Mittlerweile herrscht in der Stadt das Chaos. Die Christen strömen verzweifelt hinab zum Hafen, um auf die rettenden Schiffe zu kommen. Doch das ist nur mit viel Geld zu erreichen. Der Patriarch Nikolaus von Hanape lässt aus Mitleid so viele Menschen in sein kleines Boot, dass es schließlich sinkt und alle ertrinken. Indessen wüten die Muslime in der Stadt, wer ihnen in den Weg kommt, wird niedergemacht, wer sich versteckt und später entdeckt wird, kommt in die Sklaverei. So gelangen auch abtrünnig gewordene Tempelritter nach Kairo, wie spätere Reisende berichten, andere müssen als Holzfäller am Toten Meer arbeiten. Als die Nacht hereinbricht, widerstehen allein die Templer in ihrem Ordenshaus noch den Angreifern. Sie sind nicht allein, denn noch immer kommen Schiffe von Zypern her und unterstützen die Kämpfer in ihrem nahe dem Meer gelegenen Haus. Der Ordensmarschall Peter von Sevrey erhält vom Sultan das Angebot, er dürfe sich mit allen Leuten nach Zypern einschiffen, wenn er das Templerhaus kampflos räume. Doch die zur Überwachung der Übergabe in die Festung eingelassenen Mamelucken fallen über die christlichen Frauen und Knaben her, woraufhin sie von den Rittern gnadenlos niedergemacht werden, die nun entschlossen sind, bis zum Tod Widerstand zu leisten. Die schon gehisste Fahne des Sultans wird vom Turm gerissen. Mit Anbruch der Nacht lässt Peter von Sevrey durch den Befehlshaber des Ordens Tibald Gaudin und einige Nichtkämpfer den Schatz des Ordens auf einem Boot zur Burg von Sidon schaffen. Am nächsten Morgen machen die Muslime ein erneutes Angebot zur Übergabe, doch nur, um Peter von Sevrey aus der Festung zu locken. Vor dem Zelt des Sultans wird der Ordensmarschall mit seinen Begleitern niedergemacht.
Die Folgen beschreibt der arabische Chronist Abulmahassen: »Als jedoch die Christen, die sich noch hielten, erfuhren, wie ihre Brüder behandelt worden waren, beschlossen sie, mit den Waffen in der Hand zu sterben, und wollten nichts mehr von Kapitulation hören. Ihre Erbitterung war so groß, daß sie fünf Muslime, die ihnen in die Hände gefallen waren, von einem der Türme herabstürzten.«
Bis zum 28. Mai kämpften die restlichen Templer im Ordenshaus weiter. Wie Abulmahassen weiter berichtet, wurde einer der Türme des Templerhauses unterminiert. »Als endlich der Turm völlig unterminiert war und den Christen angeboten worden war, sich unter Zusicherung des Lebens zu ergeben, und als die Muslime herangekommen waren, um den Turm in Besitz zu nehmen, brach er zusammen, und alle wurden unter seinen Trümmern begraben« [zit. n. Loos, 1997, S. 84].
Niemand, weder von den mameluckischen Angreifern noch von den Verteidigern des Turms, kommt mit dem Leben davon. Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein sind am Hafen von Akkon die Reste des Templerhauses zu sehen.
Die Tempelritter aber müssen sich aus dem Heiligen Land zurückziehen. Sie übernehmen in Europa neue Aufgaben, schaffen sich aber auch neue Feinde. Und keine zwei Jahrzehnte später wird Philipp sie völlig ausgelöscht haben.
Jörg Dendl
Bulst-Thiele, Marie Luise, Sacrae domus militiae Templi Hierosolymitiani magistri. Untersuchungen zur Geschichte des Templerordens, Göttingen 1974
Demurger, Alain, Die Templer, München 1992
Loos, Volker, Die Armen Ritter vom Tempel Samononis zu Jerusalem, Berlin 1997
Oslo, Allan, Die Geheimlehre der Tempelritter. Krumwisch 2001
15. Juli 1099
Das erste Kreuzzugsheer nimmt Jerusalem ein.
1118 oder 1119
Neun burgundische Ritter gründen in Jerusalem den Orden Pauperes Commilitones Christi Templum Salomonis (»Orden der Armen Ritter Christi vom Tempel Salomos«). Zu den Gründungsmitgliedern gehören Hugo de Payens und Gottfried von St. Omer. Als Aufgabe übernimmt der Orden den bewaffneten Schutz der christlichen Pilger und der heiligen Stätten im Heiligen Land. Der König von Jerusalem überlässt der Gemeinschaft einen Teil seines Palastes in der Al-Aqsa-Moschee, von der man annimmt, sie stehe am Ort des salomonischen Tempels.
1128
Der Papst bestätigt auf der Synode von Troyes die von Bernhard von Clairvaux verfasste Ordensregel. Die Templer werden zum ersten so genannten Ritterorden. Gehorsam, Keuschheit, Armut und der Kampf gegen die Heiden sind die wichtigsten Artikel der Regel.
1139
Papst Alexander III. stattet den mittlerweile hoch angesehenen und an Mitgliedern starken Orden mit Privilegien aus. Unter anderem wird der Orden direkt dem Papst unterstellt und somit dem Zugriff weltlicher Herren entzogen.
1187
Nach zähen Kämpfen nimmt Sultan Saladin Jerusalem ein und vertreibt die Christen aus der Stadt.
1291
Der Fall der letzten Bastion der Christen im Heiligen Land, Akkon. Die Templer verlegen ihren Hauptsitz nach Zypern.
1295
Philipp V. lässt alle Juden Frankreichs verhaften, sie können sich durch Lösegeld freikaufen.
Bis Ende des 13. Jahrhunderts
ist der Templerorden zur reichsten und mächtigsten Institution des christlichen Europas geworden: Schenkungen, Einkünfte aus dem Bankwesen und der Verwaltung der großen Güter tragen zum Vermögen des Ordens bei. Ordensprovinzen gibt es in Frankreich, Deutschland, England, Italien, Spanien, Portugal, Böhmen und Ungarn. Der Orden besitzt 9000 Schlösser und riesige Ländereien. In Frankreich agieren die Templer gar als Bankiers des Königs. Tempelritter gelten als Verkörperung des christlichen Ideals, niemand zweifelt an ihrer Ergebenheit an die Kirche.
1303
Die Tempelritter verlassen endgültig das Heilige Land.
7. September 1303
König Philipp V. lässt den 86-jährigen Papst Bonifatius VIII. bei Anagni in der Nähe Roms festnehmen, weil dieser ihn exkommunizieren – also aus der Kirche ausschließen – will. (Der Grund ist der Wille des französischen Königs, auch den Klerus zu besteuern.) Philipp wirft dem Papst Ketzerei, Blasphemie, Sodomie und Hexerei vor. Obwohl der Papst von den Einwohnern Anagnis befreit wird, stirbt er innerhalb eines Monats an den Folgen des Verbrechens.