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Wütend schaute Jonathan Oppenheimer zu Stuart Brown, dem Leiter der Finanzen von DBCM.

»Stuart, was halten Sie davon – rein juristisch und finanztechnisch?«

»Besorgnis erregend ist das Ganze, Mr. Oppenheimer! Mehr noch! Es ist eine Katastrophe!« Der hagere Mann, dessen exzellente Ausbildung und analytischen Fähigkeiten ihm die Position des Leiters der Finanzabteilung des Diamantenkonsortiums eingebracht hatten, stand nun auch auf. Er sprach im Gehen. »Wer Rohdiamanten in diesem Wert per Post durch die Weltgeschichte schickt, hat noch mehr davon. Und zwar viel mehr! Denen ist das, mit Verlaub gesagt, sch…egal, ob diese Rohdiamanten auf dem Postweg verloren gehen. Die gehen damit um, als seien es Kieselsteine! Davon scheinen die Verfasser dieses Schreibens aber eine ganze Menge zu haben! Das ist die eine Sache. Die andere ist: Juristisch kann ich es nicht als rechtswidrig, also als illegal ansehen, wenn jemand mir signalisiert, dass er seine Berge von Edelsteinen ganz offiziell auf den Markt bringen wird und damit der Weltmarkt für Diamanten in die Knie geht. Das hat nichts mit Erpressung zu tun. Es ist doch unser Problem, wenn die Weltmarktpreise Kopf stehen und unsere Politik, das Angebot an Diamanten knapp zu halten, nicht mehr funktioniert! Nein, juristisch ist da nicht dran zu rütteln. Faktisch ist es so, dass wir eigentlich keine andere Chance haben, als uns auf dieses Spiel einzulassen. Wenn der weltweite Diamantenmarkt durch plötzlich auftauchende Massen von Rohdiamanten in Turbulenzen gerät, gehen die Preise schnell mal um zwanzig bis dreißig Prozent runter. Dann machen wir in einem Jahr eineinhalb Milliarden Dollar weniger Umsatz! Ja, eineinhalb Milliarden Dollar! Was sind da schon zweihundertfünfzigtausend Dollar im Monat für diese verklärten Fantasten, mit denen wir es hier offensichtlich zu tun haben? Meiner Meinung nach ist es besser, sich auf dieses komische Ansinnen einzulassen. Zumindest so lange, bis wir eine Ahnung haben, wer da wirklich dahinter steckt. Und vor allem, bis wir wissen, wo diese unglaublich wertvollen Diamanten herkommen. Und zwar haufenweise herkommen. Dafür muss es eine Erklärung geben.«

Jonathan Oppenheimer mochte diese Einschätzung seines Finanzchefs nicht sehr, aber er ahnte, dass Stuart Brown Recht hatte. Dennoch wollte er die Meinung seiner anderen Manager hören.

»David, Ihre Meinung, bitte!«

David Noko hatte befürchtet, gefragt zu werden. Für ihn, der erst seit drei Jahren beim DeBeers-Diamantenkonzern arbeitete und in dieser Zeit ausschließlich für die Diamantenmine in Kimberly in Südafrika zuständig gewesen war, war diese Situation schwer einzuschätzen. Er konnte die ganze Sache nur unter Imageaspekten beurteilen.

»Unser Engagement in der Aids-Bekämpfung in Südafrika hat uns nicht nur diese auch in diesem Brief erwähnte internationale Auszeichnung eingebracht. Sie hat unser Image in Südafrika extrem verbessert. Früher – sorry, Chef, wenn ich das so offen sage – wurde DeBeers in Afrika als Inbegriff der Ausbeutung des Schwarzen Kontinents durch die Weißen – zu Lasten der schwarzen Bevölkerung – gesehen. Heute sind wir in vielen Gesundheitsbereichen aktiv, im Umweltschutz und bei der Fortbildung der schwarzen Bevölkerung. Nicht zuletzt damit haben wir den Wechsel vom Apartheitsregime hin zu einem von Schwarzen regierten Südafrika unbeschadet überstanden. Viel gekostet haben uns diese Aktivitäten im sozialen Bereich nicht. Wir können sie zudem steuerlich absetzen. Und wenn ich mir vor Augen halte, dass Asien einer der zukunftsträchtigsten Märkte der Welt überhaupt ist, dann wäre es meines Erachtens für unser Image sehr förderlich, wenn wir auf diesen Zug, der uns da aufgezwungen wird, freiwillig aufspringen. Welche Alternative haben wir sonst?«

Jonathan Oppenheimer war vor dem Panoramafenster des Penthouse stehen geblieben. Nachdenklich starrte er in die beginnende Nacht über London. Was David da gesagt hatte, entbehrte nicht jeglicher Logik. Stuart, sein Finanzchef, schätzte die Situation ähnlich ein. Und doch sträubte sich tief in seinem Inneren etwas dagegen, sich von diesen Wahnsinnigen erpressen zu lassen. Das hatten schon andere mit DeBeers versucht. Sein Vater Nicky, der die gewaltigen politischen Veränderungen in Südafrika hautnah miterlebt hatte, konnte davon ein Lied singen. Das neue, von Schwarzen dominierte Südafrika hatte auf allen möglichen Wegen versucht, sich das DeBeers-Imperium unter den Nagel zu reißen oder es zumindest zu kontrollieren. Sein Vater hatte viele Zugeständnisse machen müssen, aber er hatte sich nie erpressen lassen. Das konnte stets nur als Schwäche gedeutet werden. Aber die DBCM war alles andere als schwach. Entsprechend selbstbewusst entschied er.

»Wir machen es so: Wir warten einfach ab, was diese indischen Illusionisten machen, wenn wir nicht reagieren! Mal unbenommen der Frage, ob die wirklich solch große Mengen an Rohdiamanten und anderen Edelsteinen haben, ist es ja auch nicht ganz so einfach, Diamanten in großen Mengen auf den internationalen Markt zu bringen. Ohne Zwischenhändler geht das nicht. Ohne Diamantenbörsen auch nicht. Hier geht es ja nicht um Tomaten! Also: Gregory, Sie als Sicherheitschef sind mir dafür verantwortlich, dass wir in nächster Zeit die Entwicklungen auf dem Weltmarkt für Diamanten extrem genau beobachten. Alles will ich wissen – alles! Weisen Sie unsere Zwischenhändler und Agenten an, alles Verdächtige zu melden und verbieten Sie ihnen, Rohdiamanten unbekannter Herkunft anzukaufen. Machen Sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln den internationalen Diamantenmarkt zu. Keine Anzeige in der International Herald Tribune! Schauen wir mal, was dann passiert.«

*

Vier Wochen nach dieser Entscheidung von Jonathan Oppenheimer, sich nicht erpressen zu lassen, es war Mitte Juni, bekam Dr. Ajay Bapna, leitender Direktor des K.M.S. Mother & Child Hospitals in der T.-Nagar-Straße in Jaipur im indischen Bundesstaat Rajasthan überraschenden Besuch eines Rechtsanwalts aus Neu-Delhi. Der Anwalt wurde begleitet von zwei hochrangigen Regierungsvertretern, die dem nach einer halben Stunde völlig perplexen Arzt bestätigten, dass all das seine Richtigkeit habe und er die Spende des unbekannten Gönners annehmen könne.

Zur gleichen Zeit wählte Pratibha Patii, Provinzgouverneur von Rajasthan im Nordwesten Indiens, die Telefonnummer 2350774 in Jaipur und kündigte dem Chefarzt des Sadhna Nursing Home & Infertility Research Centres in Jaipur kurzfristig seinen Besuch in dem Kinderkrankenhaus an. Als er nach drei Stunden in Begleitung eines Rechtsanwalts und mehrerer Regierungsbeamter aus Neu-Delhi das Krankenhaus in der Khatipura Road verließ, schüttelte er noch immer ungläubig den Kopf. So etwas hatte er in seiner Dienstzeit noch nicht erlebt. Er war sich sicher, dass die Zeitungen und das Fernsehen morgen über diese Sache ganz groß berichten würden.

Dem war so. Am darauf folgenden Tag stand in The Hindu, einer der größten englischsprachigen Zeitungen Indiens, wie auch in der Dainik Bhaskar auf den Titelseiten nachzulesen, dass ein Unbekannter über eine renommierte Anwaltskanzlei beiden Krankenhäusern in Jaipur je einen Rohdiamanten gespendet habe. Die Edelsteine, beide mit etwa hundertzwanzig Karat und einem geschätzten Wert von zirka zwei Millionen Dollar, seien mit Wissen und Genehmigung der Regierung in Neu-Delhi an die Krankenhäuser übergeben worden. Der Fernsehsender NDTV brachte in seiner Acht-Uhr-Morgensendung Yeh Hai India einen ausführlichen Bericht über »das Wunder von Jaipur«. Unter Berufung auf die Anwaltskanzlei, die von dem Unbekannten mit der Abwicklung dieser Spende beauftragt worden war, berichtete der Fernsehsender, dass beide Diamanten zu einem sensationellen Fund außergewöhnlich großer Diamantenvorkommen in einer nicht näher bezeichneten Region von Rajasthan gehörten. Der legitime Eigentümer, so der Fernsehsender, fühle sich aus moralischen, ethischen Gründen und aus einer traditionellen Verbundenheit mit der Bevölkerung dieses indischen Bundesstaates verpflichtet, Bedürftige an seinem neuen Reichtum, den er den »göttlichen Tränen« zu verdanken habe, teilhaben zu lassen. »Der Fluch des Florentiners«, so hieß es im indischen Fernsehen unter Berufung auf eine schriftliche Verlautbarung durch die Rechtsanwälte des Spenders, sei durchbrochen: »Gottes zu Stein gewordene Tränen der göttlichen drei Brüder«, so endete der Fernsehbericht, »sind nach vielen tausend Jahren zu Tränen der Freude für das indische Volk geworden.«