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»Ich werde morgen Cordoba verlassen«, sagte Henri sehr deutlich. »Willst du dich nicht von mir verabschieden?«

Uthman warf zwar noch einen Blick auf den ungelesenen Bücherstapel, folgte aber Henri ohne Zögern in den Innenhof des Alkazars. Dort ließen sich beide auf dem Brunnenrand nieder. »Warum willst du Cordoba verlassen?«, fragte Uthman. »Es gibt doch keine schönere Stadt.«

»Für einen Büchernarr wie dich allerdings«, räumte Henri ein. »Aber mich zieht es zurück nach Frankreich, wo meine Templerbrüder sich in Todesgefahr befinden.«

»Möchtest du, dass ich dich begleite?«, fragte Uthman. Man sah seinem Gesicht an, dass er sich ein Nein erhoffte. Er war froh, dass Henri dieses Anerbieten ablehnte.

Uthman wollte bekräftigen, dass sein Angebot nicht als leere Phrase gemeint war. »Ich habe das Kämpfen noch nicht verlernt. In der Bibliothek war einer, der die Errungenschaften der Araber nicht wahrhaben wollte. Das medizinische Wissen, die Alchemie, die Kenntnisse der Astronomie, sogar die Zahlen hätten die katholischen Kastilier mitgebracht. Eine solche Unverfrorenheit musste ich natürlich bestrafen. Ich habe den Lügner in eine dunkle Gasse gelockt und dort kräftig verprügelt.«

»Wirklich nur geschlagen?«, fragte Henri zweifelnd. »Oder hast du ihn umgebracht?«

»Na ja«, erwiderte Uthman. »Ein bisschen geblutet hat er schon. Aber die Schmerzen hatte er verdient.«

Henri lächelte. Das war, trotz der neuen Gelehrsamkeit, der wilde Uthman, den er kannte. »Wenn ich deine Hilfe brauche, werde ich dir eine Brieftaube schicken. Diese Art, Nachrichten zu übermitteln, haben wir nämlich auch von den Arabern gelernt.«

Beide schwiegen. Erst jetzt spürte Henri, dass ihm der Abschied von dem Jungen schwer fiel. »Ich möchte dir einen Vorschlag machen. Wollen wir nicht zum Abschied gemeinsam in die Moschee gehen, die zwar jetzt eine christliche Kathedrale ist, aber doch immerhin noch wie eines eurer Gotteshäuser aussieht. Dort können wir um ein Wiedersehen bitten, ob wir nun zu Allah oder unserem Gott beten.«

Uthman sprang sofort auf. »Ich bin bereit!«

Im Schatten des Innenhofs, unter den Kolonnaden, wusch sich Uthman Hände und Füße. Henri tat es ihm nach, aber nicht nur, um Uthman zu erfreuen, sondern weil ihn das kalte Wasser erfrischte. Al-Hakam II. hatte nämlich die Bleileitungen, die aus dem Gebirge nach Cordoba führten, bis in den Innenhof der Moschee legen lassen. Als sie den Innenraum betraten, empfand Henri, obwohl er sich doch als guter Katholik fühlte, die übergestülpte Kathedrale als Entstellung. Er übersah bewusst die staubigen Heiligenfiguren und die Bildmalerei mit der Darstellung Gottes, die im Islam verboten war – so sehr sie ihm sonst Trost schenkten. In der Leere und der Stille wollte er das erfahren, was auch ohne bildliche Wiedergabe anwesend sein musste: Gottes Wort.

Uthman musste gespürt haben, dass der Katholik unter den Säulen der ehemaligen Moschee verstehen wollte, was die Mesquita für ihn bedeutete. Denn als sie aus dem Halbdunkel in das gleißende Sonnenlicht traten, sprach er Worte, die er vielleicht erst vor kurzer Zeit im Koran gelesen hatte. Früher hätten solche Gedanken bei ihm keine Beachtung gefunden.

»Du siehst die Berge und glaubst, sie seien unbeweglich, und dennoch werden sie wie die Wolken vorüberziehen.«

Ob Uthman wirklich verstanden hatte, was dieser Koranvers ausdrücken wollte? Vielleicht aber hatte auch er selbst den Vers missverstanden. Er glaubte jedoch, dass diese Worte die Menschen dazu ermahnen wollten, auch beim Anblick eines in Trümmern liegenden Bauwerks, auch im Krieg sowie in Zeiten des Verlustes und des Sterbens, an die Dauerhaftigkeit und Ewigkeit zu glauben.

Henri umarmte Uthman und warnte ihn scherzhaft, sich nicht wieder in Händel verstricken zu lassen. Aber das tat er nur, um die Bitterkeit des Abschieds nicht zu spüren. Uthman lächelte, und Henri entfernte sich mit schnellen Schritten, ohne sich noch einmal umzudrehen. 

16

Je mehr sie sich Paris näherten, umso öfter zog Henri seine Landkarte zu Rate. Es wimmelte nur so von Soldaten. »Es ist wichtig, dass wir nach Möglichkeit keine der gut gepflasterten Heerstraßen benutzen, die noch aus der Zeit der Römer stammen«, gab er zu bedenken. »Denn dort marschieren für gewöhnlich die Truppen des Königs.«

»Meinst du, dass man uns kontrolliert und vielleicht sogar daran hindert, nach Paris weiterzureiten?«, fragte Joshua besorgt. »Es ist ja auch gut möglich, dass Philipp sich in Fontainebleau aufhält.«

»Das würde vielleicht unser Vorhaben erleichtern«, erklärte Henri. »Wir könnten uns als Teilnehmer einer Jagdgesellschaft einschleichen. Aber diesen Plan habe ich wieder aufgegeben. Denn unsere Kleidung ist nicht dazu geeignet, als Gäste des Königs aufzutreten.«

Auch Sean wollte zu diesem Problem seine Meinung äußern. »Wie wäre es denn, wenn wir uns als Musikanten ausgeben würden?«

Henri und Joshua sahen sich verdutzt an. Henri wandte sich an Joshua. »Verstehst du es, irgendein Instrument zu spielen? Ich bin auf diesem Gebiet jedenfalls nicht sehr begabt.«

Joshua schüttelte den Kopf. »Als ich noch ein Kind war, hatte ich mir immer vorgestellt, dass ich es später einmal auf der Trompete zur Meisterschaft bringen könne, um vor den Mauern von Jericho meine Trompete so gewaltig erklingen zu lassen, dass die Mauern einstürzten. Aber ich fürchte, dass uns König Philipp davonjagen würde, wenn ich meine Kunst bei Hofe zum Besten gäbe.«

Die beiden anderen lachten. »Du bist uns eben doch in vielem voraus«, sagte Henri zu Sean und beobachtete, dass er sich über dieses Lob freute.

»Wie wäre es denn, wenn wir versuchen würden, als Händler verkleidet ins Schloss einzudringen?«, schlug Henri vor.

Joshua äußerte Zweifel. »Da wird man uns doch sogleich in die Küche weisen, um dort unsere Waren abzuliefern. Es müsste schon etwas sein, was König Philipp mehr interessiert als Eier, Gemüse oder Brot.«

Henri legte die Stirn in Falten. »Was könnte das sein? Eigentlich doch nur eines: Geld.« Er dachte nach, und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Wo würde Philipp Geld vermuten, das er sich noch aneignen könnte? Den Juden hatte er alles genommen. Da blieben nur noch die Tempelritter, von denen der König zu wissen glaubte, dass sie horrende Summen an einem unbekannten Ort versteckt hielten.

»Haben sie das wirklich?«, erkundigte sich Sean.

Henri winkte ab. »Das ist jetzt nicht die Frage. Unser Plan muss sein, dem König vorzugaukeln, dass wir ihn an einen Ort führen können, wo sich Templer aufhalten, vielleicht sogar in die Nähe des Schatzes. Zumindest könnte man sie unter der Folter dazu bringen, den geheimen Ort zu verraten.«

Joshua wiegte unschlüssig den Kopf hin und her. »Hoffentlich endet das nicht so, dass man uns die Daumenschrauben ansetzt oder dass wir gar auf der Streckbank landen.«

»Ja!«, rief Sean, der das für einen Scherz hielt. »Dann wirst du niemals mehr Trompete spielen können.«

Henri lag schon auf der Zunge, Sean eine passende Antwort zu geben, dass es nämlich durchaus Mittel gab, einem Menschen die Fähigkeit zum Gesang zu nehmen. Aber er wollte nicht, dass seine beiden Begleiter mit Sorgen und Ängsten diesem gefährlichen Abenteuer entgegensahen.

Er beugte sich wieder über die Karte. »Hier in der Nähe gab es früher eine Komturei unseres Ordens. Denn Bernhard von Clairveaux hatte uns geraten, in der Stille der Wälder im Gebet und der Kontemplation neue Kraft zu schöpfen. Auch ich wurde einmal als Knappe mit einem älteren Bruder in diese Komturei geschickt.«