber al-Husain trieb sie ohne Rücksicht weiter.

Die Schwalbe lag am Südende der Bucht von Alexandretta. Um an Bord zu gelangen, benutzten sie einen Kahn, der den drei Reitern nur mühsam Platz bot. »Eure Pferde müsst Ihr am Zügel schwimmen lassen, wenn Ihr sie nicht zurücklassen wollt«, sagte al-Husain kurz angebunden. Was blieb ihnen anderes übrig?

An Bord trieb er die Mannschaft mit barschen Befehlen zur Eile an. Die Seeleute waren an seine ruppige Art wohl gewöhnt. Wie die Affen kletterten sie geschickt in der Takelage herum, und schneller, als Henri das jemals gesehen hatte, blähten sich die Segel. Einer der Burschen hatte anscheinend einen Fehlgriff getan. Denn als er sich mit wenigen Schwüngen vom Mast heruntergelassen hatte, winkte ihn der Schiffsherr mit einer kurzen Bewegung zu sich heran. Er zwang ihn, sich niederzuknien, und verabreichte ihm mit dem Stock einige kräftige Schläge. Der Seemann gab keinen Laut von sich. Spätestens hier hätte Uthman ahnen müssen, was auf ihn zukam.

Denn al-Husain nahm den väterlichen Wunsch sehr ernst. Er befahl Uthman, das Deck zu schrubben, die Segel zu flicken, und schickte ihn sogar in den Mastkorb. Für Henri war es klar, dass Umar mit dieser Strafe seinem Sohn die Flausen austreiben wollte. Er half Uthman nach Kräften. Aber als al-Husain den Jungen wegen einer nachlässigen Arbeit mit einem Tauende schlagen wollte, griff er ein. »Ihr habt keine Berechtigung, Euren Fahrgast zu schlagen, der seine Passage in überreichlichem Maße gezahlt hat.«

Der Schiffsherr blitzte ihn wütend an, und Henri nahm sich vor, sehr achtsam zu sein. Er nahm Uthman beiseite und warnte ihn. »An Bord gelten andere Gesetze als bei dir daheim. Dem Herrn des Schiffes nicht zu gehorchen wird streng bestraft. Al-Husain hätte durchaus die Berechtigung, dich bei Ungehorsam in Ketten zu legen und sogar auspeitschen zu lassen. Darum nimm dich zusammen! Denn eine solche Bestrafung möchte ich ungern erleben.«

Uthman sah zwar erschrocken aus, maulte jedoch vor sich hin. Darum fügte Henri seiner Mahnung noch einen Trost an. »Ich habe die Sternenkarte studiert. Wir werden bald Cypros anlaufen. Dort versuchen wir, eine Passage nach Venedig zu finden. Aber ich fürchte, dass wir das Schiff heimlich verlassen müssen. Al-Husain möchte dich gar zu gerne an Bord festhalten, um dich weiter zu schikanieren. Er hat Spaß daran, andere zu quälen. Ich bezweifle, dass dein Vater das weiß.«

An einem der nächsten Abende liefen sie im Hafen von Zypern ein. Es dämmerte schon, aber der Herr der Schwalbe wollte unbedingt noch die Ladung löschen. Er schrie seine Mannschaft an, weil er der Meinung war, dass sie die schweren Kisten schneller tragen könnten. Er schwang den Stock und traktierte damit die müden Seeleute, denen er auf der Überfahrt kaum Schlaf gegönnt hatte.

»Jetzt oder gar nicht«, flüsterte Henri. Sie banden ihren Pferden Lumpen um die Hufe, um jeden Lärm zu vermeiden. Einige Seeleute beobachteten ihr Tun und grinsten ihnen zu. Während Henri und Uthman ihre Pferde die hölzerne Rampe hinabführten, gaben sich die Männer sogar Mühe, sie mit den sperrigen Kisten abzuschirmen. Am Pier sprangen die beiden in den Sattel und galoppierten davon. Sie hatten Glück. Al-Husain bemerkte nichts von ihrer Flucht, weil er gar zu sehr damit beschäftigt war, seine Seeleute anzuschreien und zu verprügeln.

Henri wusste, dass er sich in Gefahr begab. Denn Zypern wurde seit dem Jahr 1192 von dem französischen Adelsgeschlecht Lusignan beherrscht. Er konnte sich vorstellen, dass diese Franzosen, die aus dem Poitou stammten, sich nicht gegen die Wünsche des Königs stellen würden. Vielleicht aber gab es noch irgendwo ehemalige Kreuzritter, die ihnen zu einer Passage nach Venedig verhelfen konnten. Es war zu gefährlich, sich in den Hafenanlagen aufzuhalten, solange die Schwalbe dort noch vor Anker lag.

Sie streiften ziellos durch die Gassen und kehrten schließlich in der Nähe des ehemaligen Ordenssitzes in einer düsteren Gaststube ein. Henri hoffte, dass die Dunkelheit ihnen genügend Schutz bieten würde.

Uthman wollte unbedingt zum Hafen zurückkehren. »Ich bringe dieses Schwein um!«, rief er unvorsichtig laut. Mit diesem Ausruf hatte er Aufmerksamkeit erregt. Von einem der Nachbartische erhob sich ein Mann, der einen weiten Mantel trug und einen breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Geheimpolizei des Königs, durchfuhr es Henri. Wir sind verloren.

Aber der Fremde beugte sich tief zu ihm herab. »Bist du es wirklich, Henri de Roslin? Du hast dich verändert. Damals in Akkon warst du noch ein Knappe.«

Henri hätte gerne seiner Freude über dieses Zusammentreffen laut Ausdruck gegeben. Aber er blieb auf der Hut. »Das ist sehr lange her«, erwiderte er ausweichend. »Ich erkenne dich nicht. Wie ist Euer Name, und was hat Euch nach Cypros verschlagen?«

Der Fremde sah sich nach allen Seiten um. »Mein Name ist Jacques de Charleroi, Tempelritter aus Lothringen. Man hatte mich verhaftet und gefoltert. Es gelang mir, einen Wächter zu bestechen, der mir zur Flucht verhalf. Cypros schien mir sicher zu sein. Aber Philipps Einfluss reicht auch bis hier.«