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»Bitte, Frau Dr. Blagus, Herr Kristoffs, nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee oder etwas Gebäck anbieten?«, gab sich Dr. René Poll sehr freundlich. Er wartete die Antwort nicht ab, blätterte in einem Ordner auf seinem Tisch und sprach, ohne seine beiden Besucher anzuschauen.

»Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie gestern einen Mann, einen Patienten namens Faisal Ben Ait Haddou, am Flughafen Rheintal in der Schweiz abgeholt und ihn von dort nach Marrakesch geflogen, stimmt das?«

»Ja, das ist richtig«, antwortete Richard Kristoffs. »Wir haben diesen Patienten nach Marrakesch geflogen und hätten uns ohnehin nach der Rückkehr bei der Polizei gemeldet«, kam der Pilot der nächsten Frage des Geheimdienstlers zuvor. Der Beamte tat erstaunt.

»Warum das?«

»Weil sowohl ich als verantwortlicher Pilot als auch Frau Dr. Blagus als Ambulanzärztin spätestens nach der Landung in Marrakesch ahnten, dass mit diesem Patienten etwas nicht in Ordnung war.«

Bevor er weiter sprechen konnte, unterbrach ihn der Beamte des Innenministeriums.

»Um es gleich vorwegzunehmen: Sie beide sind lediglich als Zeugen hier, nicht als Beschuldigte! Aber unser Gespräch unterliegt in jeglicher Hinsicht der Geheimhaltung. Bevor Sie mein Büro verlassen, werden Sie schriftlich und unter Strafandrohung verpflichtet werden, über das, was Sie in Verbindung mit Ihrem Flug erlebt und gehört haben, aber auch über alles, worüber wir jetzt sprechen werden, absolutes Stillschweigen zu wahren. Sie beide sind von Berufs wegen in sehr verantwortlichen Positionen. Daher kann ich Ihnen bereits jetzt sagen, dass es bei dieser Sache um hoch brisante Staatsangelegenheiten geht. Es besteht der dringende Verdacht, dass Ihr Patient ein Terrorist ist! Wir wissen nicht, wer er ist, aber wir wissen, dass sein Name, seine Personaldokumente wie auch die gesamten Ihnen vorgelegten Dokumente für den Ambulanzflug perfekte Fälschungen waren. Mehr, das muss ich zu meinem Bedauern sagen, wissen weder wir hier in Wien noch unsere Kollegen von den deutschen Nachrichtendiensten. Das sei also vorweg gesagt. Und nun, werte Frau Dr. Blagus und Herr Kristoffs, seien Sie bitte so nett und erzählen Sie mir so detailliert wie möglich, was Sie von jenem Moment, da Sie den Flughafen Rheintal verlassen und heute hier in Wien wieder gelandet sind, erlebt haben! Erzählen Sie bitte alles. Jedes Detail ist wichtig.«

Zwei Stunden dauerte die »vertrauliche Einvernahme«, wie das Gespräch mit dem Geheimdienstmann in den Dokumenten, die sie als Verschwiegenheitserklärungen hatten unterzeichnen müssen, deklariert wurde. Erst hatte Richard Kristoffs als Pilot dem Beamten die Abholprozedur am Flughafen Rheintal bis ins letzte Detail beschrieben, hatte erklärt, dass ihm diese Sache höchst merkwürdig vorgekommen war, er aber keinerlei rechtliche Grundlagen gehabt habe, den Flug und Transport des Patienten zu verweigern. Größte Aufmerksamkeit zeigte der Beamte dann, als Kristoffs beschrieb, wie am Flughafen von Marrakesch nicht, wie üblich und erwartet, ein Ambulanzfahrzeug, sondern zwei schwarze Limousinen direkt aufs Flugfeld gekommen waren und den Patienten ohne Trage und ohne jegliche ärztliche Begleitung abgeholt hatten. Die Begrüßung des Patienten durch zwei der Fahrzeuginsassen, so deutete Richard Kristoffs seine Beobachtungen, sei »geradezu freundschaftlich-vertraut« gewesen.

Dann schilderte die noch immer sehr nervöse Ambulanzärztin das Ganze aus medizinischer Sicht und machte deutlich, dass es sich ihrer Meinung nach nicht um eine Unfallverletzung, sondern um eine Schusswunde gehandelt habe. Eine, die fraglos schon einige Tage alt, gut geheilt und professionell versorgt worden war.

Nach endlos langen, sehr akribischen Fragen des Geheimdienstmannes schilderten Richard Kristoffs und Dr. Ulrike Blagus, wie erstaunt sie gewesen waren, dass der direkte Rückflug nach Wien von den marokkanischen Flughafenbehörden mit höchst fadenscheiniger Begründung immer und immer wieder hinausgezögert worden war, bis es schließlich so spät geworden war, dass angeblich das Nachtflugverbot am Flughafen von Marrakesch einen Start unmöglich machte.

Dann waren sie unter Bewachung zweier Polizisten in einem Hotel nahe dem Flughafen und außerhalb von Marrakesch mehr oder minder festgehalten worden. Das Telefon im Zimmer funktionierte nicht. Kristoffs hatte sein Handy abgeben müssen. Es war ein Skandal, aber sie hatten nichts dagegen unternehmen können. Die Zentrale der Flugambulanz in Wien, so hatte man ihnen erklärt, sei informiert worden, dass der Rückflug aus Witterungsgründen nicht möglich gewesen sei. Erst am heutigen Morgen hatten sie ihr Hotelgefängnis verlassen dürfen.

»Mir fällt da noch etwas ein«, meldete sich nach gut zwei Stunden die Ambulanzärztin zu Wort. »Dieser arabische Patient hatte eine jener Spezialkühltaschen bei sich, in denen Blutkonserven transportiert werden. Diese Tasche ist aber vom Ambulanzfahrer in Rheintal nicht mir als Ambulanzärztin übergeben worden, sondern dem Patienten. Das war sehr ungewöhnlich! Aus medizinischer Sicht gab es keine Veranlassung, Blutkonserven mitzuführen, denn die Wunde war längst gut verheilt. Und wenn, dann wird eine solche Tasche den Ärzten der Flugambulanz ausgehändigt. Der Patient hat diese Kühltasche während des Fluges derart auffällig beobachtet, dass ich nicht widerstehen konnte, einen Blick hineinzuwerfen, als er kurz eingeschlafen war.«

Der Geheimdienstmann schaute wie elektrisiert auf. »Und, waren es Blutkonserven?«

»Nun ja, es waren sehr wohl zwei undurchsichtige Aluminiumbeutel mit Flüssigkeiten. Sie sahen täuschend echt aus wie richtige Blutkonserven, aber als ich den einen Beutel in die Hand nahm, hatte ich das Gefühl, als befände sich außer einer Flüssigkeit auch noch ein harter Gegenstand in dem Beutel. Ungefähr so groß wie eine Walnuss. Aber dann dachte ich mir, dass es, wenn es etwas Verdächtiges wäre, es sicherlich beim Sicherheitscheck am Flughafen Rheintal aufgefallen wäre. Auch Kranke werden in der Sicherheitsschleuse durchleuchtet.«

Richard Kristoffs wurde langsam ungeduldig. Er war müde. Im Hotel in Marrakesch hatte er nicht wirklich schlafen können. Zu sehr war er mit seiner höchst ungewöhnlichen Situation beschäftigt gewesen – und damit, alle nur erdenklichen Details wahrzunehmen und zu notieren. Er hatte geahnt, dass er das später brauchen würde.

»Was immer da auch ablief und wer immer unser Patient auch war«, resümierte Richard Kristoffs, »das weiß ich nicht und das geht mich so gesehen auch nichts an. Was ich nicht verstehe, ist, wieso man uns nicht sofort nach Wien hat zurückfliegen lassen.«

Dr. René Poll vom österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und als Leiter der Abteilung II zuständig für internationale Belange des Staatsschutzes stand auf und ging nachdenklich in dem Büro auf und ab. Auch er hatte keine wirklich plausible Erklärung für dieses Verhalten der Behörden in Marokko. Die ganze Angelegenheit war höchst seltsam. Sie tangierte nach dem jetzigen Stand der Dinge zwar nicht direkt österreichisches Sicherheitsinteresse. Vielmehr war es ein Amtshilfeersuchen der Kollegen vom deutschen Bundesnachrichtendienst im bayrischen Pullach gewesen, die ihn um Einvernahme des Piloten und der Ambulanzärztin gebeten hatten. Zusammen mit den wenigen Hintergrundinformationen, die ihm die deutschen Kollegen über den Überfall auf das Schloss in Bayern gegeben hatten, und dem spektakulären Kunstraub von Florenz, der auch seiner Behörde nachrichtlich zur Kenntnis gelangt war, ahnte er bei dem Ganzen, dass da vielleicht doch noch mehr auf ihn und seine Mitarbeiter zukommen würde. Eines hatte er nämlich bereits in Erfahrung gebracht: Angeblich steckte eine arabische Terrororganisation mit dem kryptischen Namen »Heilige Krieger der Tränen Allahs« hinter den seltsamen Aktivitäten. Doch von dieser Organisation hatten die europäischen Geheimdienste bislang noch nie etwas gehört.