»Teufel auch, wo habt ihr den denn gefunden?«
David Noko, seit drei Jahren in den Kimberly-Minen Südafrikas verantwortlich für den reibungslosen Abbau von Diamanten, starrte gebannt auf den größten der Steine. »Ist der so echt, wie er ausschaut? Sind die alle echt?«
»Dreitausendzweihunderteinundzwanzig Karat – keine erkennbaren inneren Einschlüsse!«, antwortete Gregory Marsh und hob den größten der Diamanten hoch.
»Merkmale von Hitzebehandlung?«, fragte Stuart Brown, Finanzleiter des Konzerns. Kaum dass er die Frage gestellt hatte, wusste er, dass es eine sehr dumme Frage war. Hitzebehandlung konnte zwar auf eine synthetische Herstellung hinweisen, synthetische Diamanten mit mehr als drei bis vier Karat gab es aber nicht.
»Nein! Der da ist ein Wunder der Natur. Er ist echt – das Beste und auch Größte an Rohdiamant, was es seit hundert Jahren auf dem Markt gegeben hat. Die anderen sind auch nicht von schlechten Eltern: WS2 und VS1, zwischen sechzig und hundertfünfundzwanzig Karat, zwei davon in tinted color! Da auf dem Tisch, meine Herren, liegt ein Vermögen. Das Schönste, was ich an Rohdiamanten je in den Händen und vor Augen hatte.«
Der Sicherheitschef schielte hinüber zu Jonathan Oppenheimer. Der Sohn des legendären Nicky Oppenheimer und zukünftige Leiter von DeBeers Kanada wirkte gereizt. Er war schon zwei Tage nach Auftauchen des Päckchens informiert worden. Spätestens als Experten absolut sicher waren, dass es sich bei diesen Steinen um echte Rohdiamanten handelte, waren die Drähte zwischen London und Johannesburg heißgelaufen. Es galt bei dem heutigen Treffen, die höchst eigentümlichen Geschehnisse um diese Rohdiamanten zu beurteilen und darauf zu reagieren.
Gregory Marsh holte mehrere Blatt Papier aus seinem Aktenkoffer. Etwas verunsichert räusperte er sich.
»Diese Rohdiamanten sind echt! Ohne Zweifel. Dieser Brief lag mit in dem Päckchen, das übrigens vor etwa zwei Wochen in dem kleinen Kaff Grandson in der Schweiz aufgegeben wurde – auf der Post! Sie verstehen jetzt, warum ich das vorhin so betont habe. In diesem unscheinbaren Päckchen sind Diamanten von fantastischem Wert quer durch Europa geschickt worden! Das allein ist schon mehr als ungewöhnlich. Aber jetzt, meine Herren, kommt der absolute Wahnsinn! Ich lese Ihnen jetzt dieses sehr lange Pamphlet Wort für Wort vor. Es ist in Deutsch geschrieben! Entweder dieser Brief wurde von einem Wahnsinnigen geschrieben – was nichts an seiner Brisanz ändert. Oder jemand will uns in den Wahnsinn treiben. Also, hören Sie gut zu:
Verehrte Damen und Herren,
hoch geschätzte Experten von DeBeers
zunächst bitten wir höflichst um Nachsicht, dass wir uns zum derzeitigen Stand unserer Geschäftsbeziehung noch nicht namentlich vorstellen. Es entspricht fraglos nicht den internationalen Gepflogenheiten unter honorigen Geschäftsleuten, die Anonymität als Basis eines gedeihlichen Miteinanders auszuerwählen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass Ihr Familienimperium seit Gründung der DeBeers Consolidated Mining durch den ehrenwerten Ernest Oppenheimer im Jahre 1929 ein wundersames Geschick entwickelt hat, jegliche Konkurrenz durch höchst subtile Methoden in das Imperium einzuverleiben, möchten wir zunächst davon absehen, unsere Identität zu offenbaren. Kurz gesagt: Wir wissen, wer Sie sind – und daher halten wir es für besser, wenn Sie nicht wissen, wer wir sind. Denn wir teilen Ihre hemmungslosen kapitalistischen Methoden nicht.
Nun aber zu dem eigentlichen Anliegen unseres Schreibens: Wenn wir richtig informiert sind, haben Sie alleine im letzten Jahr in der Jwaneng-Diamantenmine in Botswana, der derzeit wohl ergiebigsten Mine der Welt, 13,5 Millionen Karat Rohdiamanten gefördert. Zählen wir Ihre Minen in Namibia, Angola, Südafrika und Kanada hinzu, fördert das DeBeers-Imperium alljährlich zirka 80 Prozent aller Rohdiamanten weltweit. Der Rest kommt aus Russland. Ungefähr 500000 Millionen Dollar Gewinn haben Sie im letzten Jahr bei einem Umsatz von 5,5 Milliarden gemacht!
Dass der Familienclan der Oppenheimer zu den hundert reichsten Privatpersonen der Welt gehört, ist uns bekannt. Dieser grenzenlose Reichtum basiert letztendlich darauf, dass Sie das Angebot an Diamanten auf dem Weltmarkt künstlich niedrig – und damit die Preise künstlich hoch halten. Mit Gründung der Central Selling Organisation fing das an. Auch heute noch strangulieren Sie durch Ihr monopolistisches Agieren jegliche Konkurrenz!
Obwohl Diamanten tonnenweise gefördert werden, der Markt also faktisch überquillt, zeigen sich die klassischen Regulative des Angebots und der Nachfrage in Bezug auf Diamanten aufgrund Ihrer rigiden Marktpolitik als nicht sonderlich funktionsfähig: Die Preise für geschliffene Diamanten steigen, obwohl immer mehr Diamanten gefördert werden! Für Zweikaräter in lupenreiner Qualität sind die Preise in diesem Jahr um 25 Prozent gestiegen. Einkaräter haben sich um bis zu 15 Prozent verteuert. Und weiße Diamanten, die schwerer als 2 Karat sind, sind um 6 Prozent teurer geworden. Das ist, wie Sie uns sicherlich beipflichten, ein Wunder. Zumindest in den zurückliegenden 25 Jahren hat es einen solchen Preisanstieg nicht gegeben. Ihrem ohnehin schon unermesslichen Reichtum wird das zugute gekommen sein.
Nein, wir bitten Sie: Es ist weder Neid noch Missgunst, die uns veranlassen, Ihnen zu schreiben und Ihnen unser neues Geschäftsmodell in Sachen Diamanten vorzustellen. Weit gefehlt. Neid ist ein irdisches Phänomen. Unsere Intention hat jedoch eher eine überirdische, mithin gar ›göttliche‹, von der Vorsehung bestimmte Dimension. Mit Wohlwollen nehmen wir daher zur Kenntnis, dass Sie in gelegentlichen Anwandlungen mildtätigen Denkens auch Brösel des milliardenschweren Diamantenkuchens an die Bedürftigen dieser Welt verteilen. Womit wir bei unserem Anliegen sind:
Dass Sie unlängst im John F. Kennedy Center in Washington in Gegenwart der amerikanischen Außenministerin, Condoleezza Rice, und der US-Senatorin Hillary Clinton von der honorigen Global Business Coalition on HIV/AIDS für Ihr Engagement im Kampf gegen Aids in Südafrika geehrt wurden, erfüllt uns mit Zuversicht, dass Sie unserem Ansinnen ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit zukommen lassen werden. Mit höchstem Respekt vor Ihrer Fähigkeit der wundersamen Geldvermehrung machen wir Ihnen einen Vorschlag, den Sie – so Leid es uns tut, Sie so zu brüskieren – kaum werden ablehnen können. In dem kleinen Päckchen übersenden wir Ihnen vier außergewöhnlich schöne Rohdiamanten. Der größte davon entspricht mit seinen knapp 3 200 Karat in etwa dem berühmten Cullinan-Diamanten, der vor 100 Jahren in Südafrika gefunden wurde. Unseres Wissens nach wurde er dem damaligen englischen König Edward zu seinem Geburtstag überreicht und ist, in 105 Einzelsteine zerschnitten, mittlerweile im Besitz von Queen Elizabeth II.
100 Jahre ist das nun her, dass dieser bis dahin größte Diamant der Welt gefunden wurde. Wir finden, die nach irdischen Gütern und materiellen Superlativen lechzende Welt sollte dieses Jubiläum mit dem Auftauchen eines neuen, noch schwereren, noch wertvolleren, noch legendäreren Diamanten feiern: Er liegt in dem Päckchen! Die drei anderen Diamanten sind – aber nur vergleichsweise – minderer Qualität, mögen aber die Vielfalt unseres Sortiments dokumentieren.
In der Ihnen höchstwahrscheinlich weniger, uns dafür umso mehr zu eigenen Großherzigkeit möchten wir Sie bitten, diese vier Diamanten quasi als Grundkapital unseres zukünftigen Joint Ventures zu betrachten. Perfekt geschliffen sollten diese Rohdiamanten die Kosten der administrativen Gründung unseres gemeinsamen Unternehmens decken. Wenn nicht, bitten wir um eine entsprechende Nachricht. Gerne erhöhen wir unser Grundkapital nochmals um Rohdiamanten und andere Edelsteine im gleichen Wert …«
»Lassen Sie es gut sein, Gregory«, unterbrach Jonathan Oppenheimer seinen Sicherheitschef unwirsch. »Diese schwülstigen Zeilen eines Geisteskranken machen mich ganz närrisch. Lesen Sie den anderen das Ende des Briefes vor, damit jeder hier kapiert, was da auf uns zukommt.«