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»Sollten wir nicht besser Orte meiden, wo früher der Templerorden wirksam war?«

Henri übergab ihm die Zügel seines Pferdes. »Ihr beiden bleibt hier! Ich werde erkunden, ob Philipps Schergen diesen geheimen Ort gefunden haben. Falls ihr entdeckt werdet, vergesst nicht, dass ihr Pilger seid. Sean darf dann wieder ein Marienlied anstimmen.«

Henri bahnte sich einen Weg durch das Dickicht. Ihm kam es so vor, als ob schon ein anderer diesen Weg gewählt hätte. Rechts und links des Pfades waren Äste abgebrochen, und auf dem feuchten Waldboden ließen sich deutlich die Spuren eines Reiters ablesen. Henri verdoppelte seine Vorsicht.

Die ehemalige Komturei lag hinter Büschen versteckt. Der Vorplatz war kaum mehr zu erkennen, da sich kleine Bäume und dichtes Unkraut dort ausgesät hatten. Henri dachte an den gepflegten Garten, in dem die dienenden Brüder Gemüse und Obstbäume angebaut hatten. Die Komturei ähnelte mehr einem Landgut als einer Burgfestung wie viele andere Niederlassungen des Ordens. Er erinnerte sich, dass es zahlreiche dienende Brüder gegeben hatte: Kuhhirten, Schafhirten, Schweine- und Fohlenhüter, einen Forstmeister, zwei Türwächter und sechs spannfähige Bauern. Keiner von ihnen war jemals in das Heilige Land gezogen. Man brauchte sie in der Landwirtschaft und im Haushalt.

Niemals war ein Knappe, der einmal die Gelübde ablegen wollte, zu einer dieser Arbeiten herangezogen worden. Dennoch hatte es Henri in der Komturei nicht gefallen. Manchmal hatte er sogar den Schafhirten beneidet, der im Gras lag und den ziehenden Wolken nachschaute, während sein Hund die Arbeit verrichtete. Einmal hatte Henri sogar beobachtet, wie der Hütejunge mit dem Mund Milch aus den Zitzen eines Mutterschafes gesogen hatte, um seine karge Kost aufzubessern.

Die mönchische Askese der Templer erfuhr in der Komturei allerdings eine gewisse Lockerung. Der Präzeptor konnte statt der üblichen zwei Mahlzeiten am Tag eine dritte zulassen. Henri erinnerte sich daran, dass es zweimal in der Woche sogar Fleisch gegeben hatte. Wer um Salz bitten wollte, durfte leise einige Worte sagen, obwohl die Mahlzeiten ansonsten schweigend eingenommen wurden.

Nein, am Essen hatte es nicht gelegen, dass Henri sich in der Komturei nicht wohl gefühlt hatte. Auch die Dienste, die der Präzeptor einteilte, waren erträglich gewesen. Der Knappe war es gewohnt, sich um die Pferde und Waffen zu kümmern oder auch Geräte auszubessern. Sehr gut hatte es ihm auch bei dem Hufschmied gefallen, der ihn mit viel Geduld in der Schmiedekunst unterwiesen hatte.

Was er aber damals gefürchtet und noch heute in schlechtester Erinnerung hatte, war die Justiz des Hauses. Zum Lebensrhythmus der Komturei gehörte die sonntägliche Versammlung eines disziplinarischen Rates, dessen Aufgabe es war, Verfehlungen und Verstöße gegen die Disziplin zu bestrafen. Jeder Tempelbruder sollte seine Verfehlungen beichten. Danach musste er den Saal verlassen, und das Kapitel beriet über die Strafe.

Zweimal war Henri vor das Kapitel zitiert worden. Ihm war kein Verfehlung bewusst, die er hätte beichten sollen. Man hielt ihn für verstockt. Entsprechend hart fiel die Strafe aus. Er musste mit dem Gesinde beschwerliche und ehrenrührige Arbeiten verrichten, durfte nur vom Fußboden essen, und man ließ ihn sogar drei Tage in der Woche fasten. Nein, er hatte keine gute Erinnerung an diese Komturei.

Er war oberhalb des halb verfallenen Gebäudes stehen geblieben. Am eisernen Ring vor dem Haus war ein Pferd angebunden, das keinem Bauern gehören konnte. Silberbeschlagenes Zaumzeug und ein prächtiger Sattel mit Initialen deuteten auf einen adeligen Reiter. Henri hatte alle Sinne angespannt. Er horchte. Eine Zeit lang war nichts zu hören. Nur ein rostiger Eimer schwankte im Wind hin und her und gab einen fast klagenden Ton von sich.

Aber dann mischte sich in dieses Geräusch plötzlich ein hoher Schmerzensschrei. Das war die Stimme einer gepeinigten Frau. Henri ließ alle Vorsicht fallen und stürmte den Hügel hinab zu der zerborstenen Eingangstür. Eine entblößte Frauengestalt kniete auf dem Fußboden und hatte die Hände flehentlich erhoben. Vor ihr stand ein Ritter, der seinen Helm, den Brustpanzer und die Beinschienen abgelegt hatte. Sein Geschrei übertönte das Weinen der Frau. »Wo hält sich der verdammte Tempelritter auf, den wir alle suchen? König Philipp hat uns ausgesandt, und du kannst sicher sein, dass ich dich zum Reden bringen werde.«

Die Frau warf sich zu Boden und weinte immer lauter. Ihre Worte gingen in einem verzweifelten Schluchzen unter. »Glaubt mir, edler Herr, dass ich den Aufenthaltsort des Tempelritters nicht kenne. Mein Mann wurde verhaftet, weil auch er keine Auskunft geben konnte. Ich habe seitdem nie mehr etwas von ihm gehört.«

Der Ritter schlug ihr mit der Reitpeitsche über den Rücken. »Verdammtes Pack! Dein Mann war Stallmeister hier in der Komturei. Und du willst behaupten, nichts vom Verbleib des Templers zu wissen, der den Schatz versteckt hat oder sogar bei sich trägt?«

Die Frau schüttelte nur stumm den Kopf. Sie hatte erkannt, dass ihr kein Flehen und kein Jammern helfen würden.

Der Ritter hob sein Wams. »Dir hat sicher gefallen, was ich eben mit dir getrieben habe. Lange hast du keinen Mann mehr gehabt, elende Hure! Vielleicht bringt dich das zum Reden!« Er warf sich über die Frau, die sich vergeblich zu wehren versuchte. Seine Brutalität kannte keine Grenzen.

»Wo ist der Templer? Wo ist dieser gottverdammte Templer?«

Henri trat vor. »Er ist hier.«

Der Ritter warf sich herum und starrte Henri mit blutunterlaufenen Augen an. Er konnte es nicht fassen, wen er da vor sich sah.

Henri zog seinen Dolch hervor. »Du bist ein Vieh, und ich werde dich wie ein Vieh töten. Wenn es bei dir noch einen letzten Rest menschlicher Regung gibt, sprich ein Gebet und bitte Gott für deine Sünden um Vergebung. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Der Ritter stierte vor sich hin. Noch hatte er nicht verstanden, was in den letzten Augenblicken geschehen war. Seine Stimme glich nur noch einem Röcheln.

Henri fühlte das Blut in seinen Adern rauschen. Seitdem er in Akkon die Ungläubigen niedergemetzelt hatte, war er nicht mehr so außer Besinnung geraten. Mit weit ausholender Bewegung stieß er dem Ritter die Spitze des Dolchs in die Kehle.

Der Mann fiel langsam zur Seite. In seinen Augen erschien der Ausdruck maßlosen Erstaunens. Aus der Wunde sprudelte dunkelrotes Blut, und nach wenigen Atemzügen trat der Tod ein.

Henri wandte sich der misshandelten Frau zu, hob sie vom Erdboden auf und wehrte sie sanft ab, als sie ihm die Hände küssen wollte. »Bekleide dich! Ich werde derweil meine Gefährten holen.«

Er fand Joshua und Sean im Dickicht vor, wo er sie verlassen hatte. »Wir haben uns Sorgen gemacht«, sagte Joshua. »Du bist sehr lange ausgeblieben.« Er deutete auf Sean. »Dieses Bürschchen hier wollte dir unbedingt folgen. Ich habe ihn mit allen Kräften festhalten müssen, damit er mir nicht entkam.«

Henri verschob einen Tadel auf später. »Kommt mit! Es ist aber kein schöner Anblick, der euch erwartet.«

Sean starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Leichnam am Fußboden und dann auf Henri. Er konnte keine Spuren eines Kampfes entdecken. »Warum musstest du ihn töten?«

Henri sah keine Veranlassung, den Jungen im Unklaren über die Geschehnisse zu lassen. Er deutete auf die Frau, die sich inzwischen gesäubert und bekleidet hatte. »Weil er diese Frau misshandelt hat. Er hat das getan, was Krieger im Kampf mit den Frauen der besiegten Feinde tun. Du verstehst doch, was ich meine?«

Sean nickte. »Hat sie Schmerzen?«

Die Frau drehte sich um. Sie lächelte. »Nicht so schlimm, dass ich euch nicht jetzt ein gutes Mahl kochen kann. Ich habe noch immer Vorräte im Keller versteckt, weil ich auf die Heimkunft meines Mannes gewartet habe.«

Erst jetzt warf Henri einen Blick auf Joshua, der so blass war, wie Henri ihn nicht mehr seit der Verfolgung gesehen hatte. Ihm wurde sofort klar, dass sich Joshua an den schrecklichen Tod seiner Frau erinnerte. Er hatte sie damals, furchtbar zugerichtet, auf dem Küchenboden seines Hauses gefunden. Für sie war jede Rettung zu spät gekommen.