Der Sarazene wusste, dass er nicht zögern durfte, bis sich die anderen von ihrem Schrecken erholt hatten. Er umklammerte den Dolch mit beiden Fäusten und führte die Spitze mit kräftigem Schwung schräg nach hinten. Ein grässlicher Schrei zeigte ihm an, dass er denjenigen, der sich über seine Kehle gebeugt hatte, im Gesicht getroffen hatte.
Aber auch er selbst hatte eine Verwundung davongetragen. Blut tropfte von seinen Händen herab und versetzte ihn in solch rasende Wut, dass er den zur Linken, der ihn mit Tritten in Niere und Leber unschädlich zu machen drohte, am Bein ergriff, herumwirbelte und gegen einen Baumstamm schmetterte.
Der Kerl zu seiner Rechten hatte wohl im Sinn, seine Kumpanen zu rächen. Statt die Flucht zu ergreifen, wollte er sich auf einen Kampf einlassen. Er hatte, während der Sarazene schlief, dessen Lanze erbeutet, mit der er nun, nicht einmal ungeschickt, gegen den Fremden anrannte. Dieser hatte zur Gegenwehr nur die kurze Klinge des Dolches. Seine einzige Möglichkeit, aus dem Kampf als Sieger hervorzugehen, war eine plötzliche Drehung. So begnügte er sich zunächst damit, der drohenden Lanzenspitze durch schnelle Wendungen zu entgehen. Wäre es nicht um Leben und Tod gegangen, man hätte meinen können, zwei Gestalten hätten einen Tanz im Mondlicht aufgeführt.
Bei einer Rückwärtsbewegung beobachtete der unerwartet starke Gegner des Sarazenen, dass sich die anderen drei mühsam erhoben hatten und, fast blind vor Schmerz und Blut, in den nahen Wald torkelten.
»Bleibt hier, ihr Feiglinge!«, brüllte der im Stich gelassene Bandit. Einen Lidschlag lang war er abgelenkt. Diesen Augenblick benutzte der Sarazene, um ihm die Lanze zu entreißen. »Mach dich mit deinen Kumpanen davon!«, schrie er Furcht erregend. »Oder ich werde dir die Spitze meiner Waffe durch die Brust bohren, sodass sie im Rücken wieder heraustreten wird.«
Der Bandit, der die Aussichtslosigkeit seiner Lage begriffen hatte, drehte sich um, murmelte etwas, das wie »Ausgeburt der Hölle« klang, und folgte den anderen.
Der Sarazene zögerte nicht, sein gepeinigtes Pferd vom Baum loszubinden, lauschte noch eine Weile, ob die Kerle zurückkehren würden, und führte danach den Araberhengst ans Ufer des Flusses, wo er ihn tränkte. Dann wusch er ihn und sich.
Es erschien ihm nicht ratsam, in dem Bauernhaus, das von den Räubern heimgesucht worden war, um Aufnahme zu bitten. Vielleicht hielten sie auch ihn für einen Banditen und hatten sich inzwischen mit ihren Mistgabeln bewaffnet.
Der Sarazene hatte sich im Kampf bewährt. Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen. Aber ihm selbst war eigentlich jede brachiale Gewalt zuwider. Mit einem Seufzer dachte er an Cordoba, das er als seine Heimat betrachtete. Überall in der Stadt zeugten islamische Bauwerke von der arabischen Hochblüte des Kalifats, wenn auch Cordoba schon seit langer Zeit zum katholischen Kastilien gehörte.
Zumeist bedrängte ihn niemand, wenn er in der Bibliothek hinter den Mauern des Alkazars von Cordoba seinen Studien nachging. Er war voller Bewunderung für Al-Hakam al-Mustansir billah, der als Herrscher der Bücher galt. Denn dieser war nicht nur ein Freund der Literatur und Künste, sondern auch ein Sammler und Gelehrter gewesen. Ihm wollte der Sarazene nacheifern. Stolz dachte er daran, dass das Papier, die Seide, das Wissen und die Bücher aus dem Orient gekommen waren, dass sich 170 Frauen vor 300 Jahren dort dem Kopieren der Handschriften gewidmet hatten, die in der großen Moschee alle Erklärungen der Lehrmeister mit der Feder festhielten.
Der Sarazene seufzte erneut. Ach ja, die Moschee von Cordoba mit ihren Hunderten von frei stehenden Säulen. Sie glich einem steinernen Wald, der zwischen Sonnenlicht und Halbschatten lebendig schien.
Der Sarazene seufzte ein drittes Mal, diesmal abgrundtief. 400 000 Bücher sollte Al-Hakam besessen haben, sodass die Räume des Palastes zu ihrer Unterbringung nicht mehr ausreichten. Wie gerne hätte er alle diese Bücher besessen, oder zumindest doch gelesen. Aber während des Bürgerkriegs waren die Bücher auf Veranlassung fanatischer Rechtsgelehrter im Innenhof des Alkazar verbrannt worden. Was kein Raub der Flammen geworden war, wurde geplündert und auf den Märkten für wenige Münzen als Altpapier feilgeboten.
Der Sarazene wurde so sehr von Heimweh überwältigt, dass er laut einen Vers des arabischen Dichters Ibn Suhayd zu singen begann: »Für eine Stadt wie Cordoba sind die vielen Tränen wenig, die einem reißenden Strom gleich vergossen werden.«
Wie hatte er nur seinen Auftrag so sträflich vergessen können!
»Halt! Wer da?« Das war ein barscher Zuruf, der ihn aus seinen andalusischen Träumen riss. Jemand fiel ihm in die Zügel und brachte sein Pferd so grob zum Stehen, dass der Hengst mit den Vorderfüßen einknickte. Eine Pechfackel beleuchtete sein Gesicht, und gleichzeitig riss ihn eine grobe Faust aus dem Sattel. Voller Schrecken erkannte der Sarazene Männer in französischen Uniformen. Wie nur sollte er sich verhalten? Sein Aussehen würde ihn sogleich als Fremdling entlarven.
Er rettete sich ins Spanische und gab sich eloquent als spanischer Kaufmann aus, der von seinem Herrn in wichtiger Mission nach Frankreich geschickt worden sei. Die Soldaten sahen einander unschlüssig an und riefen einen Offizier herbei. Der Sarazene hoffte, dass man ihn nicht nach seinen Papieren fragen werde. Denn er hatte bewusst keinerlei Dokumente mitgenommen, weil er seine Identität nicht preisgeben wollte.
Aber genau das geschah. »Arretiert diesen Fremdling und unterwerft ihn der peinlichen Befragung!«, befahl der Offizier seinen Untergebenen. Der Sarazene wusste, was das bedeutete. Sie würden ihn in ein Verlies sperren und erbarmungslos foltern, bis sie das erwünschte Geständnis erpresst hätten, nämlich ein Spion zu sein.
Es bedurfte keiner Erinnerung an seinen Vater, um zu wissen, was nun zu tun sei.
Er riss seine Lanze aus dem Stiefelschaft und stieß sie dem Offizier in die Brust. Der Getroffene sackte lautlos zusammen, während die anderen Soldaten zurückwichen. Mit der Peitsche zwang er sein Reittier, sich mit einem Satz zu erheben und davonzugaloppieren. Es war wohl erschreckt über die ungewohnt schlechte Behandlung. Der Sarazene hatte Mühe, den Hengst aus einem wilden Galopp in eine ruhigere Gangart zu bringen. Niemand war jedoch fähig, den Flüchtigen einzuholen.
So hatte der Sarazene sich wiederum durch Gewalt befreien müssen. Nur noch einmal erlaubte er sich, an Cordoba zu denken, an den Herrn der Bücher, der seinem Sohn Hisham in einem testamentarischen Brief geschrieben hatte: »Erhebe das Schwert nur gegen die, die Unrecht begehen!«
Hatte dieser Offizier irgendein Unrecht begangen, indem er den Fremden gefangen nehmen wollte? Der Sarazene verscheuchte diesen Gedanken so schnell es ihm möglich war. Er musste seinen Auftrag erfüllen, mit welchen Mitteln auch immer.
Aufmerksam setzte er seinen Ritt bis zur Morgendämmerung fort und verbat sich alle Träume an Cordoba, an die Bibliothek und an seine Studien. Als sich die Sonne langsam über den Horizont erhob und er seinen weiteren Ritt bis zur nächtlichen Dunkelheit aufschieben wollte, erhob sich im blauen Dunst des frühen Morgens eine hellgrüne Parklandschaft, die sich vom dunklen Grün des dichten Waldes auffällig unterschied. Der Sarazene hielt auf dem Hügel, stieg aus dem Sattel und klopfte zärtlich die Flanken des Hengstes, der ihn bis hierher so geduldig durch alle Gefahren getragen hatte.
Er legte die ausgestreckte Hand über die Augen und glaubte in dem immer stärker werdenden Sonnenlicht die Umrisse palastartiger Gebäude und ausgedehnter Stallungen zu sehen.
War er am Ziel angelangt?
5
König Philipp der Schöne hatte sein Ratskollegium nach Fontainebleau einberufen. Er hing an diesem Ort, an dem er geboren worden war. Sooft es seine Staatsgeschäfte zuließen, suchte er das Jagdschloss auf, das von weiten, dichten Wäldern umgeben war. Vor allem liebte er die fröhlichen Jagdgesellschaften, zu denen er seine Freunde und vor allem hübsche Damen einlud. Aber das Beste von allem war für ihn das große Halali, wenn sich alle um die erlegte Beute scharten und die Treffsicherheit des Königs bewunderten. Im Inneren des Hauses zeugte so manches Hirschgeweih von seiner Leidenschaft.