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Henri setzte sich Bertrand gegenüber. »Könnt Ihr mir etwas über König Philipp erzählen? Wo hält er sich auf, in Paris oder in seinem Jagdschloss in Fontainebleau?«

Bertrand Gaudin hatte gute Beziehungen zu den Bediensteten des königlichen Haushaltes. »Der König hat seinen Lieblingsstammsitz in Fontainebleau verlassen und ist mit seinem Gefolge nach Paris zurückgekehrt. Dort residiert er im Palais de la Cité und heckt neue Pläne aus, wie er zu Geld kommen könnte. Noch immer schmachten zahlreiche Tempelritter in den Verliesen.«

»Werden diese Ärmsten gefoltert?«

»Ja, und zwar so lange, bis sie diese scheußlichen Verbrechen gestehen, die man ihnen zur Last legt.« Bertrand nahm einen Schluck von dem Kirschenschnaps und atmete tief durch.

Henri wollte noch mehr wissen. »Was geschieht mit denen, die gestanden haben?«

»Man erzählt sich, bei manchen genüge es, ihnen die Folterwerkzeuge zu zeigen, um sie zu Geständnissen zu bringen. Sie seien nach tagelangen Demütigungen, geschwächt durch eine Ernährung nur mit Wasser und Brot, dazu noch in Ketten gelegt, am Ende ihrer Widerstandskraft. Einige werden sogar noch nach ihrem Geständnis weiter gefoltert, weil der Henker sie verdächtigt, nicht alles gesagt zu haben. Viele widerrufen ihre Geständnisse. Wenn sie nicht auf dem Scheiterhaufen enden, werden sie in Verliese geworfen, wo sie elend zugrunde gehen.« Bertrand nahm einen weiteren Schluck.

»Ist denn niemand als unschuldig begnadigt worden?«, fragte Henri. Seiner Stimme war die Verzweiflung anzuhören.

»Doch, der Mönch eines Klosters hat mir berichtet, dass es eine Anordnung des Papstes gab, die Bulle considadum dumdum oder so ähnlich genannt wurde. Vielleicht hieß sie auch anders. Ich bin nur ein einfacher Mensch ohne Schulbildung. Diese hohen Herren drücken sich oft so merkwürdig aus.«

Henri wurde ungeduldig. »Was stand denn in dieser Bulle?« Der Titel war wohl considerantis dudum und betraf jene, die ihre Angehörigkeit zum Templerorden nach langer Überlegung nun bereuten.

Bertrand nahm einen kräftigen Schluck. »Soweit ich mich erinnere, war dort davon die Rede, dass diejenigen, die für unschuldig befunden oder nach ihrem Geständnis mit der Kirche versöhnt worden waren, eine Pension erhalten sollten und sogar in einem Kloster ihrer Wahl leben durften. Die Mönchsgelübde, die sie bei ihrem Eintritt in den Templerorden abgelegt hatten, blieben weiter gültig.«

Henri lachte bitter. »Da mussten sie aber sehr gute Beziehungen zur Kirche gehabt haben! Vielleicht war einer der drei Kardinäle, die im Namen des Papstes Clemens V. Gericht halten sollten, sein Onkel oder sonst ein Verwandter.«

Bertrand hatte sein Glas geleert. Er schwankte auf der Bank hin und her. Er begann zu stottern, und seine Augen blickten verständnislos in die Runde. Henri erkannte, dass eine weitere Befragung sinnlos war. Aber er bedankte sich höflich für die wertvolle Auskunft, die er erhalten habe.

Bertrand starrte auf die Münzen, die Henri ihm auf dem Tisch zuschob. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Er erhob sich torkelnd, versuchte Henri zu umarmen und stotterte etwas, das sich nach einem Dank anhörte. Die weiteren Worte gingen in einem unverständlichen Gebrabbel unter.

Magdalene, die eine solche Szene wohl schon öfter miterlebt hatte, schob ihn zur Tür hinaus. »Er hat draußen noch gesagt, dass er gerne noch einmal wiederkehren werde, wenn man ihn brauchen könne«, behauptete sie. Ob das nun der Wahrheit entsprach, vermochte Henri nicht zu entscheiden. Vielleicht wollte sie dem armen Kerl ein paar Münzen zukommen lassen.

»Du wolltest ihm doch das Pferd des Lehnsherrn anbieten«, erinnerte ihn Joshua an das leidige Thema.

»Hast du nicht seinen Zustand gesehen?«, erwiderte Henri. »Einem Betrunkenen vertraue ich ein so edles Reittier nicht an. Dein Falbe lahmt schon lange. Wir lassen ihn hier bei Magdalene, und du wirst das Pferd des Ritters reiten, falls es kein verräterisches Brandzeichen aufweist. Wir können ihm außerdem den Schweif und die herrliche Mähne kürzen, obwohl das schade wäre. Wenn du ihm dann noch dein altes Zaumzeug anlegst, ist es kaum noch zu erkennen.«

Joshua sah ihn zweifelnd an. Darum fügte Henri noch hinzu: »Schon morgen werden wir weit entfernt von dem Gutshof des Lehnsherrn sein. Wir brechen in aller Frühe auf. Was ich von Bertrand Gaudin gehört habe, hat meinen Entschluss bekräftigt, den Fluch der Großmeister gegen alle Widerstände zu erfüllen. Bist du dabei, Joshua?«

Joshua streckte ihm die Hand entgegen, in die Henri einschlug.

Erst jetzt wagte sich Sean aus der Ofenecke hervor, wo er sich versteckt hatte, um das Gespräch der Männer zu belauschen. »Darf ich auch einmal unterwegs das wunderschöne Pferd reiten?«, fragte er beinahe schüchtern.

»Das kommt auf deine Fortschritte im Lesen und Schreiben an«, entgegnete ihm Henri. »Zeige mir einmal, was du heute geschrieben hast!«

Nur ungern holte Sean ein Papier mit seinen Schreibkünsten hervor. Sogar der immer geduldige Joshua hatte deutlich seine Unzufriedenheit geäußert. Henri schüttelte den Kopf. »Wer nur zu solch einem Gekrakel fähig ist, kann auch nicht ein so edles Reittier beherrschen. Das wird wohl noch eine Weile dauern, bis du in den Sattel eines ritterlichen Pferdes steigen darfst.«

Sean war so wütend, dass er das beschriebene Papier in das Herdfeuer warf und noch einige leere Blätter hinterherbeförderte. Henri musste gegen seinen Willen lachen. Genauso zornig war auch er als Junge gewesen, bis die Lehrer des Ordens ihm seine Wutanfälle mit harten Strafen ausgetrieben hatten. Ehe er einen scharfen Tadel aussprechen konnte, war Joshua ihm schon zuvorgekommen. »Irgendwann wird es schon besser werden. Sean ist doch kein Dummkopf. Wer so schön singen und so treffsicher die Lanze schleudern kann, der wird auch ein Meister in der Kunst des Schreibens werden.«

Henri schüttelte über so viel Nachsicht den Kopf. Aber Sean warf seinem Lehrer einen dankbaren Blick zu.

Magdalene hatte aus allen Vorräten, die sie noch besaß, eine verlockende Mahlzeit zubereitet. Ganz offensichtlich teilte sie Sean die größten Portionen zu. »Der Junge muss sich für den langen Ritt stärken.« Am liebsten hätte sie die drei noch länger bei sich behalten. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem Alleinsein.

Henri drückte ihr eine beachtliche Summe in die Hand. Er beobachtete ihre zuckenden Mundwinkel und sah, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Sei bedankt für deine großzügige Gastfreundschaft. Sprich für uns ein Gebet, denn wir haben eine schwere Aufgabe zu erfüllen!«

»Der Herr möge euch behüten!«, sagte Magdalene mit gefestigter Stimme und gefalteten Händen. Weil ihr das wirksamer erschien, fügte sie noch hinzu: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit. Amen!«, antwortete Henri und schob ihr Sean zum Abschied in die Arme, die sie weit geöffnet hatte. 

17

Magdalenes Segenswunsch erwies sich als notwendig. Die Gebirge der Auvergne erforderten alle Kräfte von Mensch und Tier. Der hoch aufragende Gipfel des Puy de Dome war noch schneebedeckt, und die benachbarten schroffen Vulkanberge jagten den drei Reitern mehr Schrecken als Ehrfurcht ein. Am Fuße des Berges musste sich einmal ein gallisches Heiligtum befunden haben, zu dem man von weit her pilgerte. Denn außer den Fundamenten des Tempels gab es zahlreiche verfallene Herbergen.

Da sie in der Morgendämmerung aufgebrochen waren, erreichten sie gegen Mittag Clermont. Henri zögerte, ob sie sich in die Stadt wagen sollten. Denn der gelehrte Joshua wusste zu berichten, dass zwischen Clermont und der französischen Krone immer eine enge Verbindung bestanden hatte.