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Henri glaubte ihm. Sein Gefühl, in eine Falle zu geraten, regte sich nicht. Er deutete auf Uthman. »Dieser tapfere Bursche hier ist der Sohn eines Kreuzfahrers. Wir beide wollen nach Cordoba, wo der Junge auf Wunsch seines Vaters in den berühmten Bibliotheken studieren will.«

Uthman verzog wütend sein Gesicht. Er, der Sohn eines tapferen Sarazenen, wollte nicht der Nachfahre eines Kreuzfahrers sein. Aber Henris Notlüge führte zu einem unerwarteten Erfolg.

»Auf der Seefahrt hierher habe ich mich mit dem Eigner eines venezianischen Frachtschiffes angefreundet. Er wird morgen wieder in See stechen. Da er ein großer Bewunderer der Kreuzritter ist, wird er Euch sicher mit meiner Fürsprache an Bord nehmen. Vielleicht findet er eine Möglichkeit, Euch bis nach Cordoba weiterzuhelfen.«

Henri schüttelte dem unerwarteten Helfer die Hand. »Ich danke Euch und werde Euch das nicht vergessen. Gehen wir!«

»Wollt Ihr nicht auch heimkehren?«, fragte Henri auf dem Weg zum Hafen. Aber Jacques de Charleroi schüttelte den Kopf. »Ich stamme aus Lothringen und sehne mich oft nach der Burg meiner Väter. Aber ich würde nicht nur mich, sondern auch alle Mitglieder meiner Familie in Gefahr bringen. Hier lebe ich bei guten Freunden.«

Der venezianische Schiffseigner zeigte sich hocherfreut, dass er so berühmte Männer mit an Bord nehmen durfte. Wenn abends die Sterne am südlichen Himmel leuchteten, übergab er seinem Steuermann das Ruder und legte sich zu seinen Fahrgästen auf das Achterdeck. Er konnte gar nicht genug davon hören, was sich in Akkon ereignet hatte. Uthman murrte ab und zu vor sich hin, bis ihm Henri den Mund verbot. »Wenn du jetzt nicht still bist, werde ich dem Schiffsherrn deine Herkunft als Sarazene und Feind der Kreuzritter verraten. Dann darfst du wieder das Deck schrubben und Segel flicken, wenn man dich nicht sogar in den Laderaum zu den Ratten sperrt.«

Uthman konnte es sich nicht versagen, eine Fratze zu ziehen. Aber dann wurde er ernst. »Weißt du was?«, wandte er sich an Henri. »Nach all der Schinderei auf der Schwalbe freue ich mich richtig auf die Studien in Cordoba.«

»Das hört sich gut an«, erwiderte Henri. »Ich fürchtete schon, dass man dich auf dem Stuhl vor den Büchern festbinden müsse.«

Das Mittelmeer zeigte sich von seiner angenehmen Seite. Sturm und hohe Wellen blieben ihnen erspart. Ein leichter Wind blähte die Segel und trieb sie vorwärts.

Drei Monate später waren sie in Cordoba. Sie hatten Glück gehabt. Denn der Eigner des Segelschiffes hatte in Venedig einen Auftrag angenommen, Fracht nach Neapel und von da zu dem spanischen Hafen Almeria zu befördern. Um allen Schwierigkeiten mit den Behörden aus dem Wege zu gehen, hatte er seine Fahrgäste gebeten, weder in Venedig noch in Neapel von Bord zu gehen. Henri hatte ein deutliches Verbot aussprechen müssen und mit den Ratten im Laderaum gedroht, um Uthman an Stadtbesichtigungen zu hindern. »Ach, was muss dein Vater mit dir mitgemacht haben«, seufzte Henri mehr ernst als scherzhaft. »Kein Wunder, dass er dich weit weg nach Cordoba geschickt hat.« Aber auch er war froh, als sie in Almeria endlich wieder festen Boden unter den Füßen verspürten.

Ihre Pferde waren von der langen Reise an Bord etwas benommen und steif. Sie ließen sie am langen Zügel gehen, machten öfter Rast und erreichten nach drei Tagen Cordoba. Uthman beharrte darauf, in einer der Gassen zu wohnen, wo sich hauptsächlich Araber niedergelassen hatten. Im Jahre 1236 war Cordoba an die Kastilier gefallen. Die islamische Moschee war oberflächlich in eine christliche Kathedrale umgewandelt worden. Aber Cordoba, mit seinem Labyrinth von Gassen, mit seinen Säulen und Torbögen, war dennoch eine arabische Stadt geblieben. Zwar waren die Araber eher geduldet denn geliebt, und die Priester versuchten alles, um sie zum wahren Christentum zu bekehren, aber sie durften noch in ihrer Stadt leben und ihre Berufe ausüben.

»Das wäre ja auch empörend, wenn man uns Sarazenen hier in Cordoba keinen Respekt entgegenbringen würde«, äußerte Uthman aggressiv seine Meinung. »Die Bibliothek, in der ich jetzt studieren werde, ist von einem Araber gegründet worden, den sie den Herrn der Bücher nannten.«

»Ja«, bestätigte Henri. »Du sprichst von al-Mustansir billah, dem vollkommenen Gelehrten, einem Freund der Literatur und Künste. Seine Abgesandten durchstöberten in Damaskus, Kairo und Konstantinopel die Buchmärkte, um Schriften zu finden, die es in Cordoba nicht gab.«

»Führe mich in die Bibliothek!«, bat Uthman.

Henri spürte bei Uthman so etwas wie Ehrfurcht, als er die Ansammlung der Schriften sah. »Früher einmal war diese Bibliothek noch bei weitem reichhaltiger ausgestattet. An den Zimmerwänden und in den Gängen des Kalifenpalastes reichten die Bücher bis unter das Dach. Wenn es keinen Platz mehr gab, um sie aufzubewahren, stapelte man sie auf dem Boden übereinander. Als man schließlich die Bibliothek wegen des Platzmangels verlegen musste, dauerte der Umzug sechs Monate. Allein der Katalog der Bibliothek füllte vierundvierzig Hefte mit jeweils fünfzig Seiten.« Henri war fast ein wenig stolz, wie viel er dem Jungen über diese weltberühmte Bibliothek mitteilen konnte.

»Gab es denn überhaupt so viel Papier, um alle diese Bücher zu schreiben?«, fragte Uthman ungläubig.

»Der Kalif ließ wertvolles Papier aus Samarkand und Schilfrohr zur Papierherstellung aus den Sümpfen des Tigris kommen. Du hast sicher gesehen, dass auch heute noch dort viel Schilf am Ufer wächst.«

Henri sah die leuchtenden Augen des Jungen. Er verschwieg, dass fanatische Rechtsgelehrte im Hof des Alkazars einen Scheiterhaufen errichtet und Hunderte von Büchern verbrannt hatten.

Uthman hatte wahllos ein Buch aus den Reihen gezogen, das über die Bewegung der Sonne Auskunft gab: den Grad ihres Auf- und Untergangs, die wechselnde Größe der Schatten, die regelmäßig wiederkehrende Folge der länger und kürzer werdenden Tage, den Wechsel der kalten und warmen Jahreszeiten. Uthman las und las, ohne Henris Gegenwart zu bemerken.

Henri dachte daran, was man über al-Hakam berichtet hatte, der doch Heere und Kriegsflotten befehligte. Es ging das Gerücht, der Kalif sei abends, nachdem er seine Regierungsgeschäfte erledigt hatte, regelmäßig in die Bibliothek gegangen. Er habe sich dort an den Gerüchen des Pergaments und Papiers berauscht. Das Kratzen der Federn seiner Kopisten habe auf ihn so beruhigend gewirkt wie das gleichmäßige Rauschen eines Regengusses. Aber das heimliche Nagen eines Holzwurms, oder gar das Rascheln einer Maus hinter den Bücherreihen, habe ihn in höchste Aufregung versetzt.

Während Henri über die vergangenen Zeiten nachdachte, hatte sich Uthman so in das Buch vertieft, dass er nicht einmal spürte, als Henri ihn am Ärmel der Burda zog. »Komm mit mir ins Freie!«, forderte Henri den Jungen auf. »Draußen scheint die Sonne.« Aber Uthman schüttelte nur stumm den Kopf. Da wusste Henri, dass er seinen einstmals so wilden Reisegefährten an die Bücher verloren hatte.

Aus Frankreich kamen beunruhigende Nachrichten: König Philipp habe die Großmeister des Templerordens eingekerkert, gefoltert und Geständnisse erpresst. In der christlichen Familie, bei der Henri ein Unterkommen gefunden hatte, wollte niemand so recht an die Gräueltaten glauben, die man den Tempelrittern zur Last legte. Aber Henri wurde von Tag zu Tag unruhiger. Er wollte jetzt bei seinen Templerbrüdern sein, um ihnen zu helfen.

Seit mehreren Tagen hatte er Uthman nicht mehr getroffen. Immer wenn er die Bibliothek aufsuchte, fand er Uthman in irgendwelche Bücher vertieft. Neben sich hatte er stets einen Stapel von Pergamentrollen liegen, ergriff mal diese, mal jene. Am Tag vor seiner geplanten Abreise hatte sich Henri entschlossen, Uthman notfalls mit Gewalt von seinen Büchern loszureißen. Er klappte laut den Folianten zu, in den sich Uthman vergraben hatte. Der Knall war so laut, dass andere Leser in der Bibliothek unwillig den Kopf hoben. Uthman sprang wütend auf. In seinen Augen war das wilde Temperament zu sehen, das Henri von früher an ihm kannte.